De La Soul „And the Anonymous Nobody“: Retro? Nix da
600.000 Dollar haben De La Soul von Fans für ein neues Album gesammelt. Darauf wird die Band noch einmal zur Avantgarde des HipHop.
Rap ist eigentlich ein Kinderspiel. Niemand weiß das besser als De La Soul. Als die New Yorker Crew 1989 mit ihre Album „3 Feet High and Rising“ debütierte, waren die Mitglieder Posdnuos (Kevin Mercer), Trugoy (Dave Jolicoeur) und Maseo (Vincent Mason) noch nicht einmal volljährig. Inzwischen sind sie Familienväter oberhalb der 40 und gehören zu den wenigen Künstlern, die HipHop in der Altersteilzeit überhaupt noch aktiv betreiben.
Mit ihrem neuen Album „And the Anonymous Nobody“ demonstrieren De La Soul eindrucksvoll, dass sie mehr können, als nur die antiquierte Evergreen-Schleuder einzuschalten. Dass sich die Band überhaupt wieder zu Wort meldet, war alles andere als selbstverständlich. Denn vom Musikgeschäft war das Trio lange Zeit angefressen. Ihr letztes Lebenszeichen, das Album „The Grind Date“, stammt aus dem Jahr 2004 und spielte sich grandios an der breiten Masse vorbei.
„And the Anonymous Nobody“ finanzierte die Band nun via Crowdfunding. Nach ihrem Aufruf im Mai 2015 sammelten De La Soul innerhalb weniger Wochen 600.000 US-Dollar. Mehr als 11.000 Fans spendeten dafür.
Als sie mit ihrem Debütalbum Ende der Achtziger reüssierten, da waren sie noch bei einem der großen Indielabels unter Vertrag – am Ende erhielten sie Platin für das Album. Man machte sich noch Illusionen über das Geschäft. „Wir dachten, das Label würde unsere Musik lieben und sei Teil der Familie“, sagt Dave Jolicoeur. „Doch dann kapierten wir sehr schnell, dass es nur ums Geld ging – ganz simpel. Und mit dem Geld lösen sich Ideale in Luft auf.“
Unpolitisch?
„De La Soul ist ein unpolitisches Projekt“, hält DJ und Produzent Vincent Mason heute fest – behält damit aber nur bedingt recht. Denn was De La Soul zu HipHop-Pionieren machte, war ihre kulturelle Identitätspolitik als Teil der Native-Tongues-Posse um Künstler wie A Tribe Called Quest und Jungle Brothers. Wer De La Soul verstehen will, muss Gangsta-Rap mitdenken.
Noch vor ihrem Debüt absolvierte das Trio aus Long Island eine Tour im Vorprogramm der Westküsten-Gangsta N.W.A. Deren Fans beantworteten Sound und Attitude von De La Soul mit Flaschenwürfen. Während N.W.A harte Drumbreaks und grelle Synthie-Hooklines einsetzten, um der US-Staatsgewalt den Mittelfinger zu zeigen, mischten De La Soul Samples aus Jazz, Easy Listening und Kinderserien. Ihr farbenfrohes Plattencover zierte ein Strauß gekritzelter Gänseblümchen.
In dem von Hypermaskulinität geprägten Rap-Amerika der beginnenden Neunziger riefen De La Soul das „Daisy Age“, das Zeitalter der Gänseblümchen aus – sie waren die friedliebenden Nerds aus dem afroamerikanischen Bildungsbürgertum, die der eklektischen Plattensammlung ihrer Eltern huldigten und sich niedliche Spitznamen zuwarfen.
De La Soul: „And The Anonymous Nobody“ (AOI/Rough Trade)
Als HipHop-Hippies wurden De La Soul in Europa mit offenen Armen empfangen, zu Hause bezichtigte man sie oft der Konformität – ein blöder Vorwurf. Denn es war gerade ihr Bruch mit dem Anspruch auf die Abbildung harter Realitäten, der an dem Status quo von HipHop als Kleinganovenkunst rüttelte. Heutige Stars wie Kanye West und Kendrick Lamar profitieren von De La Souls wichtiger Vorarbeit.
Und doch: HipHop hat sich weiterentwickelt, seit jeher ist es immer auch eine Spielwiese für Selbstverliebte. Seit einigen Jahren jedoch erzielt HipHop nur noch in den Solokarrieren der Stars große Erfolge. Gibt es Rap-Gruppen, dann als erfolgspotenzierende Mammutfusionen und Kollaborationen gestandener Schwergewichte. Man denke an US-Stars wie Jay Z und Kanye West. Kollektive wie das von Tyler, The Creator ins Leben gerufene Odd Future Projekt, zu dem auch Frank Ocean zählt, haben mehr Label- als Bandcharakter.
De La Soul aber halten an der Idee des Bandzusammenschlusses fest. An die Stelle eines Existenzkampfs des vom Kapitalismus gebeutelten Individuums tritt die Vereinigung dreier Künstler. Retro? Nix da. In ihrem dem Jazz entlehnten Kollektivgedanken werden De La Soul noch einmal zu Vorreitern.
Entspannt, zeitlos, konservativ
Die alten Freunde von N.W.A stilisierten sich mit Rückendeckung aus Hollywood 2015 in der filmischen Fiktionalisierung „Straight Outta Compton“ zu Actionfilmhelden. De La Soul gingen etwa zeitgleich den entgegengesetzten Weg und ließen den digitalen Kollektenkorb kreisen.
„And the Anonymous Nobody“ lotet aus, wie HipHop im Alter klingen kann: entspannt, angenehm zeitlos, aber auch musikalisch konservativ, wenn der einstige Samplewahnsinn Aufnahmen einer Band in klassischer Pop-Besetzung weicht. Dann aber lassen De La Soul ihre Beziehungen spielen, stellen David Byrne mit Luxusfetisch-Rapper 2 Chainz auf eine Bühne und verschmelzen Popwelten mit einer Selbstverständlichkeit, als wäre im HipHop nie etwas anderes passiert.
Ist es auch nicht. Nur braucht es dann und wann Alben wie dieses von De La Soul, um sich genau das zu vergegenwärtigen.
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