piwik no script img

Datenspeicherung in IsraelDie festen Mauern der Daten-Clouds

Der israelische Beitrag zur Architekturbiennale ist einer großen Serverfarm nachempfunden. Das Buch dazu, „cloud-to-ground“, stößt mehrere Debatten an.

2022, die 9.000 Quadratmeter große Bnei-Zion-Serverfarm von Skorka Architects befindet sich im Bau Foto: Maor Chay & Omer Shemer, courtesy Bnei-Zion-Serverfarm

Zwischen den alten Platanen in den Giardini Venedigs steht derzeit ein meterlanger weiß-blecherner Bunker. Ein Lüftungsrohr ragt so funktional an seiner Wand hoch, als hätte die 1985 verstorbene Künstlerin Charlotte Posenenske ihre industriegenormten Vierkantrohre dort platziert. Und aus dem Inneren dieses hellen und gleichsam so obskuren Gebäudes kommt ein tiefes Surren. Nebulös.

Jetzt, während der Architektur­bien­nale in Venedig, wurde der eigentlich elegant-moderne Pavillon, mit dem Architekt Ze’ev Richter in den 1950er Jahren den noch jungen Staat Israel auf der Weltkunstschau repräsentierte, scheinbar in einen anonymen Gebäudetypus umgewandelt. Ein Typus, wie er derzeit allerorts auftaucht, aber irgendwo im Nirgendwo: eine Serverfarm.

Abseits der Stadt, in der israelischen Scharonebene, wurde im Ort Bnei Zion gerade eine solche 9.000 Quadratmeter große Serverfarm errichtet. Der israelische Pavillon in Venedig ist nun dieser massigen und trotzdem gesichtslosen Architektur von Bnei Zion nachempfunden. In ihm gebe es „nur Luft, die rauskommt und wieder reingeht“, sagt Roy Secker, Architekt der originalen Bnei-Zion-Serverfarm, zu seinem Bau.

Das Interview mit ihm ist nachzulesen im aufschlussreichen Begleitbuch „cloud-to-ground“, das die Kuratorinnen des Pavillons, Oren Eldar, Edith Kofsky und Hadas Maor, herausgegeben haben. Die Serverfarm sei „ein atmender Körper“, so Secker, das Atmen der Kühlanlagen, die heute mehr Raum benötigen als die datenspeichernden Maschinen selbst.

Das Buch

„cloud-to-ground“: Hrsg. von Oren Eldar, Edith Kofsky, Hadas Maor. Park Books, Zürich 2023, 304 Seiten auf Englisch. 29 Euro.

Kooperation zwischen Staat und Techunternehmen

Secker klingt so verschleiernd mystisch wie der Begriff „Cloud“. Doch das, was wir als immaterielle Daten wahrnehmen, die irgendwo in einer solch diffusen Cloud herumzuschweben scheinen, hat eine materielle, eine bauliche Realität. Die Bnei-Zion-Serverfarm etwa ist Teil des Nimbus-Infrastrukturprojekts. In dessen Rahmen, so liest man im Buch, plant der israelische Staat gerade sechs Serverfarmen.

Das Land baut damit seine eigene Cloud-Region aus, sichert sich in Zeiten von Cyberattacken und hybriden Kriegen ab. Doch tut Israel es, wie viele Staaten, in einem Joint Venture mit großen Tech- und Immobilienunternehmen. Zu den Bauherren der sechs Nimbus-Farmen gehören eine Hotelkette, ein Investor für Einkaufszentren oder der Popsänger und Unternehmer Omer Adam. Betrieben werden die riesigen Datenzentren von Google und Amazon.

Und für Google scheinen auch die außenpolitischen Konflikte des Landes kaum eine Rolle zu spielen. Seine Kabel, Teil des sehr viel größeren Blue-Raman-Netzes, verlaufen von Israel aus weiter über Jordanien durch Saudi-Arabien bis nach Indien. Entlang historischer Handelsrouten, wie der Architekturhistoriker Eliyahu Keller in seinem Beitrag bemerkt, nur werden sie nicht mehr von Menschen, sondern von unterirdischen Glasfaserkabeln eines privatwirtschaftlichen Tech-Giganten gezogen.

Heute oft abgerissen oder vergammelt: Telefonzentralen in Israel, gebaut von 1948 – 1968 Foto: Government Press Photos, Israel

Doch die Daten, die zu den kommerziell betriebenen Serverfarmen fließen – sie sind größtenteils von der Vielzahl privater User geschaffen –, sollten doch eigentlich Allgemeingut sein. In seinem Band „Servermanifest“ forderte Architekturkritiker Nik­las Maak daher, auch die Orte ihrer Speicherung öffentlich und sichtbar zu machen.

Repräsentative Funktionsbauten

In der Geschichte der israelischen Telekommunikation gab es bereits derartige Gebäude, als Daten und Netze noch nicht in der Hand privater Unternehmen waren, die alles Bauliche dazu lieber im Nebulösen belassen möchten. Das beschreibt Oren Elder in seinem Porträt vom modernen Architekten Gad Ascher.

Ascher stand bis 1965 dem Amt für öffentliche Bauaufgaben in Israel, Ma’atz, vor. Für die staatliche Telefongesellschaft plante er Funktionsbauten, die trotzdem repräsentativ waren. Seine Telefonzentrale in Haifa ist ein mutig minimaler Kubus, sein dortiges Fernsprechmeldeamt hingegen ist monumental, ein geschwungenes Dach sitzt auf brutalistisch hervortretenden Betonstützen.

1908 in Berlin geboren und bald nach 1933 nach Palästina ausgewandert, arbeitete Gad Ascher dort zunächst beim bereits etablierten Erich Mendelsohn. Wie Mendelsohn lehnte Ascher einen vereinheitlichenden Stil und die Massentype ab. Sein einstiger Professor an der Technischen Hochschule Berlin, Paul Bonatz, sollte jedoch Aschers Vorbild bleiben, wie Elder in einer Fußnote zu den seltsamen Wegen der Moderne erwähnt. Bonatz, für den Altbau des Stuttgarter Hauptbahnhofs bekannt, war ein Traditionalist und in Nazideutschland sehr erfolgreich.

Das internationale Fernmeldeamt in Tel Aviv ist 1967 nicht mehr von Ascher, aber wohl in seinem Sinne gebaut worden: ein Kastell aus Beton. Zehn Meter tief gingen seine Fernkabel unter die Erde. Es wurde 2019 abgerissen. Und auch viele von Aschers modernen Architekturen für die mittlerweile privatisierte Telefongesellschaft in Israel gibt es nicht mehr. Oder sie vergammeln.

Internationale Architektur-Biennale Venedig

Die Architektur-Biennale in Venedig findet noch bis zum 26. November 2023 statt.

Und damit stößt das Buch „cloud-to-ground“ auf eine andere Debatte. Wie umgehen mit den baulichen Hinterlassenschaften der Moderne in den Innenstädten? Auch für Deutschland lässt sich diese Frage stellen. Das ICC in Berlin, dieser tolle maschinenartige Koloss aus den 1970ern, steht leer, die ostmoderne Robotron-Kantine in Dresden droht abgerissen zu werden. Vielleicht, vielleicht ließen sich doch darin Serverfarmen unterbringen, für alle sichtbar, gefüllt mit den Daten der Stadt und betrieben von der Stadt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!