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Debatte DDR-KunstVorbei und nicht vergessen

Kommentar von André Thiele

Die DDR war ein Desaster - aber auf ihre Dichter mag man nicht verzichten. Wie es kommt? Es liegt am Zwang zum Sinn.

Peter Sodann hütet einen großen Schatz: Eine eigene Bibliothek reinster DDR-Literatur. Bild: dpa

D ie DDR war ein kleines, raubeiniges Territorialfürstentum, hart am Rand zum westlichen Polen. Sie entstand, weil die Sowjetunion es wollte, und sie verging, weil die Sowjetunion es wollte. Als die DDR abstarb, war sie 40 Jahre alt, in Staatskreisen also ein Säugling. Die UdSSR als Mutter des Würmchens, kaum älter, krepierte bald darauf ebenfalls - ein rührendes Kindbettdrama.

In unserer Vergangenheit hat es derlei Staatskäffer in Hülle und Fülle gegeben. Sie kamen und gingen. - Warum weiß uns die DDR zu beschäftigen?

Die DDR beschäftigt uns mittels ihrer zurückgelassenen Kunst. Was immer man ihr, mit Fug oder Unfug, vorwerfen mag, an einer Erkenntnis kommen Übel- wie Wohlgesinnte nicht vorbei: dass sie eine Kunst hervorgebracht hat, die ihresgleichen sucht.

ZUM AUTOR

André Thiele ist Autor und Verleger in Mainz. 1997 nahm er Kontakt zu dem Dramatiker Peter Hacks auf und unterstützte ihn bis zu dessen Tod bei literaturwissenschaftlichen Recherchen. Zuletzt erschien von Thiele: "Eine Welt in Scherben. Essays und Historien".

Um Missverständnisse zu vermeiden: 99 Prozent dessen, was man in der DDR halt Kunst nannte, taugt natürlich nichts. Das ist immer so und ist nirgends anders. Aber die DDR hatte so eine Weise, in diesen 99 Prozent ganz besonderen Mist zu bieten, denn es kam dort zum künstlerischen Unvermögen immer noch diese zwanghafte Art, politische Bekenntnisse abzulegen, die Hammer-und-Sichel-Lyrik, die Wir-packen-das-Romane und die Bisschen-dagegen-Filme. Lourdes für Atheisten, "Schwarzwaldklinik" für Unsentimentale, Micky Maus für solidarisch Gesinnte. - Aus und vorbei.

Wir sprechen hier von Kunst im engeren Sinne, im Sinne von Dauer. So viel Ewigkeitsahnung trägt doch jeder in sich, dass er weiß, dass mit solcher Kunst nicht Christa Wolf und ganz sicher nicht Günter Grass gemeint ist. Wir sprechen aber zum Beispiel von Peter Hacks, von Heiner Müller, von dem erst noch zu entdeckenden Alfred Matusche, vom eben gestorbenen Jochen Berg. Die BRD hatte auch wen - oje, ich überlege gerade, wen ich nun nennen soll. Na ja, irgendwen wird sie gehabt haben, aber keinen jener Art und Güte.

Die Liste derer, die die DDR uns hinterlassen hat, ist kurz, aber bedeutend. Mindestens Tübke gehört noch her, diese werkgewordene Wiedergutmachung der Verbrechen Picassos und van Goghs.

Warum aber hatte sie so sehr Herausragende? Was einen Staat ausmacht, und es gibt kein Individuum in ihm, das hierdurch nicht betroffen wäre, ist der Umgang mit der Frage nach dem Weltganzen. Hiervon hängt alles ab. Ein Staat muss nicht auf alles eine Antwort haben, auf die Frage, was die Welt ist und was in ihr er sein will, muss er.

Wir bilden uns viel auf den Trick ein, der Frage nach den Grundsätzen auszuweichen. Alle Antworten sind gleich richtig!, sagen die einen. Alle Antworten sind sinnlos!, wissen die anderen. Antworten sind allesamt Metaphysik!, behaupten wieder welche.

Es ist die Grundtorheit unserer Epoche, zu glauben, die grundsätzlichen Fragen ließen es sich gefallen, unbeantwortet zu bleiben. Die DDR hat diesen Wahnsinn nicht geteilt. Sie hat ihre Antwort formuliert, und sie hat dies eindeutig, schlüssig und verbindlich getan. Sie hat jeden gezwungen, sich zu ihrer Antwort zu positionieren, und dies zum Teil mit schlimmen Methoden.

