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Debatte Drogenkrieg MexikoFeldzug gegen die Armen

Christian Jakob
Kommentar von Christian Jakob

Das Sozialsystem in den USA profitiert erheblich von der Drogenkriminalität im Nachbarland Mexiko. Daher sind die US-Amerikaner gegen die Legalisierung.

Mexikanische Spezialkräfte nehmen in Tijuana einen Drogenhändler fest. Bild: ap

Mañana in Mexico“, „Morgen in Mexiko“, jubelte kürzlich der Economist. Die verheerende Währungskrise ist Vergangenheit, Investitionskapital strömt in das Land, das letztes Jahr mehr Industriegüter exportierte als der ganze Rest Lateinamerikas zusammen.

Doch es ist nicht nur die Wirtschaft, die in Mexiko Rekorde aufstellt. 31.532 Menschen wurden dort von Januar bis November 2013 getötet, das sind etwa vier pro Stunde. Die meisten Todesfälle hängen mit der organisierten Kriminalität zusammen – und deren Hauptgeschäft ist der Drogenexport in die USA. Nach Daten der US-Regierung haben 2011 etwa 18 Millionen US-Bürger Marihuana geraucht; zu Kokain griffen 1,4 Millionen Menschen.

Die Prohibition dieses Konsums erschüttert ganze Staaten südlich des Rio Grande. Das Instituto Mexicano para la Competitividad geht davon aus, dass die Kartelle im letzten Jahr 6,1 Milliarden Dollar mit dem Drogenexport in die USA eingenommen haben. Aus Südamerika herangeschafftes Kokain habe dabei 2,6 Milliarden Dollar, in Mexiko angebautes Marihuana rund zwei Milliarden Dollar Profit abgeworfen.

Mit dem Geld bauen die Narcos neue Geschäftszweige auf. Die aus dem „La-Familia“-Kartell hervorgegangenen „Tempelritter“ sind in das Eisenerzbusiness eingestiegen, die „Zetas“ schmuggeln Waffen und Menschen. Und auch wenn das Pentagon, anders als 2009, nicht mehr warnt, Mexiko drohe ein „Failed State“ zu werden: Die Narcos unterwandern den Staat. Mit Geld und Terror sichern sie sich die Loyalität korrupter Beamter, in vielen Provinzen bilden sich deshalb Bürgerwehren.

Lateinamerika bewegt sich

Die Kokainanbauregionen in Südamerika leiden unter den Narco-Kartellen, ebenso die von den Maras-Banden gebeutelten Staaten Mittelamerikas. Eine Legalisierung von Marihuana und Kokain könnte diesen mörderischen Kreislauf zumindest eindämmen. Sie entzöge den Kartellen ihre Haupteinnahmequelle. Eine bessere Strategie gegen die Narcos hat bislang noch niemand präsentiert.

In weiten Teilen Lateinamerikas distanziert man sich daher von der Prohibition: Uruguay hat Marihuana legalisiert. Der rechte Präsident Guatemalas, Exgeneral Otto Pérez Molina, wirbt für die Legalisierung, ebenso El Salvador. Kolumbiens Präsident Juan Manuel Santos sagt: „Es gibt wohl kaum jemanden, der die Drogenkartelle und den Drogenhandel mehr bekämpft hat als ich. Andererseits muss man offen sagen: Nach 40 Jahren sind wir kein Stück weitergekommen.“

Sinn hat die Legalisierung nur, wenn Latein- und Nordamerika an einem Strang ziehen. Ein Alleingang Mexikos gegen den Willen der US-Regierung ist undenkbar. Die aber versucht auf allen diplomatischen Kanälen, eine Aufweichung der Prohibition zu verhindern – obwohl laut einer Gallup-Umfrage selbst 58 Prozent der US-Bevölkerung eine Legalisierung befürworten. Warum sind reaktionäre Hardliner aus Lateinamerika in dieser Frage fortschrittlicher als Obama? Die Antwort lautet: weil die Prohibition eine wichtige Stütze der US-amerikanischen Sozialpolitik ist.

US-Sozialpolitik uner Bill Clinton

Zu verstehen ist dies nur durch einen Blick zurück. Auf Druck der Bürgerrechtsbewegung hatte Präsident Lyndon B. Johnson Anfang der 1960er Jahre den „War on poverty“ ausgerufen und den Sozialstaat massiv ausgebaut. Die Erfolge waren zunächst beachtlich. Doch ab den 1970er Jahren war eine wachsende „Neue Unterschicht“ auf die Sozialleistungen angewiesen: ein durch Deindustrialisierung überflüssig gewordenes, meist afroamerikanisches Proletariat. Konservative Wissenschaftler machten in diesem urbanen Milieu bald eine „Kultur der Armut“ aus. Sie sollte schuld sein an der großen Zahl alleinerziehender, von Sozialhilfe abhängiger Mütter, der hohen Kriminalitätsrate, dem zunehmenden Drogenkonsum.

