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Debatte EU-FinanzpolitikSchuld sind immer die anderen

Michael Braun
Kommentar von Michael Braun

Der von Deutschland dominierte Norden und der Süden Europas verfolgen entgegengesetzte Interessen. Ein gemeinsamer Diskurs ist weit entfernt.

Hinter dieser Fassade steckt Macht: das Gebäude der Europäischen Zentralbank in Frankfurt Foto: dpa

E igentlich ist man sich einig in Europa. „Die Sparer werden enteignet!“, verkündeten Deutschlands Medien, führende Wirtschaftswissenschaftler, die Vertreter der Bankenverbände unisono Anfang des Monats, als die EZB ihre neuen Zinsbeschlüsse mitteilte.

„Die Sparer werden enteignet!“ – eben jener Warnruf war schon zwei Monate vorher in Italien zu vernehmen, allerdings in ganz anderem Kontext. Das Land nahm Anstoß an der Abwicklung von vier Banken, für die nun erstmals die Einleger geradestehen mussten, Aktionäre genauso wie die Käufer von Anleihen der Institute – denn in der Euro-Zone haben sich die Regeln für Bankenpleiten verschärft, nicht zuletzt auf deutschen Druck.

Die Sparer sind betroffen, die Verantwortung trägt „Europa“: Auf diese Sprachregelung können sich Deutsche und Italiener ohne Weiteres einigen. Doch damit hören die Gemeinsamkeiten auch schon auf. Der starke Norden Europas, der kriselnde Süden: Sie mögen die gleichen Worte benutzen, doch sie sprechen verschiedene Sprachen – und reden beharrlich aneinander vorbei.

Egal ob die Geldpolitik der EZB oder die Europäische Bankenunion (und in ihrem Gefolge der Umgang mit Bankenkrisen in der Eurozone): Es ist unverkennbar, dass die deutsche Agenda der Italiens und der der anderen Südstaaten diametral entgegengesetzt ist. Zu Beginn seiner Amtszeit, im Herbst 2011, durfte sich EZB-Präsident Mario Draghi noch darüber freuen, dass ihm die Bild-Zeitung per Fotomontage eine preußische Pickelhaube auf den Kopf zauberte. Mittlerweile ist er in deutschen Augen bloß noch der „Italiener“, der Europa mit billigem Geld flutet, zum Nutzen der Schuldnerländer, zum Schaden der deutschen Sparer.

Ja oder Nein zur Bankenunion?

Der Berliner Finanzwissenschaftler Markus C. Kerber rechnete aus, jeder Deutsche habe dank Draghis Billigkurs in den Jahren 2010 bis 2014 schon 1.400 Euro an Zinsen eingebüßt, und die Verluste auf Lebensversicherungen seien gewaltig. Doch damit hört der Ärger nicht auf, schließlich wäre da noch die Bankenunion und die Perspektive einer europäischen Einlagensicherung.

Der Süden will sie – der Norden nicht. Wieso, meint zum Beispiel Uwe Fröhlich, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken, sollte eigentlich die deutsche für die italienische Einlagensicherung zuständig sein? Das sei doch bloß „zentralisierte Zwangshaftung“ und damit die „Einladung zur Selbstbedienung“, seitens Italiens, Spaniens, Portugals und Co. natürlich.

Um die Misere zu bebildern, zitieren deutsche Zeitungen gerne die Tatsache, dass die notleidenden Kredite bei italienischen Banken mittlerweile die Unsumme von 200 Milliarden Euro erreicht haben, dass zudem Italiens Institute mittlerweile an die 400 Milliarden Euro an Staatstiteln des eigenen Landes (unseriöse Anlage!) halten.

Beide Zahlen stimmen. Beide Zahlen sind aber auch direkte Folge der Eurokrise. In ihrem Verlauf verfünffachten sich die notleidenden Kredite seit 2008, schlicht aus dem Grund, weil Tausende am Abgrund stehende Unternehmen ihre Verbindlichkeiten nicht mehr bedienen konnten. In ihrem Verlauf auch lösten internationale Anleger ihre Portfolios in italienischen Staatsanleihen auf – worauf die italienischen Banken einsprangen und ihr Engagement seit dem Jahr 2008 vervierfachten.

„Unseriös“ mag man das finden, mit Angela Merkels Worten war es schlicht „alternativlos“. Und während die deutsche Seite meint, Italien müsse überhaupt erst noch liefern, ist man dort überzeugt, schon mit der rigiden Sparpolitik, mit Steuererhöhungen und Haushaltskürzungen, mehr als genug geleistet zu haben. Während das deutsche Mantra „Strukturreformen“ und „Solidität“ heißt, kommt aus Rom der Ruf nach „Wachstum“ und „Solidarität“ zurück.

