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Debatte ÄgyptenWir haben Zeit

Kommentar von Sarah Eltantawi

Die Konterrevolution in Ägypten läuft, doch auch die Revolution geht weiter. Aber derzeit gibt es keine guten Optionen, also wählt man das weniger Schlimme.

„Für die kollektive Psyche ist es wichtig, dass das Land von einer starken nationalen Institution regiert wird.“ Bild: reuters

K eine Frage: Ägypten weist heute alle Zeichen einer Konterrevolution auf: Journalisten werden inhaftiert (wenngleich Anfang der Woche 60 politische Gefangene entlassen wurden), abweichende Meinungen zum Teil brutal unterdrückt, und über all der Repression schwebt eine Wolke der Fremdenfeindlichkeit.

Gleichzeitig verschärfen sich die Proteste der Muslimbrüder an den Universitäten immer mehr. Gebäude werden niedergebrannt, Professorinnen die Kleider vom Leib gerissen, ältere Männer tätlich angegriffen. Überall im Land gibt es Anschläge auf Sicherheitseinrichtungen. Doch die haben meiner Ansicht nach nichts mit den Muslimbrüdern zu tun, auch wenn die Militärs das behaupten.

Was dabei für westliche Beobachter häufig schwer zu verstehen ist, liegt für Ägypter zumeist auf der Hand: Derzeit gibt es keine guten Optionen, also wählt man das weniger Schlimme. Also wählt man General Sisi als das geringere Übel, denn er hat das Land immerhin vor dem Desaster gerettet, in das die Regierung Mursi das Land gestürzt hat.

Die ägyptischen Medien stehen auf der Seite von Sisi und schüren eine gefährliche und auch rassistische Hysterie gegen die Islamisten und inzwischen auch gegen alle anderen revolutionären Gruppen, die nicht auf einer Linie mit dem Militärregime sind. Sie füttern die Angst, das Land stände kurz vor dem Kollaps. Die katastrophale Situation im nicht weit entfernten Syrien hilft ihnen dabei.

Wahnsinnige Gotteskrieger

Damit kein Missverständnis entsteht: Das Vakuum in Syrien, das nun wahnsinnigen Gotteskriegern erlaubt, mit einer Agenda in das Land einzufallen, die sich kaum oder gar nicht um die Belange der syrischen Bevölkerung kümmert, geht vor allem auf die Rechnung des Assad-Regimes. Trotzdem: Ist es angesichts von mehr als 100.000 Toten wirklich verwunderlich, dass viele Ägypter fast einen Herzanfall bekamen, als Mursi zum „Marsch auf Syrien“ aufrief, also zur Beteiligung am heiligen Krieg?

Bis dahin hatte sich niemand vorstellen können, dass ein ägyptischer Präsident jemals einen solchen Appell formulieren würde. Kurz darauf kam es zu einem Massaker an Schiiten – eine extreme Seltenheit in Ägypten. Währenddessen die Militärregierung auch für ihre eigene Blutspur sorgt, siehe das Massaker an Mursi-Anhängern bei der Rabaa-Adawiya-Moschee vom vergangenen August.

Im Westen finden sich viele Forschungseinheiten, welche die ägyptische Situation analysieren und nur einen sehr vagen Begriff von ägyptischer Kultur sowie kollektiven Befindlichkeiten haben und stattdessen exklusiv die staatlichen Institutionen betrachten, aus westlicher Perspektive, versteht sich.

Schlüpfrige Toilettenwitze

Gleichzeitig hat sich in Ägypten selbst eine meist Englisch sprechende Kaste von Kommentatoren formiert, die sich auf Witze über Ägypter spezialisiert. Dieser „Humor“ ist häufig seltsam schlüpfrig, womit klar ist, dass er sich nicht an ein einheimisches Publikum richtet, das nämlich schätzt Toilettenwitze wenig. Vielmehr bricht sich hier eine Aggression gegenüber denjenigen Bahn, die nicht in der Position sind, um zu antworten. Jeder, der schon einmal etwas von Kolonialismus beziehungsweise Postkolonialismus gehört hat, versteht, dass für Leute, die nur einen Pass haben und ihr Leben an einem Ort einrichten müssen, diese Witze nicht lustig sind.