Es war Bill Clinton, der 1992 mit dem Versprechen antrat, die „Sozialhilfe, wie wir sie kennen, zu beenden“. Vier Jahre später machte er seine Ankündigung wahr: Der Personal Responsibility Act – das amerikanische Pendant zur Agenda 2010 – schaffte den Rechtsanspruch auf Fürsorge weitgehend ab. Bis 2011 stieg die Zahl der Armen in den USA von 35 Millionen auf fast 47 Millionen an. Im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung sanken bis 2008, nämlich bis zur Finanzkrise, die Sozialausgaben. Clinton folgte damit dem neoliberalen Zeitgeist. Sein Projekt lief auf eine Reformulierung sozialer Ungleichheit als Verhaltensproblem hinaus: Arm ist, wer faul ist. Das war und ist die Logik.

DrogenkonsumentInnen wurden vom Bezug ganz ausgeschlossen. Wer Sozialhilfe beziehen will, was de facto nur noch Frauen möglich ist, muss sich Drogenscreenings unterziehen.

Der strafende Staat

An die Stelle des Sozialstaats trat der strafende Staat. Viele erwerbslose Männer werden durch das Straf- und Betäubungsmittelrecht in einen fast lückenlosen Zyklus von Inhaftierung, Entlassung unter Auflagen und Bewährungsstrafen hineingezogen. Stete Verschärfungen des Strafrechts machten die USA zum größten Gefängnis der Welt: Das Land hat 5 Prozent der Weltbevölkerung, aber 25 Prozent aller Häftlinge. Ein Großteil von ihnen sitzt wegen Drogenvergehen, ehemalige Häftlinge sind seit 1998 fast immer lebenslänglich von Wohn- und Sozialhilfe ausgeschlossen.

Die meisten Inhaftierten sind Angehörige der afroamerikanischen oder der Latino-Minderheit. Das ist so gewollt: Bis heute steht auf den Besitz des vor allem von Schwarzen konsumierten billigen Cracks eine 18-mal so lange Haftstrafe wie auf den Konsum der Oberschichtsdroge Kokain. Die Verbesserung ist Obama zu verdanken. Vorher war das Strafmaß 100-mal so hoch.

Die Clinton’sche Sozialhilfereform machte aus einem Rechtsanspruch eine repressive Verwaltung der Armut. Diese Wende wurde in dieser Konsequenz durch die repressive Drogenpolitik überhaupt erst möglich. Die Millionen Drogenhäftlinge dienen als Beleg für die behauptete „Kultur der Armut“, in der sich angeblich Arbeitsscheu und Delinquenz verfestigen – frei nach dem Motto: Für die Lebensmittelmarken dieser Kriminellen sollen wir Steuern zahlen?

Der „Krieg gegen Drogen“ hat den „Krieg gegen Armut“ abgelöst.

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Christian Jakob
Reportage & Recherche
Seit 2006 bei der taz, zuerst bei der taz Nord in Bremen, seit 2014 im Ressort Reportage und Recherche. Im Ch. Links Verlag erschien von ihm im September 2023 "Endzeit. Die neue Angst vor dem Untergang und der Kampf um unsere Zukunft". 2022 und 2019 gab er den Atlas der Migration der Rosa-Luxemburg-Stiftung mit heraus. Zuvor schrieb er "Die Bleibenden", eine Geschichte der Flüchtlingsbewegung, "Diktatoren als Türsteher" (mit Simone Schlindwein) und "Angriff auf Europa" (mit M. Gürgen, P. Hecht. S. am Orde und N. Horaczek); alle erschienen im Ch. Links Verlag. Seit 2018 ist er Autor des Atlas der Zivilgesellschaft von Brot für die Welt. 2020/'21 war er als Stipendiat am Max Planck Institut für Völkerrecht in Heidelberg. Auf Bluesky: chrjkb.bsky.social
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11 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • Da ist was Wahres dran, dennoch gab es die Prohibitation und Drogenkriminalisierung schon lange vor der Clinton'schen Abschaffung des Sozialstaates. Viele Studien belegen, wie das Verbot von Drogen nach und nach als Bekämpfung von Einwanderern benutzt wurde, zunächst Alkohol gegen die Iren (war aber gesamtgesellschaftlich zu populär), Crack gegen Schwarze (die lasche Verfolgung des unverpanschten Kokains wurde erwähnt), Marihuanna gegen Hispanics (bis die weiße Hippie-Mittelschicht es entdeckte, dann wurde es erlaubt, nach dem Hype wieder verboten und nun wieder erlaubt), Opium gegen die Asiaten (während es für reiche Abhängige in Apotheken mit Rezept erhältlich war), etc. Außerdem werden Drogen als Feindbild gebraucht, wenn gerade kein großer Krieg oder Terror stattfindet bzw. die Russen, Kommunisten, Außerirdischen ein schlechtes Feindbild abgeben.