Es gab das in der DDR und in Fülle: die barbarischen Konsequenzen des Setzens von Sinn mit staatlichen Mitteln. Aber was denn haben wir? Die barbarischen Konsequenzen der Behauptung, das Setzen von Sinn sei sinnlos. Können wir uns sicher sein, dass unsere "der Preis der Freiheit" genannten Barbareien, quando iudex est venturus, so sehr viel milder beurteilt werden als die der anderen?

Ein Teil der Antwort, den die DDR gab, war, dass sie sich als ein Staat verstand, dessen Geschicke von seinen Bürgern bewusst geplant werden. Lassen wir ruhig außer Acht, was wirklich war: Was sein sollte, war bedeutsam, denn es bedeutete, dass es für den Staat DDR auf den Inhalt des Bewusstseins der seine Geschicke planenden Menschen entscheidend ankam.

Wenn ein Staat anfängt, in den Köpfen seiner Bürger herumzuwühlen, um nur ja sicherzustellen, dass sich darin das befindet, was er als Sinn gesetzt hat, dann hat das notwendig schroffe Folgen. Unser Staat wühlt nicht in den Köpfen seiner Bürger herum, weil er überhaupt nicht zu sagen wüsste, wonach er darin suchen soll. Nach Extremismus vielleicht, also nach jedem klaren Gedanken, oder nach nicht erklärten Einkünften; nach Sinn aber nicht, denn ob es einen Sinn gibt, das entzieht sich leider unseres Staates Kenntnis.

Die virtuelle Solipsismusmaschine

Grundsatzfragen, die man ignoriert, werden renitent. Wenn demnächst wieder ein Schulgebäude voll erschossener Menschen, die beim Amoklauf eines an der virtuellen Solipsismusmaschine gedrillten Kindes auf dem Felde der Freiheit geblieben sind, im Fernsehen gezeigt wird, und am Tor davor hängt ein Schild, auf dem "Warum?" geschrieben steht, dann wäre das ein Beispiel für den schwarzen Humor aufmüpfiger Grundsatzfragen.

Was immer also man der DDR vorwerfen mag: Man kann ihr nicht vorwerfen, in den zentralen Dingen faul gewesen zu sein. Sie schuf einen Zwang zur Bewusstheit, und sie schuf einen Zwang zum Sinn, und dieser doppelte Zwang ist die schwere Luft, in der manches Jahrhundertgenie frei atmet.

Liberale Gesellschaften haben viele Vorteile, große Kunst haben sie kaum. Warum auch? Kunst stellt die Frage nach dem Allgemeinen, vermittelt durch das Individuelle, sie greift nach dem Objektiven mit den höchsten Mitteln des Subjekts. Kunst, die dauert, ist in Anspruch und Form nicht wenig diktatorisch. Was soll, wo es kein Verbindliches gibt, die Frage nach dem Allgemeinen? Was soll, wo es kein Objektives gibt, dessen Vermittlung?

Das aber ist, was wir modernen Antiegalitären empfinden: dass es egal ist. Warum ins stickige Theater gehen? Warum im muffigen Museum herumstehen? Mein Auto fährt auch ohne Kunst! Bezug auf das Ganze? Es gibt nur Teile! Atheismus? Schon zu viel Glaube! Revolution? Schon zu viel System! Freiheit? Schon zu viel Zwang!

Eines aber ist seltsam: Wir sind so frei, selbstsicher und unbeschränkt, und doch vermag sie uns zu beschäftigen, die große Kunst der kleinen DDR.