Viele, die schon vom ersten Tag von Mursis Präsidentschaft geschrien haben „irhal irhal!“ (tritt zurück), dann flugs die Seiten wechselten, tun heute so, als ob sie mit seiner Verhaftung nichts zu tun hätten. „Wir wollten doch nie die Armee“, sagen sie. Was für ein nichtsnutziges Statement. Denn es liegt nun mal auf der Hand, dass die Armee seit Beginn der Revolution die Transformation in Ägypten bestimmt. Entsprechend ist es auch kein Wunder, dass Ägypter, die einfach ihr Leben leben wollen, die Nase voll haben von Revolutionären, die keine Verantwortung für ihre Handlungen übernehmen.

Insgesamt aber gilt: Wer die Entwicklungen in Ägypten nur als Staatsstreich der Militärs liest, schürft nicht tief genug. Zu den wichtigsten Dingen, die man begreifen sollte, zählt, dass der politische Islam in Ägypten für eine riesige Welle gesorgt hat, die Auswirkungen auf die gesamte arabische Welt hat. Diese beginnen sich gerade erst abzuzeichnen und sie dürften einen Meilenstein bedeuten für die kulturellen Folgen der Revolution, die 2011 begonnen hat.

Die Landesgrenzen schützen

Dann muss gesehen werden, dass die Mehrheit der Ägypter wollte, dass die Militärs die Macht wieder übernehmen. Das heißt, sie müssen jetzt wieder mit der eisernen Faust leben und eben nicht mehr mit einer unberechenbaren Theokratie wie unter Mursi. Es handelt sich um eine fortlaufende Revolution, sie ist längst nicht abgeschlossen. Und wie die Franzosen damals haben auch wir in Ägypten Zeit. Die dringendsten Gebote der Zeit sind die Befreiung der politischen Gefangenen und Journalisten und die Reformierung der Wirtschaft. Für die Mehrheit der Ägypter ist das wichtiger als ein „Übergang zur Demokratie“, wie es in den Politikwissenschaften heißt. Denn das haben sie ja gerade erst versucht und das Ergebnis war unbefriedigend, vorsichtig ausgedrückt.

Ebenso wichtig ist es, wenn auch ungleich schwieriger, mit den Islamisten einen politischen Kompromiss zu finden. Im Moment scheint da jeder Weg verbaut. Und es wird der Zeitpunkt kommen, an dem die Armee ihre Macht überstrapaziert. Denn wie jedes Militärregime verfügen Sisi und seine Leute nicht über die Mittel und Kompetenzen, die für Ägypten notwendigen Reformen auf den Weg zu bringen. Und was passiert dann? Ich weiß es nicht.

Aber mir scheint, dass es für die kollektive Psyche wichtig ist, dass das Land von einer starken nationalen Institution regiert wird, obwohl ihre Macht völlig intransparent ist. Das erlaubt, innerhalb der Landesgrenzen nach Lösungen zu suchen, die das Land davor bewahren, in dem Chaos zu versinken, das gerade jeder Ägypter aus nächster Nähe erlebt.

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11 Kommentare

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  • T
    TOMMI

    @MIKE ENNULAT

     

    "... noch schlimmer wird es dann noch wenn arabische Dialekte zum tragen kommen."

     

    Ähm, nur mal so am Rande, aber der Koran ist in "fushah" sprich Hocharabisch verfasst, also eben nicht in einem Dialekt.

     

    Genauso verhält es sich mit den hadithen: Von Al-Buchari bis al-Muslim ausnahmslos Hocharabisch.

     

    "Interpretieren" geht auch nicht mehr, weil die "bab-ul-idschihad" (das, was man im Westen wohl "Logik" nennen würde) vor über 1000 Jahren geschlossen wurde, so dass es nur 4 sunnitische und eine schiitische Rechtsschule, sprich Interpretation, gibt.

     

    Also bitte nichts behaupten, wenn man keine Ahnung hat!

  • G
    Gast

    Für jeden Demokrat ist eine militärische Regierung, die an die Macht durch einen blutigen Putsch gelangt ist, gar keine Option!

