Debatte Aufstand in Syrien: Damaszener Stahl
Auf die Proteste reagiert Präsident Baschar al-Assad widersprüchlich. Trotzdem droht ihm wenig Gefahr - weil es zu ihm keine Alternative gibt.
D ie Revolution in Syrien wackelt. Auf den Bildern, die Aktivisten mit ihren Handykameras aufnehmen und ins Internet stellen. Und in der Realität, in der sich viele einzelne Demonstrationen nicht zum landesweiten Volksaufstand ausweiten wollen. Zwar gehen inzwischen täglich Tausende auf die Straße, aber die kritische Masse ist noch nicht erreicht. Vor allem die intellektuelle Elite des Landes und die städtische Mittelschicht verfolgen die Proteste mit Skepsis.
Der Bewegung fehlen deshalb eine intellektuelle Führung, die in ihrem Namen sprechen könnte, und einflussreiche Bevölkerungsschichten wie die der Händler, die effektiven Druck auf das Regime erzeugen könnten. Woher rührt diese Zurückhaltung?
Haben Syriens Intellektuelle nicht seit Jahren die Aufhebung des Ausnahmezustands, mehr Meinungsfreiheit und ein neues Parteiengesetz gefordert? Und leiden die alten Händlerfamilien sowie das politisch entmachtete Bürgertum in Damaskus und Aleppo nicht besonders unter Korruption und Vetternwirtschaft des Regimes? Durchaus. Doch die regimekritischen Vordenker kennen die Methoden der Geheimdienste aus eigener Erfahrung und fürchten ein Blutvergießen, das zu keiner nennenswerten Veränderung führt. Und die Gutverdiener in den Großstädten - Selbstständige, Geschäftsleute und Angestellte der Privatwirtschaft - haben von der wirtschaftlichen Öffnung der vergangenen Jahre profitiert und einiges zu verlieren. Sie fürchten zudem ein gewaltsames und konfessionell aufgeheiztes Chaos wie im Irak.
Kristin Helberg, 37, berichtete von 2001 bis 2009 für die Hörfunkprogramme der ARD, den ORF und den Schweizer Rundfunk sowie verschiedene Printmedien aus der syrischen Hauptstadt Damaskus. Heute lebt sie als freie Journalistin in Berlin.
Angst vor Chaos wie im Irak
Diese Angst sitzt bei den Syrern tief. Nicht nur haben sie den Irak in Sichtweite, sondern in den vergangenen Jahren auch Hunderttausende irakische Flüchtlinge im eigenen Land aufgenommen. Syriens Gesellschaft ist außerdem ähnlich bunt wie die irakische: Eine sunnitische Mehrheit wird von der schiitischen Minderheit der Alawiten beherrscht, es gibt verschiedene christliche Konfessionen, Drusen und Kurden, die mehr kulturelle Rechte fordern. Zwar ist der ehemals sozialistische Staat säkular geprägt und der arabische Nationalismus überdeckt alle religiösen Unterschiede. Dennoch besteht die Gefahr, dass im Falle eines Zusammenbruchs des Regimes politische Konflikte entlang konfessioneller Linien aufbrechen und ausgetragen werden.
Genau diese Angst schürt die Regierung mit ihrer Version der Ereignisse, wonach ausländische Verschwörer und bewaffnete Gruppen Syrien destabilisieren wollten. Wie aber können plötzlich überall im Land Scharfschützen in Zivil auftauchen und mit Maschinengewehren auf Demonstranten schießen, ohne dass die Geheimdienste davon Kenntnis haben? Im besten Fall bedeutet das, dass der Überwachungsstaat Syrien nicht in der Lage ist, seine eigenen Bürger zu schützen.
Die Verantwortung für das Blutvergießen liegt jedenfalls nicht bei den Demonstranten. Sie gehen in friedlicher Absicht auf die Straße, stellen legitime Forderungen und haben mit ausländischen, islamistischen oder sonstigen Verschwörern nichts zu tun. Das zeigen auch ihre Parolen und Plakate, mit denen sie die Einheit des syrischen Volkes über religiöse und ethnische Grenzen hinweg beschwören.
Mode statt Meinungsfreiheit
Ging es zunächst nur um mehr Freiheit, Reformen und ein Ende der Korruption, wird inzwischen offen der Sturz des Regimes und des Präsidenten gefordert. Vor wenigen Wochen war das noch undenkbar, war Baschar al-Assad doch wegen seiner Standhaftigkeit gegenüber Israel und dem Westen durchaus beliebt. Zudem verknüpften viele Syrer mit seiner Machtübernahme im Jahr 2000 die Hoffnung auf Wandel - und wurden zunächst auch nicht enttäuscht. Assad öffnete das Land und liberalisierte die Wirtschaft. Mit der Einführung von Internet, Mobilfunk und Satellitenfernsehen gewann er vor allem Syriens Jugend für sich. Schicke Restaurants statt Rechtsstaatlichkeit, private Banken statt unabhängiger Presse, Modelabels statt Meinungsfreiheit, so das Kalkül.
Politisch blieb jedoch vieles beim Alten: die Alleinherrschaft der Baathpartei, die Macht der Geheimdienste, juristische Willkür, die Verfolgung Andersdenkender, die Kontrolle der Medien. Assad erwies sich als Modernisierer, nicht als Reformer. Genau das erklärt jetzt seinen widersprüchlichen Umgang mit der Krise. Statt den Unruhen von Anfang an den Wind aus den Segeln zu nehmen und sich als arabischer Gorbatschow an die Spitze der Demokratiebewegung zu stellen, lässt er die Waffen sprechen.
Die Armee ist auf seiner Seite
Seine schrittweisen Zugeständnisse bis hin zur Aufhebung des Ausnahmezustands nach 48 Jahren kommen zu spät und dürften an der Krise nicht viel ändern. Wer demonstrieren will, braucht ab sofort eine Genehmigung des Innenministeriums - und die wird er derzeit nicht bekommen. Damit bleiben die Proteste illegal und die Sicherheitskräfte haben wie bisher freie Hand, sie zu zerschlagen. Assads versöhnliche Gesten wie die Freilassung von Gefangenen, die Treffen mit Delegationen verschiedener Städte und das Kondolieren bei Angehörigen der Opfer wirken unglaubwürdig, wenn gleichzeitig scharf geschossen und willkürlich verhaftet wird.
Im Unterschied zu Tunesien und Ägypten stehen Militär und Geheimdienste in Syrien bisher geschlossen hinter der politischen Führung. Nicht nur, weil sich in ihren Reihen überproportional viele Angehörige der herrschenden Minderheit der Alawiten befinden, was zusätzliche Loyalität schafft. Auch haben Baschars Bruder Maher und sein Schwager Asef Schaukat Schlüsselrollen in der Führung der Streitkräfte und Geheimdienste. Machtkämpfe um den richtigen Kurs des Regimes sind deshalb immer auch eine Familienangelegenheit.
Solange es keine organisierte Opposition gibt, mit der das Regime verhandeln könnte, ist eine politische Lösung der Krise schwer vorstellbar. Präsident Assad erscheint mittelfristig ohne Alternative. Nicht nur in Syrien, sondern auch in den Nachbarländern und im Westen halten viele an ihm als Garant stabiler Verhältnisse fest. Zu viele Fäden laufen in Damaskus zusammen, als dass sich der Nahe Osten ein Syrien leisten könnte, das im Chaos versinkt.
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