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Debatte AfghanistanDas böse Wort mit K

Kommentar von Eric Chauvistre

Ein Jahr nach dem Luftangriff von Kundus werden die Folgen der deutschen Kriegsbeteiligung in Afghanistan von der Politik immer noch schöngeredet.

Symbol für die Demontage des Bildes der Bundeswehr als Kuschelarmee: einer der Tanklastzüge in Kundus, Bild: ap

D ie Bundestagswahl war nur drei Wochen entfernt, der Wahlkampf eher langweilig. Platz wäre gewesen für eine politische Auseinandersetzung mit dem Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan. Doch in Deutschland sollte das, was da knapp sieben Flugstunden südöstlich von Berlin im Auftrag des Parlaments passiert, vor der Wahl ebenjenes Parlaments kein Thema sein. Der Afghanistankrieg sollte nicht einmal so genannt werden dürfen. Das K-Wort war tabu, auch darin war sich eine ganz große Koalition aus Union, SPD, FDP und Grünen einig.

Nicht Taliban oder Aufständische, nicht wie befürchtet die militärischen Gegner, bombten das ungeliebte Thema Afghanistankrieg dann auf die politische Agenda, die Bundeswehr selbst tat es. In der Nacht zum 4. September 2009 forderte der Kommandeur des deutschen Lagers in Kundus bei den US-Streitkräften ein Bombardement auf zwei von Aufständischen entführte Tanklaster an. Sie hatten sich bei der Durchfahrt durch den Kundus-Fluss festgefahren. Die Bundeswehr hatte, nach derzeitiger Schätzung, 91 Tote zu verantworten.

Mit den Bomben im Flussbett des Kundus brach ein Konstrukt zusammen, das erstaunlich lange gehalten hatte: Deutschland führt keinen Krieg. Und sollten wir doch so etwas Ähnliches tun, dann machen wir das viel besser und sensibler als diese rüpelhaften Amis. Gern etwa stellte man in Bundestagsdebatten heraus, dass die deutschen Tornado-Jets nur das Land erkunden, aber weder schießen noch bomben dürfen. Dabei wurde dann gern verschwiegen, dass die Bundeswehr schon seit Jahren immer wieder US-Kampfflugzeuge zur Luftunterstützung am Boden anforderte. Wir bomben nicht, wir lassen bomben. Nun war es ausgerechnet ein deutscher Oberst, der US-Bombern die Einsatzorder für einen besonders fatalen Einsatz gegeben hatte. Deutschland war mitten im Krieg.

Halbherzige Untersuchung

Der Untersuchungsausschuss, der selbstverständlich erst lange nach der Bundestagswahl eingesetzt wurde, hätte die Gelegenheit geboten, endlich dem Parlament und der Öffentlichkeit ein realistisches Bild der Kriegsführung in Afghanistan und speziell in der Region Kundus zu bieten. Der Ausschuss hätte die Gelegenheit geboten, die Widersprüche aufzudecken: zwischen der politischen Zielsetzung und der militärischen Umsetzung vor Ort.

Stattdessen nutzte die Opposition dieses schärfste parlamentarische Instrument fast ausschließlich dazu, die Umstände der Entlassung eines Staatssekretärs und des Generalinspekteurs durch den neuen Wehrminister Guttenberg zu klären. Statt die Kriegsführung in Afghanistan zu untersuchen, ging es SPD und Grünen einzig darum, einen Minister zu demontieren. Und Union und FDP wollten das offensichtliche Debakel von Kundus als reinen Ausrutscher darstellen. Suggeriert wurde: Mit ein paar, inzwischen umgesetzten Verbesserungen in der Kommunikations- und Kommandostruktur würde dies nicht mehr vorkommen, der Krieg wieder akzeptabel. An die Kernfragen wollen SPD und Grüne so wenig ran wie Union und FDP.

Das heißt nicht, dass im letzten Jahr nicht über den Einsatz sporadisch gestritten wurde. Doch je demonstrativer die Betroffenheit, desto deutlicher wurde auch, dass die Folgen der Kriegsbeteiligung weiter ausgeblendet werden. So etwa im Februar dieses Jahres, als es um die abermalige Aufstockung des Mandats für den Einsatz in Afghanistan ging. Da beharrte die SPD tapfer darauf, keine zusätzlichen Kampftruppen zu entsenden.