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4 Kommentare

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  • A
    andre.may

    ihre arroganz, herr thiele kotzt mich an. was sie betreiben, ist laut § 168 b ja schon strafrechtlich relevant. zum verständnis. die ddr war meine heimat. mit mauer, stacheldraht, stasi und erich. hat mich im alltag auch nicht sonderlich interessiert. wahrscheinlich hat man sie an der zonengrenze mal tiefen - gefilzt oder sie wussten nicht, was sie mit den 25 ostmark eintrittsgeld anfangen sollten. ich weiß nicht, wo sie ihre geschulte einbildung in kunstfragen erstanden haben. verlegen sie bitte weiter comics oder kinderbücher. da machen sie mit ihrem kunstverständnis hoffentlich meine kinder glücklich. und richten sie nicht über dinge, von denen sie keine ahnung haben. warum sie tübke dann doch noch erwähnen, weiß ich nicht. wahrscheinlich haben sie vorher ddr - kunst - gegoogelt. geändert hat sich doch nur eines: die angebliche diktatur des proletariats ist der knallharten diktatur der arbeitgeber gewichen. menschen fressen ihrem boss für einen hungerlohn aus der hand. und die kunst geht für geld mit jedem ins bett. ich dachte, sowas gibts nur im märchen.

  • S
    Stefan

    Danke, daß mir mal jemand erklärt, warum ich die DDR irgendwie doch besser finde als die BRD.

     

    Mein Ansatz ist auch eher ein grundsätzlicher, tiefer: die DDR scheint mir weniger, eindimensionaler und damit menschlicher verlogen als die BRD. Die Verlogenheit der BRD funktioniert auf höheren Abstraktionsebenen, die sie effektiver und summarisch überlebender machen, die aber dem Gefühl, dem System ausgeliefert zu sein, eine über- und damit unmenschliche Dimension geben.

  • K
    Keks

    Herr ANDRÉ THIELE, an welcher Koksdose haben Sie denn genascht, möchte auch was davon haben.

  • KL
    K L

    Die DDR ist hier gut erkannt, aber eines ihrer Prinzipien zu Unrecht verteidigt. Das hohe Ideal einer Gesellschaft, in der die Individuen nicht konstitutiv asozial leben und denken, ist zu kostbar, als daß man die Frage übergehen dürfte, ob denn die Hände des Staates die rechten sind, Sinn in den Köpfen der Bürger zu pflanzen. Daß der Staat ein "Machtinstrument der herrschenden Klasse" sei, lernte man in der DDR in der Schule. Die einfache Folgerung, daß man einem Machtinstrument keine Position in der kollektiven Meinungs- und Gesinnungsbildung überlassen dürfe (wer hätte die Macht, diesen Akteur zu kontrollieren, zu bändigen?), fehlte dann schon, weil die Ideologie behauptete, daß wir alle rechtens eines Sinnes sein müßten, eben des vom Staat beanspruchten.

    Eine Staatsmaschine dürfte aber doch allenfalls dafür sorgen, daß gewisse Institutionen leben und gedeihen können, etwa gute Schulen, Vorschulen, Volkshochschulen, gute Universitäten, öffentlich wirksame Akademien, intelligente Zeitschriften, vorm Renditedruck geschützte Freiräume überhaupt: also eine kluge Umverteilung von Ressourcen betreiben - aber wenn dann immer noch keine vernünftige Stimme zu hören sein sollte, könnte auch der Staat nichts richten. Sollte ihm denn die Aufgabe zufallen, eine reife, intelligente, selbstbewußte 'Zivilgesellschaft' heranzubilden, befände er sich doch in der Lage Münchhausens, den Boden herzustellen, auf dem er steht. Das war der bolschewistische Weg, und der war hart und opferreich genug, bei wenig beeindruckenden Ergebnissen.

    Vielleicht sollte die DDR uns in dem hier genannten Aspekt eher daran erinnern, daß es an uns, an unserem Witz, unserer Lebenskraft, unserem Mut liegt, den Übergang aus der deutschen Misere schwacher Gesellschaft mit Staats- und Ämterhörigkeit in die normal-kapitalistische Misere schwacher Gesellschaft mit Reklame- und Eigentümerhörigkeit zu verhindern, um einen humanen Weg, jenseits der "Verblödung durch Ware", zu finden. Wem das komisch klingt, den wird auch die DDR-Kunst nicht interessieren.

    Was mehrheitlich fehlte und fehlt, scheint hier im Gegenbild durch: http://tiny.cc/GmSQu . Wann käme ein Deutscher auf die Idee, die "Vitalität des Volkes" gegen den Mechanismus des Staates zu setzen ohne ein Autonomer zu sein?

    "Wenn wir uns nicht selbst befreien, bleibt es für uns ohne Folgen." (Volker Braun)

     

    Gruß,

    KL