In Italien herrschen in der Tat ganz andere Sorgen als in Deutschland. Das BIP liegt immer noch, trotz des bescheidenen Wachstums 2015, um fast 10 Prozent unter dem von 2007, der Aufschwung kommt nicht recht in Gang, obwohl das Land mittlerweile im Außenhandel wieder satte Überschüsse erwirtschaftet, Italien droht in die Deflation abzurutschen.

Lösung weit entfernt

Deren Bekämpfung genießt in Rom oberste Priorität, und deshalb – nicht weil er Italiener wäre – ist Draghis Politik in Italien populär. Auch italienische Sparer ächzen unter den Nullzinsen, auch italienische Bürger haben in Lebensversicherungen investiert. Aber die Prioritäten sind schlicht andere. Ein bisschen Inflation: Für Italien hieße das unmittelbare Entlastung bei der Staatsverschuldung und damit bei den Vorgaben des Stabilitätspakts und des Fiscal Compact.

Alle Seiten, der Norden wie der Süden, sind überzeugt, am Ende zahlten sie die Zeche

Draghis Politik gefällt im Süden auch, weil sie es schaffte, den „Spread“ – den Zinsabstand zu Deutschland – drastisch herunterzufahren, auf nur noch gut 1 Prozent. „Wettbewerbsverzerrung“ sieht Uwe Fröhlich im zu niedrigen Spread, Wettbewerbsverzerrung – für ihre Unternehmen – sehen die Italiener dagegen, wenn sie für Kredite weit mehr als in Deutschland bezahlen müssen.

So reden beide Lager Europas weiter konsequent aneinander vorbei. Es ist keine Sprachstörung, es ist ein handfester Interessenkonflikt, zwischen Gläubiger- und Schuldnerländern in der Eurozone. Beeindruckend, jenseits der realen Gewinn- und Verlustrechnungen, ist jedoch ein anderer Tatbestand. Alle Seiten, der Norden wie der Süden, sind überzeugt, am Ende zahlten sie die Zeche, während der jeweils andere es sich bequem mache, indem er die andere Seite ausplündere: Deutschland den Süden mit dem Austeritätsdiktat, der Süden Deutschland mit seiner faulen Laxheit.

Und so ist Europa am Ende von der Lösung der Eurokrise ungefähr genauso weit entfernt wie 2010, als jene Krise offen ausbrach. Substanziell hat sich nichts geändert an den Interessengegensätzen zwischen den starken und den schwächeren Ländern der Euro-Zone. Schlimmer noch: Ein gemeinsamer Diskurs, eine gemeinsame Sprache, in der die europäischen Interessenkonflikte verhandelt würden, ist nicht einmal in Ansätzen erkennbar – und die nächste Krise des Euro wird dann wohl die letzte sein.

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Michael Braun
Auslandskorrespondent Italien
Promovierter Politologe, 1985-1995 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an den Unis Duisburg und Essen, seit 1996 als Journalist in Rom, seit 2000 taz-Korrespondent, daneben tätig für deutsche Rundfunkanstalten, das italienische Wochenmagazin „Internazionale“ und als Wissenschaftlicher Mitarbeiter für das Büro Rom der Friedrich-Ebert-Stiftung.
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7 Kommentare

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  • Natürlich haben italienische Banken mit der schlechten Wirtschaftslage zu kämpfen.

     

    Aber warum schütten die dann in diesem Jahr einen Grossteil ihrer Gewinne an ihre Eigentümer aus?

     

    Finanzaufsicht und Regierung haben zugelassen, dass Banken, denen massiv Eigenkapital fehlt, Gewinne ausschütten durften statt die Gewinne in Eigenkapital umwandeln zu müssen. Dabei war seit Jahren klar, dass die Banken ein Eigenkapitalproblem haben.

     

    Und jetzt, nur ein paar Wochen nach den Ausschüttungen, soll die EU Geld bereitstellen, damit das Eigenkapital verbessert werden kann?

     

    Warum sollen nicht die Aktionäre, die vor ein paar Wochen Kasse gemacht haben, für das Eigenkapitaldefizit aufkommen? Die die Gewinne eingestrichen haben, obwohl sie wussten, dass die Bank dann nicht überlebensfähig sein wird? Die genauso wie die Regierung darauf spekuliert haben, dass die EU schon Gelder bereitstellen wird, wenn das Problem nur groß genug ist? Warum sollten wir auch noch Hilfe leisten, wenn so offensichtlich Gewinne privatisiert werden, das Problem der Eigenkapitalausstattung aber zur europäischen Aufgabe deklariert werden soll?

