Debatte EU-Flüchtlingspolitik: Verhält sich Europa inhuman? Nein!
Die Rückführungsrichtlinie der EU verbessert die schreckliche Situation der Flüchtlinge in den Abschiebezentren und mildert die Not.
M enschen hinter Stacheldraht, junge Frauen und Männer in überfüllten Lagern, eingesperrt auf unbestimmte Zeit - dieses Bild hat sich mir eingeprägt, als ich Abschiebezentren in EU-Mitgliedsländern besucht habe. Miserable Unterbringung und grausame sanitäre Zustände, medizinische Unterversorgung, unzureichender Rechtsbeistand und nur sporadischer Zugang für Hilfsorganisationen - kein Zweifel, die Situation der Abschiebehäftlinge in Europas Gefängnissen ist menschenunwürdig und muss sofort verbessert werden!
Deshalb haben wir gehandelt und die Rückführungsrichtlinie verabschiedet. Sie ist, wie sollte es anders sein, ein Kompromiss zwischen nationalen Interessen und unterschiedlichen humanitären Vorstellungen. Auch ich hätte mir viel mehr gewünscht, keine Frage. Doch sie ist, entgegen aller Kritik, ein wichtiger Schritt: Mindeststandards in allen Mitgliedstaaten, vor allem bei der Unterbringung und im Verfahren, und Rechtsbeistand, wo nichts verbindlich vorgeschrieben war. So gibt es in der EU momentan neun Länder, die keine zeitliche Begrenzung der Abschiebehaft kennen; bei uns sind es 18 Monate. Mit der neuen Richtlinie aber wird die maximale Haftdauer im Normalfall auf sechs Monate beschränkt, wobei bereits die Inhaftnahme richterlich zu prüfen ist. Die Frist zur freiwilligen Rückkehr soll zwischen mindestens 7 und 30 Tagen oder, soweit erforderlich, mehr betragen.
Eine deutliche Verbesserung stellt die Beschränkung des Wiedereinreiseverbots auf fünf Jahre dar: 14 Länder sprechen derzeit längere Einreiseverbote aus, Deutschland sogar unbefristete. Dieses Verbot darf das Recht des Einzelnen auf Asyl oder andere Formen des internationalen Schutzes nicht in Frage stellen. Die Haftbedingungen werden wesentlich verbessert. Hilfsorganisationen sollen unbeschränkten Zugang haben und die Einhaltung der Standards überprüfen können. Entscheidend ist auch der verstärkte Schutz von Minderjährigen und Familien. Die Rückführung unbegleiteter Minderjähriger muss in Zukunft von einer unabhängigen, kompetenten Stelle geprüft werden, und sie darf nur erfolgen, wenn die Aufnahme von einem Familienmitglied, einem gesetzlichen Vertreter oder einer kinder- und jugendgerechten Einrichtung vor Ort garantiert ist.
Das Europäische Parlament hat den Regierungen der Mitgliedstaaten eine politische Selbstverpflichtung abgetrotzt, wonach die Umsetzung der Richtlinie im nationalen Rahmen keine Verschlechterung bisher geltender Rechte mit sich bringen darf. So steht es jedem Mitgliedstaat frei, höhere und bessere Standards zu setzen.
Nun liegt es in Deutschland, wo ganze 16 unterschiedliche, von akzeptabel bis furchtbar reichende Regelungen existieren, liegt es an den Abgeordneten in den Ländern und im Bund zu handeln und für die besten Standards in Europa Sorge zu tragen. Uns ging es darum, jetzt zu handeln und dort den europäischen Riegel vorzuschieben, wo Menschen mit einem Dasein unter unwürdigen Bedingungen dafür bezahlen, dass sie einen Weg in ein besseres Leben suchten. Schließlich haben wir Verantwortung für Europa im Ganzen zu tragen.
Schauen wir auf die Realität: Deutschland spricht unbegrenzte Einreiseverbote aus, die Niederlande sperren Menschen zeitlich unbegrenzt in Abschiebehaft, Malta wirft sie ohne Frist zur freiwilligen Rückkehr sofort aus dem Land, und über die unmenschlichen Zustände in griechischen Abschiebehaftanstalten ist schon zur Genüge berichtet worden. Vom Berlusconi-Land ist zu diesem Thema nichts Gutes zu erwarten. Das ist die Schande.
Wenn wir dieser Gesetzestext nicht zugestimmt hätten, wäre es auf absehbare Zeit nicht zu einer Einigung gekommen - vielleicht nie und in keinem Fall in einer Form, die alle, die ihn jetzt so vehement geißeln, gutgeheißen hätten. Deshalb habe ich dafür gestimmt.
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