Nur den Namen geändert

Das klang sehr entschlossen, und auf dem Papier setzte sie sich sogar durch. Nur hat all das mit dem Geschehen in Afghanistan wenig zu tun. Wenn sich die Truppen jetzt "Schutz- und Ausbildungsbrigade" nennen, mag das die Gemüter in Berlin beruhigen. An der täglichen Praxis in Afghanistan ändert es wenig bis nichts. Die Einheiten stehen mit neuem Namen nicht weniger im Gefecht als zuvor.

Als im April innerhalb von zwei Wochen sieben deutsche Soldaten in Afghanistan zu Tode kamen, überboten sich Abgeordnete vor allem aus Union und FDP mit Klagen über angeblich mangelnde Ausstattung und unzureichende Ausbildung. Dem einen fehlten die Hubschrauber, der andere wollte gleich mit Leopard-2-Panzern anrollen. Eigentlich, so schwingt es in diesen Äußerungen mit, hätte all das gar nicht passieren dürfen. Die Toten und Verletzten wurden als Folge eines vermeidbaren Unfalls betrachtet, nicht als unvermeidliche Konsequenz der Kriegsbeteiligung.

Gespieltes Erstaunen

Und schließlich demonstrierten auch die Reaktionen auf die Veröffentlichungen der Afghanistan-Akten über Wikileaks im Juli dieses Jahres, dass so mancher Wehrpolitiker noch nicht in der schmutzigen Welt des Krieges angekommen ist. Da beklagten sich insbesondere SPD und Grüne darüber, dass doch tatsächlich US-Spezialeinheiten auch auf dem Gebiet des von der Bundeswehr geführten Nordkommandos gezielt Aufständische jagen.

Dabei muss man schon ziemlich schlecht informiert sein, um den Aufmarsch der US-Truppen im Norden Afghanistans nicht mitzubekommen und ihre Aufgabe nicht zu verstehen. Früher tat man so, als hätten die Deutschen mit den im Süden und Osten agierenden Amerikanern nichts zu tun. Jetzt will man angeblich nicht einmal wissen, was die US-Truppen tun, wenn diese von den Standorten der Bundeswehr aus im Norden Afghanistans agieren.

Das alte Spiel der Verdrängung geht also weiter. Zwar trugen die Luftangriffe vom 4. September dazu bei, die komplette Realitätsverweigerung der deutschen Wehrpolitiker ein wenig aufzulösen. Auch Mitglieder der Bundesregierung sprechen nun von "kriegsähnlichen Zuständen". Und Soldaten vor Ort wird tatsächlich zugestanden, den Krieg um sie herum als solchen zu bezeichnen. Doch auch ein Jahr nach den Bomben auf die Tanklaster wird weiter schöngeredet und verschwiegen. Noch immer haben die politisch Verantwortlichen offensichtlich nicht verstanden, welche Konsequenzen es hat, die eigenen Streitkräfte mit der Führung eines Krieges zu beauftragen. Das Denken ist in der Zeit des K-Wort-Tabus stehen geblieben.

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3 Kommentare

 / 
  • WG
    Werner G.

    Nur mal zur Erinnerung:

    Es gab vor diesem 'Krieg' ein Ultimatum von George

    W. Bush an die Taliban:

    Entweder ihr liefert Ussama bin Laden (erinnert sich überhaupt noch jemand an diesen Namen?) aus, oder wir marschieren in Afghanistan ein!

    Sprich:

    Hätten die Taliban damals Bin Laden ausgeliefert,

    hätten sich Bush, Cheney, Rumsbums und ihre damaligen

    Enddarmbewohner - die Schröderfischers - genauso für die Menschenrechte in Afghanistan interessiert, wie vor NINE ELEVEN, nämlich einen Dreck!

