Streetart-Künstler Ganzeer in Ägypten: Er kommt morgens
Ganzeer ist Illustrator, Grafiker und Designer – einer der aufregendsten Nachwuchskünstler Ägyptens. Er glaubt an einen unumkehrbaren Wandel.
KAIRO taz | Nachts ist es jetzt zu gefährlich. Die Panzer in den Straßen, die Soldaten mit ihren Kalaschnikows. Die warten doch nur auf Leute wie ihn. Er kommt morgens, drapiert seine Farben auf dem Asphalt, klappt die Leiter auseinander. Er arbeitet schnell.
Zuletzt, bei „Die Armee über alles“, ein Berg von Totenköpfen, darauf der Slogan: „Die Revolution ist verloren“, kleisterte er eine Papierbahn nach der anderen an die Mauer in der Mohamed-Mahmoud-Straße. Erst am Ende fügte er den letzten Teil des Bildes an: den Torso eines Soldaten mit Helm und Gewehr, dem das Blut aus dem Maul läuft. Dann eilte er davon.
Es ist ein grauer Nachmittag in Kairos Wohnviertel Garden City. Unten schiebt sich der Verkehr an der Corniche entlang, oben, im vierten Stock eines Zwanzigerjahrebaus, hockt Mohamad Famy oder Ganzeer, wie er sich nennt, an seinem Küchentisch und grinst. Er sei selbst überrascht, dass seine letzte Arbeit noch nicht entfernt wurde, denn fast alle seine Wandbilder seien mittlerweile weiß übertüncht. „Es herrscht ein Krieg darüber, wer mehr Anhänger bekommt. Das Militär oder wir.“
Was passiert, wenn Bionade-Eltern und Kopftuchmütter eine Schule retten wollen - allerdings nicht immer gemeinsam? Wie der Wunsch nach Integration wirklich Wirklichkeit wird, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 22./23. Februar 2014 . Außerdem: Was macht einen Pädophilen aus? Ein Interview mit dem Sexualwissenschaftler Peer Briken. Und: Wie die Westukraine gegen die Machthaber in Kiew kämpft. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Ganzeer, Illustrator, Grafiker, Designer, ist einer der aufregendsten Nachwuchskünstler Ägyptens. Seine Arbeiten werden in der ganzen Welt gezeigt, er spricht auf Foren in Brasilien, Italien, Deutschland, kreiert Images für Sticker und Plakate zur Unterstützung internationaler Kampagnen, für die Freilassung der russischen Punkband Pussy Riot zum Beispiel. Seine gigantischen Wandbilder der Märtyrer der Revolution haben ihn berühmt gemacht.
Er kam kurz ins Gefängnis
Seine „Maske der Freiheit“ ist eine Ikone: Auf quietschgelbem Hintergrund prangt der Oberkörper eines Mannes, eine Ledermaske mit zwei Flügeln an den Seiten verdeckt seine Augen, die Riemen stopfen ihm den Mund zu. Darunter steht: „Neu: Die Maske der Freiheit. Ein Gruß vom Obersten Militärrat an die geliebten Söhne der Nation. Jetzt erhältlich, für unbegrenzte Zeit.“ Dafür kam Ganzeer kurz ins Gefängnis, entging aber einer Anklage. Zu groß war anscheinend der öffentliche Druck der Menschenrechtler und Facebook-Gruppen. Seither gilt Ganzeer als der inoffiziöse Sprecher der ägyptischen Streetart-Szene, auch wenn er derartige Kategorisierungen hasst. Er habe nur eine Leidenschaft für das Visuelle, sagt er. Für viele aber ist er: das Sinnbild einer unablässigen Einmischung.
Ganzeer persiflierte den Filz im System Mubarak ebenso wie die Brutalität des danach herrschenden Militärrats, die despotische Willkür der Islamisten genauso wie die eiserne Härte der neuen Armeeregierung. Im Sommer illustrierte er das Dilemma des tief gespaltenen Landes mit einer Nachbildung eines Filmplakats. Es zeigt Armeechef Abdel Fattah al-Sisi als Vampir mit bluttropfendem Mund, daneben steht Mursi als Zombie mit grotesk verdrehtem Hals.
Darunter steht: „Der eine isst euer Gehirn. Der andere saugt euer Blut.“ Die enorme Macht des Militärs sei die größte Gefahr für Ägypten, sagt Ganzeer jetzt. „Erst hat der Militärrat alle Kritiker als Gegner der Revolution verunglimpft. Heute betitelt die Armee alle Andersdenkenden als Terroristen. Damit erzeugt sie eine fatale Hysterie.“ Er klopft auf die Tischkante. „Die alte Garde ist zurück. Der Kreis schließt sich.“ Doch auch wenn die Armee starke Waffen hat, um die Massen zu beeinflussen, die Medien, die Propaganda, die omnipräsenten Selbsthuldigungen: Ganzeer glaubt an die Kraft der kreativen Gegenbewegung. Und ist so Botschafter einer Generation der Furchtlosen, jener Empörten, die auf dem Tahrir ihren Wunsch nach Selbstbestimmung der Welt darstellten und nun, drei Jahre später, so weit von diesem Ziel entfernt scheinen wie nie zuvor.
Denn das Militär geht unerbittlich gegen seine Kritiker vor. Seit der Räumung der Protestcamps der Mursi-Anhänger im Sommer, bei der Hunderte Menschen getötet wurden, veranstalten die Machthaber nicht nur eine Hetzjagd gegen die Muslimbruderschaft, die jetzt offiziell als Terrororganisation gilt. Alle, die über die neue Verfassung Skepsis äußern, werden als „Landesverräter“ betitelt; jeder, der sich offen gegen den wahrscheinlichen Präsidentschaftskandidaten al-Sisi ausspricht, muss mit drastischen Strafen rechnen.
Die Schlange blieb
Allein am dritten Jahrestag der Revolution wurden über tausend Menschen verhaftet, darunter Journalisten, Aktivisten, Künstler. Die Schaffung neuer restriktiver Strukturen begann unter Mubarak, sagt Ganzeer, auch deshalb habe er Zweifel an der Revolution gehegt. „Es wurde nur der Kopf abgeschlagen. Die Schlange blieb.“ Am 25. Januar 2011, als Junge und Alte, Männer und Frauen, auf dem Tahrirplatz ihre Wut über den Despoten Mubarak herausschrien, da setzte Ganzeer erstmals seine Waffe ein.
In den Straßen schlug die Polizei auf Demonstranten ein, Ganzeer roch zum ersten Mal Tränengas. Er kletterte das Gestänge hoch, holte die Spraydose aus dem Rucksack und sprühte. „Weg mit Husni Mubarak“, stand auf dem Plakat. Die Menge jubelte.
Er sagt, als sie aufgeschrieben war, sei die Utopie Wirklichkeit geworden. Doch bald schon regierte das Militär, Gewalt grassierte. Und Ganzeer erhob seinen Widerstand zur Maxime: Er beklebte die Stadt mit den Porträts der Toten, heftete das Konterfei des erschossenen Schülers Seif Allah Mustafa an die Wand vor dem Obersten Gerichtshof, damit ihm die Richter, die dort tagtäglich vorübergingen, ins Gesicht sehen mussten. Damit war Ganzeer einer der ersten Streetartisten in Ägypten. Vor der Revolution sei niemand auf die Idee gekommen, den öffentlichen Raum umzugestalten, sagt er. „Er war immer staatliches Territorium.“
Das änderte sich spätestens im Mai 2011. Als die Regierung Ganzeers Werke entfernen wollte, protestierten Dutzende Künstler mit dem „Mad Graffiti Weekend“. Danach prangten erst Panzer und geballte Fäuste an den Mauern und Brückenpfeilern, bald folgten nuanciertere Arbeiten, pharaonisch anmutende Frauen, die eine Leiter erklimmen oder Schlangenköpfe, halb Mubarak, halb Mursi.
Bahia Shehab sprühte „Nein zur Militärherrschaft“ auf Polizeihäuschen, das Kollektiv „Mona Lisa Brigade“ pinnte grellbunte Kinderporträts an die Häuser im Slum Ar del Lewa. Nach dem Schock des Umbruchs haben sich viele Menschen erst sammeln müssen, bevor sie aktiv wurden, sagt Ganzeer. Das ließe sich auch jetzt beobachten. „Die Hoffnung auf Veränderung wurde wieder enttäuscht. Das lähmt die Kreativität.“
Letztens, sagt Ganzeer, habe er wieder den Geist des Aufbruchs gespürt. Er hatte zusammen mit den Künstlern Hany Rashed, Ahmed Hefnawy und Ammar Abu Bakr die Ausstellung „Freiheit“ in dem leerstehenden Hotel Viennoise in der Innenstadt organisiert. Sie fürchteten die Reaktionen, hatte Ganzeer doch schon mit seinem Plakat für die Schau provoziert: ein Vogel, der in einem Berg Fäkalien festsitzt, das Wort „Freiheit“ steht darunter, „Hurraya“, das im Arabischen nur durch die Verschiebung eines Punktes zu „Scheiße“ wird.
Doch statt Prügelattacken gab es Dankesreden. Zwingende Entlarvungen wie diese, sagten ihm junge Besucher, ließen den einstigen Enthusiasmus aufleben. Es gibt einen unumkehrbaren Wandel, sagt Ganzeer zum Abschied. Daran glaube er. Auch daran, dass engagierte Kunst etwas verändern könne. „Wir müssen den Staat überraschen. Wir müssen immer wieder eine neue Sprache finden.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen