Datenschutz: Die Spanner vom Amt
Eine Fallmanagerin bei der Arbeitsagentur in Kiel forderte eine Hartz-IV-Empfängerin auf, als "Hausaufgabe" Angaben über Freunde und Nachbarn zu machen. Datenschützer halten das für problematisch.
Von wem können Sie sich eine größere Geldsumme leihen? Oder: Kennen Sie jemanden, der auch eine Lese-Rechtschreibschwäche hat? Solche Fragen gehen eigentlich keinen etwas an. Und doch standen sie auf einem Fragebogen, den die Hartz-IV-Empfängerin Manuela Bombosch von ihrer Fallmanagerin im Kieler Jobcenter bekam. Erst als sie zu Hause war, wurde sie stutzig. "Ich dachte, das Ziel des Amtes sei es, mir einen Job zu vermitteln", sagt Bombosch.
Datenschutzrechtlich sind diese Fragen über Dritte äußerst bedenklich, findet der Kieler Rechtsanwalt Helge Hildebrandt, der sich auf Sozialrecht spezialisiert hat: "Ich sehe nicht, dass diese Daten etwas mit der Jobvermittlung zu tun haben."
Im Jobcenter Kiel werden diese Fragebögen als "Hausaufgaben" bezeichnet: Sie dienten der Selbstreflexion und unterstützten den Prozess der Arbeitssuche, sagt Britta Kempcke, die Bereichsleiterin des Jobcenters. Die Betroffenen könnten so "ihr soziales Umfeld erkunden" und "ihre Ressourcen erkennen".
Die 38-jährige Manuela Bombosch gilt im Jobcenter als Klientin "mit multiplen Vermittlungshemmnissen". Sie hat keine Lehre gemacht und lediglich einen Hauptschulabschluss. Sie ist schon lange arbeitslos und wird deshalb von einer Fallmanagerin betreut. Die gab ihr zu Beginn des Jahres Hausaufgaben auf. "Hausaufgaben - mein Kind macht Hausaufgaben!", empört sich Bombosch.
Eine Woche lang sollte sie detailgenau ihren Tagesablauf skizzieren, eine grafische Darstellung über ihr soziales Netzwerk auflisten - Ärzte, Nachbarn, Schule, Familie, Freunde, Vereine, Behörden und Institutionen.
"Ich hätte das bereitwillig ausgefüllt", sagt Bombosch, "aber dann kamen Fragen, die mich stutzig gemacht haben." Wen fragen sie, wenn Sie Rat brauchen? Mit wem haben Sie sich letzte Woche getroffen/telefoniert/gemailt? Wer kann Ihrem Sohn Nachhilfe geben?
"Mir hat es fast die Schuhe ausgezogen", sagt der schleswig-holsteinische Datenschutzbeauftragte Thilo Weichert. Er erkenne die Relevanz für die Vermittlung nicht. Und auch Juliane Heinrich, Sprecherin des Bundesbeauftragten für Datenschutz, findet die Fragen problematisch: "Die hier in Rede stehenden ,Hausaufgaben' gehen eklatant über das Ziel hinaus", sagt sie. Auch wenn die Fragen auf Freiwilligkeit beruhten, seien sie lediglich dann zulässig, wenn sie "für das beschäftigungsorientierte Fallmanagement unabdingbar erforderlich" seien.
Bereichsleiterin Britta Kempcke dagegen sieht kein Problem. Schließlich seinen alle Angaben freiwillig und würden nicht gespeichert. Allerdings: Nach der Formulierung "Bitte bringen Sie ihre letzte Hausaufgabe mit" steht in der Vorladung des Jobcenters an Manuela Bombosch die juristische Belehrung, dass das Arbeitslosengeld bei Nichterscheinen um zehn Prozent gestrichen werden kann. Wer seine Rechte nicht kennt, könnte dies als Androhung verstehen.
Die zuständige Regionaldirektion Nord der Arbeitsagentur möchte zu dem Fall "aus Gründen des Sozialdatenschutzes nicht Stellung nehmen". Der Fragebogen sei nur zur "individuellen Selbstreflexion da - mehr nicht". Für Rechtsanwalt Hildebrandt ist dies "Hobbypsychologie". Man müsse aufpassen, wenn man da rumexperimentieren lässt. Er vermutet: "Wenn Frau Bombosch dann Nachhilfe für ihren Sohn beantragt, kann es gut sein, dass man ihr sagt, aber sie kennen doch jemanden."
Die Sprecherin des Bundesbeauftragten für Datenschutz Heinrich sagt, man werde die Mitarbeiter der Arbeitsagentur "zu gegebener Zeit" beraten und kontrollieren. Der Fall Bombosch sei der einzige bekannte Fall.
Manuela Bombosch ist froh, dass sie den Fragebogen nicht ausgefüllt hat. Die Leistungen wurden ihr bisher nicht gekürzt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation