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Debatte Armut und ReichtumDie gespaltene Gesellschaft

Kommentar von Christoph Butterwegge

Die Leistungseliten igeln sich ein, Hartz-IV-Bezieher driften in haßerfüllte Paralleluniversen ab. Die Brücken scheinen abgebrochen.

A rmut ist nicht aus sich heraus, sondern nur im Kontext ihres Pendants, des Reichtums, wirklich zu verstehen. Daher kann man, eine berühmte Sentenz Max Horkheimers über den Zusammenhang von Kapitalismus und Faschismus abwandelnd, mit einiger Berechtigung formulieren: Wer vom Reichtum nicht sprechen will, sollte auch von der Armut schweigen!

Armut und Reichtum stehen zueinander in einem dialektischen Wechselverhältnis, was sich am Beispiel der kapitalistischen Profitwirtschaft zeigt. Der dieser innewohnende Drang nach Gewinnmaximierung und die Tendenz zur Verarmung eines Teils der Bevölkerung gehen Hand in Hand. Deshalb kann Armut im Rahmen der bestehenden Gesellschaftsordnung nicht durch zunehmenden Reichtum beseitigt werden, da beide systembedingt und konstitutive Bestandteile des Kapitalismus sind. Schon Hegel hatte in seiner "Rechtsphilosophie" festgestellt, "daß bei dem Übermaße des Reichtums die bürgerliche Gesellschaft nicht reich genug ist, d.h. an dem ihr eigentümlichen Vermögen nicht genug besitzt, dem Übermaße der Armut und der Erzeugung des Pöbels zu steuern."

Gleichwohl würde eine Stärkung der Massenkaufkraft die Konjunktur ankurbeln sowie die Kluft zwischen Arm und Reich zumindest ansatzweise schließen helfen. Vor allem die Kaufkraft der untersten Einkommensgruppen, etwa durch eine generelle Anhebung der Grundsicherung (Hartz IV) dauerhaft zu erhöhen, wäre nicht bloß sozial gerecht, vielmehr auch ökonomisch sinnvoll.

Reichtum bedeutet die Möglichkeit, wirtschaftlich und politisch Macht auszuüben, wie Armut umgekehrt bedeutet, ökonomische und soziale Ohnmacht zu erfahren. Wieder geht es nicht bloß um Geld, obwohl dieses das Fundament des privaten Reichtums bildet. An dem Grundproblem, dass auf den Finanzmärkten nicht zuletzt durch spekulative Geschäfte fast über Nacht riesige Vermögen entstehen und manchmal auch genauso schnell wieder vergehen, wird eine internationale Kontrollinstanz, eine strengere Bankenaufsicht und mehr Transparenz in diesem Bereich, wie sie die G-20-Staaten planen, wenig ändern.

In einer wohlhabenden Gesellschaft, die den Anspruch erhebt, sozial, gerecht und demokratisch zu sein, müssen Armut, sofern sie nicht auf Einzelfälle beschränkt ist und man ein persönliches Versagen der davon Betroffenen unterstellen kann, wie Reichtum, der ein vernünftiges Maß übersteigt, öffentlich gerechtfertigt werden. Dies geschieht primär über die Lehre, wonach es Leistungsträgern in der Sozialen Marktwirtschaft besser geht und besser gehen soll als den weniger Leistungsfähigen oder gar den "Leistungsverweigerern", "Faulenzern" und "Sozialschmarotzern". Dass es sich hierbei um einen Mythos handelt, merken immer mehr Bürger/innen. Ihnen bleibt nicht verborgen, dass sich die Leistungseliten auf geradezu inzestuöse Weise hauptsächlich aus ihrem eigenen Herkunftsmilieu reproduzieren und eine "geschlossene Gesellschaft" bilden. Gleichzeitig vertreten sie ihre Interessen heute auch sehr viel massiver und rücksichtsloser als in der "alten" Bundesrepublik, weil sich seither die Kräfteverhältnisse zwischen Kapital und Arbeit spürbar zu ihren Gunsten geändert und ideologische Deutungsmuster an Bedeutung gewonnen haben, die ihre soziale Privilegierung legitimieren.

Früher verkörperten die Armen ein "soziales Worst-case-Szenario" für Gesellschaftsmitglieder, die sich nicht systemkonform verhielten; ihnen blieb jedoch (fast) immer die Hoffnung, ihre Lage durch eigene Anstrengungen und/oder glückliche Fügungen des Schicksals zu verbessern. Auch wenn diese Erwartungen fast nie erfüllt wurden, steckte darin ein wichtiger Lebensimpuls, der sonst schwer vergleichbare Gruppen miteinander verband, weil soziale Grenzlinien zumindest prinzipiell - wiewohl real eben nur im Ausnahmefall - überwunden werden konnten. Armut diente also der Disziplinierung, Motivierung und Loyalitätssicherung. Die (Angst vor der) Armut war ausgesprochen nützlich für den Fortbestand des politischen und Gesellschaftssystems.

Wenn die bestehende Wirtschaftsordnung statt sozialer Gerechtigkeit sowohl vermehrt Armut wie auch immer größeren Reichtum schafft, muss sie diese Ungleichverteilung der gesellschaftlichen Ressourcen und der Lebenschancen rechtfertigen, um ihre Legitimationsbasis nicht zu verlieren. Vor allem in einem Land, das nach wie vor unter dem geistig-politischen Einfluss des Neoliberalismus steht und daher stark auf Leistung und ökonomischen Erfolg setzt, bedeutet Armut nicht bloß, dass ein Mangel an prestigeträchtigen Konsumgütern besteht, sondern auch, dass hiermit ein Makel verbunden ist, der das Selbstwertgefühl Betroffener erschüttert.

Breitet sich die Armut in einem reichen Land aus, wird ein Großteil der Bevölkerung marginalisiert, die Menschenwürde gleich massenhaft verletzt und den Betroffenen "strukturelle Gewalt" (Johan Galtung) angetan. Arme und Reiche leben in einem permanenten Spannungsverhältnis, das sich zur sozialen Zeitbombe entwickeln kann, während Politik, Staat und Verwaltung nicht selten die Armen anstelle der Armut bekämpfen, statt für einen gerechten sozialen Ausgleich zu sorgen.

Die zunehmende soziale Spaltung erhöht nicht bloß das Konflikt- und Gewaltpotenzial der Gesellschaft, vielmehr auch die Wahrscheinlichkeit einer Krise der politischen Repräsentation. Wenn die Lebensverhältnisse der Mitglieder einer demokratisch verfassten Gesellschaft, d.h. Armut und Reichtum immer stärker auseinander klaffen, kann sich eine latente Bürgerkriegsstimmung ausbreiten.

Wer die brisante Mischung von berechtigter Empörung, ohnmächtiger Wut und blankem Hass auf fast alle P(arteip)olitiker/innen unseres Landes kennt, wie sie wohl nur in Versammlungen von Hartz-IV-Bezieher(inne)n existiert, kommt zu dem Schluss, dass innerhalb der Bundesrepublik längst zwei Welten oder "Parallelgesellschaften" existieren und die Brücken dazwischen endgültig abgebrochen sind.

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5 Kommentare

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  • T
    TOM

    unter anderem arbeite ich oft mit Menschen aus dem unteren Drittel der Gesellschaft. Dabei läßt sich feststellen, dass der Glaube, dass es sich um eine homogene Gruppe handele, falsch ist. Ich finde dort gebildete Menschen und ungebildete Menschen, Menschen, denen es an Geist für Bildung fehlt und völlige Überflieger. Diesen Menschen ist nur eines gemein:

    Sie sind Hartzi´s, sie haben wenig Geld, sie haben oft keine Chance mehr, für viele ist das Amt der Feind und es gibt keine Hoffnung aus dem Dreck wieder raus zu kommen. Sicher, für manchen findet sich auch mal ein Arbeitsplatz, aber die meisten Arbeitsplätze sind Prekariatsjobs und die Bezahlung ist unterirdisch.

    Die Reaktion der Mehrheit in dieser Gruppe der Ausgekotzten ist es, den Kopf in den Sand zu stecken und manchmal die Melancholie irgendwie zu betäuben.

    Wunderbar beschrieb G. Hauptmann diese Stimmung in seiner Geschichte vom Bahnwärter Thiel. Und genau in diese Atmosphäre steuern wir wieder hinein.

  • RD
    Richard Detzer

    Dem Zustandsbild der Gesellschaft stimme ich zu. Bezogen auf den Grundansatz zur Wechselbeziehung zwischen Armut und Reichtum werden alte Theorien ausgepackt und Kardinalfehler gemacht. Hier könnte man schlauer sein. Keine Änderung in Sicht!

  • V
    vic

    Ein guter Beitrag und ich finde mich darin wieder. Ganz unten, als Rentner - also als Sozialschmarotzer.

    Auch korrekt:

    In diesem Staat wird der Arme bekämpft, nicht die Armut.

    Dieses Prinzip ist übrigends weltweit üblich.

    Und das zu Gunsten der Sozialschmarotzer auf den oberen Rängen.

  • P
    Penrose

    Lässt sich das ändern? Man sollte nicht vergessen, dass die Periode 1949 - 1973 und deren Ausläufer eine historische Ausnahme war. Die Kluft zwischen Arm und Reich ist ein sehr altes, ubiquitäres Phänomen, man kann sagen so alt wie wie die Menschheit. Auch im reichen und modernen Amsterdam des 17. Jahrhunderts wurden die Armen in die Aussenbezirke der Stadt abgeschoben. Der Unterschied von heute zu damals: In vergangenen Zeiten konnten die Menschen noch hoffen, ohne von einer Kapital- und Rentabilitäsdiktatur tyrannisiert zu sein, sie konnten beispielsweise auswandern, ohne ein Visum beantragen zu müssen, in ein Land, das Zukunft versprach. Aber welche Zukunft hat ein qualifizierter Mitbürger, der mit 45/50 Jahren vom Arbeitsmarkt ausgesondert wird und schliesslich als Abgehängter und Überflüssiger von der Gesellschaft dauerhaft ausgegrenzt wird?

    In Frankreich gibt es den gängigen Spruch "Hoffnung erhält am Leben". Die Ware Hoffnung wird für viele immer schwerer erreichbar und das ist wohl das grösste Problem. Und der Mangel an Hoffnung führte zur französischen Revolution von 1789.

  • LP
    Ludwig Paul Häußner

    Jeder nach seine Fähigkeiten - jedem nach seinen Grund-Bedürfnissen oder für ein bedingungsloses Grundeinkommen

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    Leider klingen Herrn Butterweges Äußerungen wenig hoffnungsvoll.

     

    Herr Butterwege weiß wohl um das bedingungslose Grundeinkommen als soziale Basisinnovation, fordert es aber - in diesem Kommentar - nicht, damit Millionäre auch keines bekommen. Dabei braucht die nachindustrielle Gesellschaft soziale Basisinnovationen. Gerechtigkeit als Fairness (nach dem Philosophen John Rawls) bedeutet: Jeder nach seinen Fähigkeiten und jedem nach seinen Grundbedürfnissen. Die sozialen Basisinnovationen dafür sind ein System der Ausgabensteuer - das Einkommen wird erst beim Ausgeben versteuert, damit sich Initiative und Leistung entfalten können - und ein bedingungsloses Grundeinkommen als Generaltransferzahlung aus der volkswirtschaftlichen Wertschöpfung mit Hilfe einer höheren Mehrwertsteuer von 25 Prozent.

     

    Statt nur über Armut zu forschen ist es Zeit auch zukunftsweisende Lösungswege aufzuzeigen, deshalb Grundeinkommen und Ausgabensteuer.

     

     

    Ludwig Paul Häußner

    Universität Karlsruhe (TH) - IEP