Debatte Berufssoldaten in den USA: Frieden schaffen mit Wehrpflicht
Für seine aggressive Strategie in Afghanistan und dem Irak wurde der ehemalige US-General McChrystal hart kritisiert. Nun will er mit Wehrpflicht Kriege verhindern.
F rieden schaffen ohne Waffen, Schwerter zu Pflugscharen, Make Love not War und Give Peace a Chance: Gesellschaften sind sich trotzdem weitgehend einig, dass der Staat ein Militär braucht. Ganz neue Probleme stellen sich, wenn der Staat beschließt, das Kämpfen und Töten auf Berufsstreitkräfte zu verlagern.
In den USA hat nun ausgerechnet der ehemalige General Stanley McChrystal, wegen seiner aggressiven Strategie umstrittener Befehlshaber im Irak und in Afghanistan, zum Nachdenken über die Wiedereinführung der Wehrpflicht aufgerufen. Die US-Berufsstreitkräfte seien eine „außerordentliche Kampfmaschine“, so McChrystal, aber Amerika sollte „verteidigt“ werden von Soldaten, die „repräsentativ sind für die Bevölkerung“.
Und was macht Deutschland, das Land mit der Wehrpflicht? „Deutschland verneigt sich vor ihnen“, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel im April 2010 bei einer Trauerfeier für in Afghanistan gefallene Bundeswehrsoldaten.
Verteidigungsminister Thomas de Maizière äußerte sich dagegen etwas anders in seinem viel kommentierten Interview in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (vom 23. 2.): Manche Soldaten hätten einen „oft übertriebenen Wunsch nach Wertschätzung“, „sind vielleicht geradezu süchtig danach“. Zwischen den Aussagen von Kanzlerin und Minister steht wohl ein gewisses Unbehagen und eine Unsicherheit, vertuscht bei de Maizière mit ministerieller Arroganz.
Die Gefühle der Bevölkerung
ist Journalist und lebt seit Jimmy Carters Präsidentschaft in den Vereinigten Staaten. Zuletzt schrieb er an dieser Stelle über „Die Alzheimer-Staaten. Leiden die Amerikaner unter kollektiven Bewusstseinsstörungen?“
Deutschland will offenbar mehr und mehr mitspielen bei den Militäreinsätzen der Großen. Es gibt praktische und wirtschaftliche Gründe zum Umstellen auf Berufsstreitkräfte. Doch unter dem Strich: Der Staat bezahlt die Leute, die Krieg machen sollen. Das sollen sie dann auch tun. Wehrpflicht ja oder nein – der Rest der Bevölkerung soll nicht unbedingt fühlen, dass weit in fernen Ländern Menschen ihr Leben riskieren. Und töten.
Es ist ein Skandal der „modernen“ Kriege, Irak, Afghanistan plus der Drohnenkriege: Nationen führen Krieg irgendwo weit weg, und es tut nicht weh. Über die Opfer weiß man ohnehin wenig, will man auch wenig wissen: Nicht einmal die Zahl der Toten im Irak ist bekannt. Nur wenige Bürgerinnen und Bürger und erst recht nicht die politischen Entscheidungsträger sind persönlich betroffen. 2004 hat Regisseur Michael Moore in „Fahrenheit 911“ im US-Capitol in Washington nur einen Politiker gefunden, dessen Sohn oder Tochter damals Militärdienst im Irak leistete.