  • 1400 Euro in 4 Jahren, sprich jeder Deutsche hat 350 Euro pro Jahr wegen Dragi an Zinsen verloren. Ohne Dragi hätten wir Zinsen in Höhe von so 10%. Wer hat denn keine 3500 Euro auf dem Konto? -.-

     

    Mal ehrlich vor 2010 hatte ich nie auch nur entfernt Zinsen im 3 stelligen Bereich. Wer soviel Geld hat, der "investiert" auch nicht in Sparbücher die derzeit tatsächlich keine Zinsen abwerfen. Sondern nutzt die 0 Zinsen Politik aus um mit diesem "Hebel" noch mehr Gewinn zu machen.

     

    Dragis Politik ist nicht Alternativlos. Aber Alternativen wie Eurobonds und Geld direkt an die Staaten zu 0% Zinsen zu verleihen sind nicht möglich. Lieber gibt man den Banken 7% Zinsen. 0% um es sich von der EZB zu leihen und für 7% dann weiter zu verleihen. Als "Risikozins" wie Risikoreich das Geschäft ist sieht man an Argentinen 0% Risiko. Aber Hauptsache die Gewinne fließen. Aber ja nicht bei den kleinen Sparern.

  • 2G
    2097 (Profil gelöscht)

    Die Erbschaftssteuer ist ein noch größerer Witz in Italien als bei uns und eine angemessene Besteuerung der vermögenden Eliten existiert auch nicht. Wieso sollte der deutsche Steuerzahler für eine geringe Besteuerung der vermögenden Eliten in Italien zahlen? Mir reichen schon die deutschen vermögenden Eliten, denen alles en masse hinten rein geschoben wird. Begrüßenswert wäre es, wenn sich die europäischen Vermögenseliten endlich solidarisch zeigen und angemessen zur Kasse gebeten werden.

    • @2097 (Profil gelöscht):

      Abgesehen davon, dass die EZB so viel Geld zur Verfügung stellen könnte, wie sie will, wenn sie sich denn endlich an ihre Verpflichtung hielte, eine Inflation von ~2% zu erreichen:

       

      An Besteuerungen in welcher Grössenordnung hatten Sie denn Gedacht, um den aktuellen Nachfragemangel auszugleichen?

       

      Investitionsmangel bzgl. Infrastruktur wird in Deutschland auf 90 Mrd geschätzt, zu den Steuereinnahmen finde ich für 2015 48 Mrd. Schäubles "schwarze Null" heisst, dass das Geld bereits verplant ist. D.h., allein um diese Lücke zu schliessen, müsste sich das Aufkommen verdreifachen! Und da sind Sozialausgaben, die steigen müssen etcetc noch nicht mit drin.

      • @BigRed:

        48 Mrd? Da haben sie sich aber leicht verschaut, alleine der Bund kassiert in 2016 etwa 288 Mrd (bzw. 336 Mrd vor Überweisungen an Länder und EU):

        http://www.bundeshaushalt-info.de/#/2016/soll/einnahmen/einzelplan/60.html

         

        Länder und Kommunen bekommen nochmal Steuereinnahmen in ähnlicher Höhe, also dürften in Summe mehr als 500Mrd an Steuern im Jahr gezahlt werden.

         

        Die eigentlichen Steuersätze sind aber ohnehin nicht das Hauptproblem, wenn es um die Versteuerung von Vermögenseinkommen geht. Zum Vergleich, die jeweiligen Steuereinnahmen laut obigem Plan:

        Lohn- und Einkommenssteuer inkl. Soli. zusammen ~110 Mrd.

        Zins, Ertrags und Körperschafts-Steuern: ~21 Mrd

         

        Verglichen mit den Einnahmen laut https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesamtwirtschaftUmwelt/VGR/Inlandsprodukt/Tabellen/Gesamtwirtschaft.html:

         

        7.1% Durchschnittliche Steuer auf Arbeit

         

        2.9% Durchschnittliche Steuer auf Vermögen.

         

        Dafür haben wir 210 Mrd Steuereinnahmen auf den Konsum, also eine Durchschnittliche Steuer von 13.4%.

         

        Sprich, die offiziellen Steuersätze wären garnicht mal schlecht, wenn sie irgendwer mal bezahlen würde. Echte 25% anstelle von 2.9% auf den Vermögenseinnahmen von 717 Mrd. pro Jahr würden ja schonmal 160 Mrd. zusätzlich in die Staatskasse spülen.

        • @ShieTar:

          Wobei, da muß ich mich selbst korrigieren, aufgrund der Bund/Land/Kommunen-Regelung in Deutschland muß man die Lohn und Vermögens-Steuern noch verdoppeln, da der Staat ja nur die Hälfte bekommt. Also eher 6% auf Vermögens-Einnahmen. Trotzdem noch ein ganzes Stück unter den 25% die es eigentlich sein sollten.