  • HS
    Hari Seldon

    @sarah eltantawi:

     

    Es gab (gibt) in Ägypten keine Revolution/Konterrevolution sondern ein fremdfinanzierter Machtübernahmeversuch im Dienst von fremden Interessen mit Unterstützung von fremdfinanzierten Marionetten. Sissi und der Militär hat ein Ende von diesem Spielchen gesetzt: Jetzt jammern die Marionetten, weil die Macht und die grosse Kohle momentan nicht erreichbar ist. Nur zu Ihrer Info: Die sogenannten "revolutionären Kräfte" (Liberalen) waren weit unter 5% bei den ersten Wahlen. In einer Demokratie bestimmt nicht eine solche kleine Minderheit die Ereignisse, aber Ihre Gleichgesinnten können diesen Debakel nicht verdauen und schreien lautstark nach der Erzieherin wie im KiGa (oder nach dem starken und fremden Bruder). Nun, mit solchen Aussagen, dass Al-Kaida wegen Assad in Syrien tobt, haben Sie sich endgültig lächerlich und völlig unkreditwürdig gemacht. Nicht Assad hat Al-Kaida und die Terroristen nach Syrien eingeladen und nicht Assad unterstützt die Terroristen, sonden Ihre liberalen FreundInnen (die Revoluzzis).

     

    @TAZ: Bitte, die TAZ sollte sich mit solchem Schrott wie der Artikel von Frau Eltantawi nicht blamieren.

  • Finde nur ich diesen Artikel wirr? "Rassistische Hysterie gegen die Islamisten": 'rassistisch' gegen Leute, die Apostasen gemäß des Korans umbringen wollen, also jeden der anderes als den Islam wichtiger findet für die Entwicklung einer offenen und erfolgreichen Gesellschaft? Dass damit die zugegeben eher hilflosen Unterdrückungsversuche der rationalen, in Ägypten also militärischen Kräfte gurgeheißen werden, ist so unrefelktiert auch völlig trivial. Der Beitrag ist wirr.

     

    Wieso traut sich kein linker, emanzipatorischer, dezidiert antifaschistischer taz-Redakteur mit den Mursi-Faschisten so abzurechnen, wie es die Geschichte unseres Landes von jedem von uns einfordert?

    • @OskarsAristie:

      Kein ernstzunehmender linker, emanzipatorischer, dezidiert antifaschistischer Mensch wird wohl politisch etwas für Islamismus oder anderen religiösen Fundamentalismus übrighaben.

       

      Nichts desto trotz bleibt Ihre Gleichung "Islamismus = Faschismus" himmelschreiender, ahistorischer Unsinn.

       

      Um nur einen wesentlichen Unterschied exemplarisch zu nennen:

       

      Beim Faschismus handelt es sich nicht um einen religiösen Fundamentalismus. Entsprechend ziel(t)en faschistische Regime auch nicht auf die Schaffung einer Theokratie - wie es das islamistische Mursi-Regime tat.

      • @Der Sizilianer:

        Wenn Sie den historischen Faschismusbegriff zugrunde legen, haben Sie naürlich recht. Wenn sie aber eine inhaltliche Faschismusdefinition verwenden, etwa als Kombination von Diskriminierung, Irrationalismus und Gewalttätigkeit in einem geschlossenen Weltbild, müßten Sie vielleicht nachbessern.

         

        Auch dass faschistische Ideologien nicht auch religiös wären, bezweifle ich zutiefst. Die Nazis haben intensiv nach religiösen Ausdrucksformen und Inhalten ihrer 'Gesinnung' gesucht.

        • @OskarsAristie:

          Zunächst: SIE waren es, der zuerst den Bogen zum historischen Faschismus zog, nicht ich.

           

          Dann halte ich Ihren Definitionsvorschlag aus verschiedenen Gründen für unzureichend:

           

          1. Die von Ihnen vorgeschlagenen Kriterien für "Faschismus" finden Sie in vielen und ganz unterschiedlichen Phänomenen wieder, u. a. in den meisten Religionen auf diesem Planeten: Christentum, Islam, Judentum, Hinduismus etc.

