Debatte EU-Flüchtlingspolitik in Afrika: Europas neuer Umriss
Unter Merkels Führung verteidigt die EU neuerdings ihre Außengrenzen tief in Afrika. Das soll die Migration nach Europa radikal stoppen.
N ur ein Jahr hat die staatliche Willkommenspolitik gegenüber Flüchtlingen gehalten. Jetzt wurde beim EU-Gipfel in Brüssel versucht, die Schotten dichtzumachen. Die zentrale Mittelmeerroute aus Afrika nach Europa soll von der neuen Frontex-Agentur für Grenz- und Küstenwache mit Kriegsschiffen verriegelt, afrikanische Länder verpflichtet werden, „ihre“ Wirtschaftsmigranten zurückzunehmen, und zwar „unter Einsatz aller einschlägigen – auch entwicklungs- und handelspolitischen – Maßnahmen, Instrumente und Hilfsmittel“ – so klingt die neue EU-Politik gegenüber ihrem Nachbarkontinent Afrika.
Wie schon bei der Massenaufnahme von Syrern vor einem Jahr ist Deutschland auch beim Radikalumschwung gegenüber Afrika federführend. „Das Wohl Afrikas liegt im deutschen Interesse“, verkündete Kanzlerin Angela Merkel zum Auftakt ihrer jüngsten Reise. Mali, Niger, Äthiopien – drei Tage jettete sie über den Kontinent. Danach empfing sie in Berlin die Staatschefs von Nigeria und Tschad.
Zuvor hatte Entwicklungsminister Gerd Müller Eritrea, Ruanda, Senegal, Benin und Togo besucht und afrikanische Partner eingeladen. In der deutschen G-20-Präsidentschaft nächstes Jahr soll Afrika als „Zukunftskontinent“ eine große Rolle spielen, versprach Merkel. So viel Afrika hat es in Berlin in diesem Jahrhundert noch nicht gegeben.
Es geht um „Migrationspartnerschaften“
Mit ihrem Aktionismus verpasst Merkel der neuen EU-Afrikapolitik eine deutsche Handschrift, genauer: ihre eigene. Eile ist geboten: Kommendes Jahr ist Wahlkampf in der Bundesrepublik, bis dahin müssen die Flüchtlingszahlen dauerhaft sinken, sonst riskiert sie, nicht wiedergewählt zu werden. „Migrationspartnerschaften“ nennt man das, was diese Woche in Brüssel besiegelt wurde. Sie sind nur ein Schritt in einer breit angelegten EU-Politik gegenüber Afrika, durch die im Detail kaum mehr jemand durchblickt: Agenda für Migration, Afrika-EU-Partnerschaft, Aktionsplan für Migration, Valletta-, Khartum-, Rabat-Prozess – ein Labyrinth bedruckter Seiten, vieles noch gar nicht spruchreif.
Diese Rahmenabkommen haben im Subtext alle eines gemeinsam: Die bessere Kontrolle über die einst von Europäern in Afrika gezogenen Staatsgrenzen, damit Migranten erst gar nicht mehr bis zum Mittelmeer vorstoßen. Wer es trotzdem schafft und kein Recht auf Asyl hat, soll sofort wieder abgeschoben werden. In den „Rückführungsabkommen“ mit Äthiopien, Sudan, Nigeria, Niger, Senegal und anderen Ländern, die in den kommenden Monaten verhandelt werden, geht es nicht um nachhaltige und langfristige, sondern um „kurz- und mittelfristige“ Ziele, nämlich: „konkrete und messbare Ergebnisse bei der zügigen operativen Rückführung irregulärer Migranten“. Im Klartext heißt das: Das Wohl Deutschlands liegt ab jetzt in Afrikas Interesse.
Dies lassen sich die Bundesregierung und die EU einiges kosten. Da werden jetzt nicht nur enorme Summen, sondern auch einst mühsam eingefädelte Sanktionen lockergemacht: Sudans Präsident Omar al-Baschir, auf den der Internationale Strafgerichtshof einst auch auf deutsche Initiative hin einen Haftbefehl wegen Völkermords in Darfur ausgestellt hat, darf damit rechnen, dass die EU ihm sämtliche Schulden erlässt, Visumsrestriktionen erleichtert und ihm hilft, von der US-Terrorliste gestrichen zu werden. Über 100 Millionen Euro umfasst das Paket, wenn Baschir seinerseits dafür sorgt, dass weniger Migranten Sudan gen Europa verlassen.
Stichwort: Fluchtursachenbekämpfung
Seitdem werden regelmäßig in Khartum bei Pressekonferenzen festgenommene Migranten vor den Kameras präsentiert und von Brüssel wird noch mehr Hilfe verlangt: Auf dem Wunschzettel des Regimes stehen sogar Aufklärungsdrohnen aus Europa zur Grenzüberwachung.
Selbst gegenüber Eritreas geächtetem Diktator Isaias Afeworki zeigt sich Berlin gesprächsbereit: 200 Millionen Euro hat die EU für das kleine Land bereitgestellt, das für die gemessen an der Bevölkerung höchsten Flüchtlingszahlen aus Afrika verantwortlich ist. Stichwort: Fluchtursachenbekämpfung – im Prinzip ist dies klassische Entwicklungszusammenarbeit, nur unter neuem Label. Den Löwenanteil des milliardenschweren EU-Entwicklungsfonds bezahlt die Bundesregierung, dafür will sie aber Gegenleistungen. Für diese sorgt dann die deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) als Hauptimplementierungspartner.
Bisher bestehen Afrikas unendlich lange und oft umstrittene Grenzen, wenn sie überhaupt sichtbar sind, meist aus ein paar Meter Seil, welches mehrfach zusammengeknotet mitten im Niemandsland über eine holprige Straße gespannt ist. Daneben hockt ein unterbezahlter Grenzbeamter, der in ein dickes Buch die Passanten einträgt, die oft keine Ausweispapiere besitzen.
Biometrie für den Kontinent
Das soll sich jetzt nach EU-Plänen ganz schnell ändern. „Grenzmanagement“ lautet das Schlagwort. Die Zukunft gehört biometrischen Reisepässen, computerisierten Grenzstationen, Zaunanlagen, Lastwagenscannern, Bekämpfung von Menschenhandel und gutausgebildete und ausgerüstete Grenzpolizisten.
Anstelle von zusammengenknoteten Seilen trifft man heute schon mitten Afrika immer öfter auf Grenzstationen mit Fingerabdruckscannern und biometischen Lesegeräten. Tausende Kilometer befestigte Grenzzäune werden durch die Wüsten gezogen und mit Überwachungskameras versehen. Mitunter steht mitten im Nirgendwo mehr computergestütztes Hightechgerät herum als in den Universitäten in den Hauptstädten. Jedem Bewohner Afrikas, immerhin 1,2 Milliarden Menschen, wird derzeit eine biometrische ID-Karte gedruckt, mitunter in der Bundesdruckerei in Berlin.
Mit ihrer Migrationspolitik gegenüber Afrika schafft sich die EU also nebenbei einen lukrativen Exportmarkt, vor allem für Sicherheitstechnologie „made in Germany“. Und in ihrem jüngsten Afrika Intelligencebericht untersucht Frontex den zentralen Busbahnhof in Nigers Handels- und Migrationsknotenpunkt Agadez: Westafrikanische Reisebusunternehmen sind darin als „Schleuser“ gelistet. Die EU-Außengrenzen werden von jetzt ab auf afrikanischem Boden verteidigt – bis jenseits des Äquators.
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