Die Wehrpflicht wurde in den USA 1973 abgeschafft. Es ging damals offenbar nicht mehr anders. Richard Nixon war Präsident, Außenminister Henry Kissinger bekam den Friedensnobelpreis, der Vietnamkrieg ging zu Ende, Veteranen warfen ihre Orden und Medaillen über den Zaun des Weißen Hauses. In den Streitkräften war der Widerstand gegen den Krieg eskaliert: Zehntausende GIs desertieren. Eine Analyse im Armed Forces Journal 1971 kam zum Schluss: „Die Army in Vietnam steht vor dem Zusammenbruch, einzelne Einheiten meiden und verweigern den Kampf … sie bringen ihre Offiziere um …“
Wehrpflicht wider der Freiheit
Auch wenn es viele Söhne der Elite damals schafften, wegen des Studiums oder mit Hilfe von Beziehungen „zurückgestellt“ zu werden vom Militärdienst: 58.000 GIs waren tot, 153.000 verwundet. Insgesamt 3,4 Millionen GIs kamen beim Vietnamkrieg in Südostasien zum Einsatz. Und was man im Fernsehen sah über die Kriegsgräuel: Da wollte man nicht hin; da wollte man nicht, dass der Sohn hin musste. In Nixons Arbeitsgruppe zur Neugestaltung des Militärs soll der Ökonom Milton Friedman („Kapitalismus und Freiheit“) besonders beeindruckt haben: Die Wehrpflicht, sagte er, widerspreche den freimarktwirtschaftlichen Grundzügen der Freiheit.
Die 1,4 Millionen US-Uniformierten heute, 15 Prozent davon Frauen, sind alle Berufssoldaten und -soldatinnen. Das Konzept Profimilitär funktioniert. Es gab im Irak und in Afghanistan kaum Deserteure, von Kampfverweigerungen und von Anschlägen auf Offiziere hat man nichts gehört. Obwohl auch viele Soldaten skeptisch waren. Bei einer Umfrage des Pew Research Center im Herbst 2011 erklärten 96 Prozent der Post-9/11-Veteranen, sie seien stolz auf ihren Dienst. Nur 34 Prozent sagten freilich, die Kriege im Irak und in Afghanistan seien es „wert“ gewesen. 37 Prozent gaben an, sie litten an PTSD (Posttraumatischen Belastungsstörung).
Heer, Luftwaffe, Marine und Marineinfanteristen haben vergangenes Jahr ihre Rekrutierungsziele (insgesamt 67.000) locker erreicht. Gemeinsam haben viele BerufssoldatInnen ihre Familiengeschichten: Etwa die Hälfte stammen aus Familien, in denen Eltern oder nahe Verwandte Soldaten waren oder sind. Liest man die Namen der Gefallenen, fällt auf: Heimatorte vieler Toten sind Dörfer und Kleinstädte. US-Militärs kommen überproportional vom Land, aus dem Süden und dem Mittleren Westen, aus Regionen, die Sarah Palin als das „richtige Amerika“ bezeichnen würde.
Klatschen für die Veteranen
Nur 0,5 Prozent der US-Bevölkerung hat in den Kriegsjahren seit dem Angriff auf Afghanistan im Jahr 2001 in Uniform gedient. Vielerorts kann man durchs Leben gehen, ohne einen Soldaten oder eine Soldatin persönlich zu kennen. De Maizière Ausspruch wäre in den USA freilich undenkbar. Ganz gleich, was man von den Kriegen hält: Mit einem gelegentlich billigen Patriotismus betonen Amerikaner, sie hätten größten Respekt vor den Uniformierten. Flugzeugpassagiere klatschen Beifall, wenn der Pilot verkündet, es seien Veteranen an Bord. Bei Sportveranstaltungen machen die Ansager auf Fahnen, Nationalhymne und Lob für „unsere“ Truppen, die manchmal noch Freikarten kriegen.
Hätte man die Wehrpflicht, so General McChrystal kürzlich in dem Interview mit Foreign Affairs, würde man weniger oft in den Krieg ziehen. Der Trend läuft aber in die entgegengesetzte Richtung. McChrystals Vorstoß wird also verpuffen. Kriege der Zukunft werden mit Robotern geführt, mit Drohnen und im Cyberspace. Man braucht weniger Soldaten zum Ausüben der Macht. Die Versuchung wird groß sein für die Politik, zum Mittel des Krieges (bzw. „Auslandeinsatzes“) zu greifen.
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