          Eine Definition, die somit mehrere Milliarden Menschen auf diesem Planeten de facto zu Anhängerinnen und Anhänger einer "faschistischen Ideologie" erklären würde, macht keinen Sinn, weil sie nichts erklärt. Erst recht nicht, was denn nun das speziell faschistische am historischen Faschismus war. Man endet in begrifflicher Beliebigkeit.

           

          2. Es macht auch keinen Sinn, irgendwelche Ad-hoc-Definitionen aus dem Ärmel zu schütteln, die einem gerade in den Kram passen. Es existiert eine umfangreiche wissenschaftliche Forschung zum Thema "Faschismus", die die Basis und der Maßstab für eine Auseinandersetzung über das Phänomen "Faschismus" ist und sein muss. Sonst verbleibt man auch hier mit seinen Begriffen in subjektiver Beliebigkeit, sprich:

           

          Der eine definiert sich dann den Islamismus als "faschistisch" zurecht. Der nächste die Deutsche Bank. Ein dritter die vollgeschissenen Windeln seines Kindes.

           

          Zuletzt: Das man sich bemüht, seiner Ideologie einen religiös-sakralen Anstrich zu verpassen, damit sie sich besser legitimiert und verkauft, macht diese Ideologie noch lange nicht zu einer religiösen Ideologie.

           

          Aber selbst einmal angenommen, man würde davon ausgehen, dass die faschistische Ideologie "auch religiös" wäre, wie Sie behaupten: Zwischen einem religiösen Fundamentalismus mit dem Ziel einer Theokratie einerseits und einer "auch religiösen" Ideologie andererseits besteht doch ganz offensichtlich immer noch ein himmelweiter, weil fundamentaler Unterschied. Ihr Einwand wiederlegt also meine Kritik an Ihrer oberflächlichen Gleichung nicht.

      • @Der Sizilianer:

        Nur am Rande sei erwähnt: Es gibt im Koran wohl keine Passage, die ApostaTinnen und ApostaTen mit dem Tod bedroht.

         

        http://de.wikipedia.org/wiki/Apostasie_im_Islam

         

        Es gibt jedoch in den weiten des Internets zahlreiche Kommentarspielwiesen, wo Sie sicherlich erfolgreicher mit solchem Halbwissen punkten können - Hauptsache, es geht nur irgendwie gegen Islam und Islamismus ...

        • @Der Sizilianer:

          Die offizielle Linie der Mursi-Regierung war, dass ein Apostat zu töten sei, wenn er seinen Abfall nicht für sich behielte, also etwa zu begründen versuchte. Inoffiziell wurden Apostaten auch unter Mubarak häufig getötet.

           

          Und den Vorwurf von 'Halbwissen' mit einem Wikipediaartikel belegen zu wollen: Umpf.

          • @OskarsAristie:

            Was genau spricht denn Ihrer Ansicht nach gegen Wikipedia? Ziehen Sie niemals Lexika hinzu, um Ihren Horizont zu erweitern? Und inwiefern wäre Wikipedia ein weniger ernstzunehmendes Lexikon als andere?

             

            Entscheidend ist doch: Der Wikipedia-Artikel hat offenbar Recht.

             

            Sie nicht.

             

            Aber selbst wenn man nun Ihrer - bislang unbegründeten - Abneigung gegen Wikipedia folgen würde:

             

            Ist es nicht gerade dann besonders bemerkenswert, dass sogar schon der schnelle Blick in ein ach so "minderwertiges" Lexikon ausreicht, um Ihr Halbwissen zu entlarven?

             

            Ein Blick, den Sie übrigens ebenso schnell hätten vornehmen können, als Sie Ihren obigen Kommentar formulierten?

        • @Der Sizilianer:

          Wie das halt so ist mit dem Islam, dem Koran, der Bibel oder sonstigen interpretationsfähigen Werken. Es ist nicht relevant was dort geschrieben steht sondern wie es unterstützt durch begleitende Schriften interpretiert werden kann oder wird. Zudem ist die arabische Sprache an sich durchaus interpretationsfähig da ein Wort unterschiedliche Bedeutungen haben kann, noch schlimmer wird es dann noch wenn arabische Dialekte zum tragen kommen.