Debatte Börse: Ein Klick für sinnvolle Steuern
Riskante Finanzgeschäfte lassen relativ einfach eindämmen. Per Online-Petition kann jetzt ganz einfach Druck auf den Bundestag ausgeübt werden.
A ppell an den Bundestag: Her mit der Finanztransaktionsteuer! Bis zum 3. Dezember kann jede(r) eine Onlinepetition an den Deutschen Bundestag unterzeichnen mit dem Ziel: Einführung einer Finanztransaktionsteuer (FTS). Eingereicht wurde die Petition von einem breiten Bündnis von 37 Organisationen der Zivilgesellschaft (siehe dazu www.steuer-gegen-armut.org). Wenn bis zum 3. Dezember 50.000 Unterschriften zusammenkommen, muss sich der Bundestag mit dem Begehren befassen.
Eine Finanztransaktionsteuer (FTS) schlägt mehrere Fliegen mit einer Klappe. Erstens wird die extrem kurzfristige Spekulation mit Finanzderivaten teurer und dadurch gedämpft. Zweitens würde so die Entwicklung von Wechselkursen, Rohstoffpreisen und Aktienkursen stabilisiert, insbesondere ihre "manisch-depressiven" Schwankungen würden "sediert". Dies begünstigt unternehmerische Aktivitäten in der Realwirtschaft. Und drittens brächte eine solche Steuer einen erheblichen Ertrag, der teils zur Budgetkonsolidierung und teils zur Finanzierung supranationaler Projekte verwendet werden könnte, insbesondere zur Bekämpfung von Armut und Klimawandel in Entwicklungsländern.
Wie könnte eine FTS in Deutschland konkret gestaltet werden und welche Wirkungen hätte sie? Diese Fragen hat das Österreichische Institut für Wirtschaftsforschung (Wifo) in einer Studie untersucht. Dabei wird ein neues Steuerkonzept zugrunde gelegt: Sämtliche Transaktionen mit Finanzwerten wie Aktien, Finanz- und Rohstoffderivate, Devisen etc. werden mit einem einheitlichen Satz besteuert (die Tobinsteuer erfasst nur Devisentransaktionen). Eine FTS von 0,05 Prozent bei Börsengeschäften "funktioniert" dann folgendermaßen: Kauft jemand Aktien im Wert von 10.000 Euro, so muss er dafür 2,50 Euro FTS zahlen (die FTS wird je zur Hälfte von Käufer und Verkäufer getragen). Einmalige Transaktionen mit dem Ziel, einen Finanztitel zu halten, werden durch die FTS somit nicht belastet.
ist Wirtschaftsforscher in Wien.
Ganz anders im Fall des "schnellen Trading" mit Derivaten. Beispiel: Eine Bank, ein Hedgefonds oder ein Amateur spekuliert auf Kursschübe des DAX innerhalb des Handelstages ("Daytrading"). Der DAX Future hat einen Basiswert von 25 Euro je Indexpunkt, bei 6.000 Punkten sind dies 150.000 Euro. Erwartet der Händler einen Kursanstieg, so kauft er einen Kontrakt, muss dafür aber nur 5 Prozent als Sicherstellung hinterlegen, also 7.500 Euro. Steigt der DAX um 0,2 Prozent und der Händler verkauft, so hat er 300 Euro gewonnen (0,2 Prozent von 150.000 Euro). Bezogen auf seinen Einsatz von 7.500 Euro, sind das 4 Prozent. An FTS müsste er für Kauf und Verkauf des Futures je 0,025 Prozent des Kontraktwerts berappen.
Die FTS belastet somit Transaktionen umso mehr, je riskanter die Spekulation ist, je "schneller" er spekuliert und je höher sein Spekulationseinsatz ist. Eine FTS verteuert daher gezielt destabilisierende Spekulationsgeschäfte. Das "Ausreiten" von "Minitrends" würde weniger profitabel. Meist dauern Kursschübe ja nur wenige Minuten. Gleichzeitig würden auch die langfristigen Preisschwankungen gemildert. Denn "Bullenmarkt" und "Bärenmarkt" ergeben sich aus der Akkumulation der "Minitrends", und zwar nach folgendem Muster: Ist die Marktstimmung "bullish", so dauern Aufwertungsschübe wenige Minuten länger als Gegenbewegungen.
Mehrere solcher "Minitrends" akkumulieren sich zu einem Kursschub auf Basis von Stundendaten (verstärkt durch die "Systemspieler" - sie folgen den "Minitrends" auf Basis computergesteuerter Spekulationssysteme). Dies bringt einen stufenweisen Aufwertungsprozess auf Basis von Tageskursen hervor und damit eine zunehmende Überbewertung das jeweiligen "asset". Diese lässt den "bull market" früher oder später in einen "bear market" kippen, der sich nach dem gleichen Muster entwickelt: Kursschübe nach unten dauern länger als Gegenbewegungen.
Die Abfolge von "bulls" und "bears" ergibt die für Wechselkurse, Rohstoffpreise, Aktienkurse und sonstige Vermögenspreise typischen "manisch-depressiven" Schwankungen. Der Boom von Aktienkursen und Rohstoffpreisen seit März 2009 baut derzeit wieder ein "Absturzpotenzial" auf.
Finanzwelt frisst Realwirtschaft
Seit 35 Jahren hat sich das Profitstreben "schleichend" von realwirtschaftlichen Aktivitäten zu Finanzinvestition und -spekulation verlagert: Schwankende Wechselkurse, Rohstoffpreise, Aktienkurse und Zinssätze erhöhten die Unsicherheit von Realinvestition und Produktion, gleichzeitig aber auch die Profitchancen von Spekulation. Der Wechsel vom "Realkapitalismus" der ersten Nachkriegsjahrzehnte zum "Finanzkapitalismus" beeinträchtigte die Wirtschaft in Deutschland stärker als anderswo (außer in Japan). Denn traditionell ist sie auf Industrie und Export "fokussiert".
Die "finanzkapitalistische Transformation" hat Deutschland erst in den letzten 20 Jahren erfasst, dafür aber umso stärker. Einige Indikatoren dieses Prozesses: die zunehmende Finanzakkumulation von Industriekonzernen wie Siemens, die Verwandlung der Deutschen Bank in einen global agierenden "Finanzalchemisten", die wachsende Zahl von Amateurtradern (siehe TV-Werbespots von Onlinebrokern, etwa auf n-tv), die Investitionsschwäche des Unternehmersektors und - nicht zuletzt - der Boom der Finanztransaktionen (vom 3fachen des BIP 1990 auf das 67fache 2007). Eine FTS würde diese Entwicklung ein wenig korrigieren und gleichzeitig das Grundgesetz in Erinnerung rufen: "Aus nix wird nix."
Der fiskalische Ertrag einer FTS wäre erheblich: Bei einem Steuersatz von 0,05 Prozent ergäbe sich für Deutschland laut Wifo-Studie ein Aufkommen von 1,14 Prozent des BIP: rund 27 Milliarden Euro, und zwar selbst wenn die Transaktionen als Reaktion auf die Steuer um etwa 65 Prozent sinken würde.
Mit der "großen Krise" hat der Anfang vom Ende des Finanzkapitalismus begonnen. Die Einführung einer generellen FTS wäre ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Zumal bis zum Ende vom Ende noch einige Jahre vergehen werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Ministerpräsident in Thüringen gewählt
Mario Voigt schafft es im ersten Versuch
Syrien nach Assad
„Feiert mit uns!“