  • 7G
    738 (Profil gelöscht)

    Organisierte Kriminalität kann sich nur etablieren wenn der Staat versagt, bzw. die Bürger kein Vertrauen in die staatlichen Instanzen haben. Die Legalisierung von Drogen hat damit relativ wenig zu. Kriminelle Banden werden immer ein Betätigungsfeld finden, sie weichen dann auf Menschen- oder Waffenhandel aus. Solange sich die US-Regierung allerdings weigert mit "linken" Regierungen zusammenzuarbeiten, solange wird das Nord-Süd Gefälle dazu führen, dass weder die USA noch die lateinamerikanischen Staaten eine stabile Zivilgesellschaft aufbauen.

  • „Personal Responsibility Act“

     

    Leute, die Arm sind und denen es dreckig geht, müssen also „mehr Verantwortung für sich übernehmen“. — das hätten sich FDP, CDU und post-SPD auch nicht schöner ausdenken können, was?

     

    Die Gefängnisentwicklung in den USA ist übrigens wirklich unfassbar. Verfünfacht seit Beginn der 80er.

    http://en.wikipedia.org/wiki/Incarceration_in_the_United_States

  • 2 verschiedene Aussagen in ein und dem selben Artikel...,

     

    Daher sind die US-Amerikaner gegen die Legalisierung.

     

    ...selbst 58% der US-Bevölkerung eine Legalisierung befürworten.

     

    mehr gibt es zu diesem Artikel nicht zusagen, einfach nur gefährliches Halbwissen...,

  • "Arm ist, wer faul ist. Das war und ist die Logik."

    Ich selbst habe einige Zeit in den USA gelebt und meiner Einschätzung nach trifft man dieses Denken tatsächlich recht häufig dort an. Es ist sicherlich in den Köpfen vieler US-Politiker fest verankert.

     

    Was ich jedoch nicht verstehe ist, wenn dem so ist, warum investiert man das viele Geld, dass man in den Polizei- und Justizapparat steckt nicht in eine vernünftige Sozialpolitik?

     

    Alles in allem aber ein toller Artikel, solche Analysen findet man leider selten in den Tageszeitungen.

    • @SomeoneOutThere:

      "Was ich jedoch nicht verstehe ist, wenn dem so ist, warum investiert man das viele Geld, dass man in den Polizei- und Justizapparat steckt nicht in eine vernünftige Sozialpolitik?"

       

      http://www.heise.de/tp/artikel/26/26902/1.html

  • Ich beschäftige mich selbst mit dem Thema seit einiger Zeit, aber was Sie hier postulieren ist eine ziemlich krude These, wenn auch interessant.

    Soll heißen, dass Sie dafür ein paar mehr Argumente brauchen. So wie ich das sehe, erwächst die verfehlte US-Amerikanische Drogenpolitik aus der Kombination eines christlichen Sündedenkens und einem problematischen Verständnis davon wofür Strafrecht eigentlich da ist. Letzteres hängt mit einem christlichen Sühnedenken zusammen. Vieles andere ist Konsequenz - man muss hier vorsichtig sein und unterscheiden zwischen den Motiven derjenigen, die diesen Wahnsinn in die Welt gesetzt haben und den Motiven derjenigen, die davon aktuell profitieren.

     

    Da Sie sich offensichtlich für die Thematik interessieren, kann ich "The New Jim Crow" von Michelle Alexander empfehlen. In diesem Buch wird die These geäußert - und ziemlich gut untermauert, dass der "War on drugs" vorrangig ein System der Rassenkontrolle ist.

  • "Ein Großteil von ihnen sitzt wegen Drogenvergehen"

     

    Das ist eine Behauptung, die man mit konkreten Zahlen untermauern sollte, ich glaube nicht, dass das so stimmt. Da kommen in sehr vielen Fällen sicherlich noch andere Delikte (Beschaffungskriminalität) hinzu.

  • 8G
    8378 (Profil gelöscht)

    nice

  • Es wäre vielleicht auch noch die Rolle der US-amerikanischen Waffenproduzenten in diesem "Krieg gegen die Drogen" zu erwähnen

  • Das sind doch alles nur Verschwörungstheorien...

     

    Nein, im Ernst, sehr guter Artikel.