  • NU
    Nachdenken und Bahnfahren

    Es scheint mir notwendig, ein paar Fragen zum Afghanistan Krieg auszusprechen, die auch bei der taz tabu sind:

     

    1. Deutschland führt in Afghanistan Krieg, wobei vollkommen unklar ist, gegen wen und auf welcher Rechtsgrundlage. Soweit mir bekannt ist, hat der Bundestag niemandem den Krieg erklärt und ebenso wurde bisher noch nicht von „Kriegsgefangenen“ gesprochen. Also – was für ein Krieg ist das und gegen wen führen wir diesen mit welchem Ziel?

     

    2. Seitdem die NATO Schutztruppen in Afghanistan sind, hat sich der Mohnanbau mehr als verzehnfacht. Werden also unsere Soldaten zum Schutz der Drogenproduktion missbraucht?

     

    3. Krieg führt immer zu einer Erosion des Rechtes. Die Verbrechen der eigenen Soldaten werden gedeckt. Es ist allgemein akzeptiert, dass die Soldaten schon schießen, wenn sie sich nur bedroht fühlen. Afghanische Menschenleben sind eben weniger wert als die Leben unserer Soldaten. Dies hat m. E. langfristig katastrophale Auswirkungen auf das Moralempfinden auch in Deutschland. Sind die Vorteile, die dieser Krieg bringt (wem auch immer) uns als Volk diese Nachteile wert?

     

    4. Krieg führt zu massiver Rechtsbeugung. Die Bombardierung der Tanklaster in Kunduz war eindeutig illegal. In einem Rechtsstaat hätte dies zur Folge haben müssen, dass die zuständige Bundesanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren einleitet. Oberst Klein hätte angesichts der Schwere der Vorwürfe in U-Haft genommen werden müssen. Denn der Mordverdacht kann hier wirklich nicht von der Hand gewiesen werden. Mindestens zwei der drei Kriterien für einen Mord gelten: Heimtücke und Vorsatz! Ob noch niedere Beweggründe dazukommen, kann ich nicht beurteilen.

    Was aber passiert: Die Bundesanwaltschaft hat lediglich geprüft, ob überhaupt ein Ermittlungsverfahren einzuleiten ist. Es hat keine Beweissicherung gegeben, gerichtsverwertbare Beweise gibt es nicht. Für mich ein ganz klarer Fall von Strafvereitlung im Amt! Spüren wir dazu eine Empörung in der Öffentlichkeit?

     

    5. Gleichzeitig bezeichnet sich Herr Oberst Klein als Christ, dem der mutmaßliche Mordbefehl nicht leichtgefallen ist. Ich kann dazu nur sagen, dass seine Art zu glauben wenig mit meinem Glauben zu tun hat. Und ich frage mich wirklich, ob es nicht an der Zeit ist, sich von derartigen Glaubensbekundungen zu distanzieren. Schließlich fordert doch ein großer Teil der öffentlichen Meinung, dass sich die Moslems alle naselang von irgendetwas distanzieren müssen.

     

    6. Die Spätfolgen des Afghanistankrieges können für unsere Gesellschaft gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Traumatisierte Soldaten, Erosion des Rechtsbewusstseins etc. – Vergleichen wir hierzu einmal mit der USA:

    Im Vietnamkrieg sind etwa 50.000 US-Amerikaner „gefallen“. Wesentlich mehr Veteranen haben aber nach diesem Krieg Selbstmord begangen. Bei den Irakkriegveteranen sieht es ganz ähnlich aus. Hier kommt noch dazu, dass pro Woche mindestens einer dieser Veteranen Amok läuft und vorzugsweise „Uniformierte“ (Feuerwehr, Polizei etc.) umbringt.

    Wollen wir das alles auch in unserem Land?

     

    Ich frage mich nur, wo die Zeitung ist, die über diese Fragen ernsthaft debattiert ....

  • E
    E.A.

    Und an deren Toten wurde nicht gedacht... manchmal bleibe ich fassungslos stehen und frage mich, in was für einem Land ich eigentlich lebe, dass sich für offen, demokratisch und globalisiert bezeichnet, aber nur für eigene Sippentote trauert, nicht jedoch für die, die es in anderen Ländern verursacht.

     

    Aus diesem Grund untersütze ich den Vorschlag der Linken, ein Mahnmal für gefallene Bundeswehrsoldaten UND getötete afghanische Zivilisten zu errichten.