Datenschutz bei NRW-Polizei: Der Löschknopf fehlt
Polizei vernichtet Daten aus abgehörten Telefonaten und abgefangenen Mails erst mit viel Verspätung. Das verstößt gegen ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts.
Entgegen geltender Rechtsprechung horten Polizeibehörden von Bund und Ländern bis heute Daten aus abgehörten Telefonaten und abgefangenem Mailverkehr. Das geht aus Schreiben des NRW-Landesamts "Polizeiliche Dienste" hervor, die der taz vorliegen. "Das neue Telekommunikationsüberwachungs-System der Polizei des Landes NRW mit dem Arbeitsnamen Gemini besitzt derzeitig keine standardisierten Möglichkeiten zur Löschung bestimmter Dateien oder Teilen aus Dateien, die dem Kernbereich der privaten Lebensführung unterliegen", heißt es in einem Bericht an das Landesinnenministerium.
Das Bundesverfassungsgericht hatte im März 2004 festgestellt, dass es einen unantastbaren "Kernbereich privater Lebensgestaltung" gibt, in den der Staat nicht eindringen darf. Dazu gehören etwa Gebete, aber auch Gespräche mit geschützten Berufsgruppen wie Strafverteidigern oder Parlamentariern. Wird dieser Bereich berührt, muss eine Telefonüberwachung abgebrochen werden, entschied das Gericht und ordnete bei automatischen Aufzeichnungen die "unverzügliche" Löschung an.
Die Polizeibehörden aber sind dazu offenbar gar nicht in der Lage. "Eine teilweise Löschung" sei "nur mit hohem manuellem Aufwand möglich", klagt die NRW-Polizeibehörde. Auch die großkoalitionäre Bundesregierung musste im März auf Anfrage der neuen Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) einräumen, "bei der Telekommunikationsüberwachung" durch Bundeskriminalamt und Bundespolizei bestehe "noch Handlungsbedarf": Software zur unverzüglichen automatisierten Datenlöschung werde bis "spätestens Anfang 2010" beschafft - bis dahin bleibt es bei der zeitaufwändigen manuellen Vernichtung.
Die aber kann selbst in politisch brisanten Fällen monatelang auf sich warten lassen. Das zeigen die in sich zusammengebrochenen Korruptionsermittlungen gegen den Exabteilungsleiter im NRW-Umweltministerium, Harald Friedrich, die mittlerweile einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss beschäftigen. Im Mai 2008 hatte die Behörde nicht nur Telefonanschlüsse und Internetaccounts Friedrichs, sondern auch acht weiterer Beschuldigter anzapfen lassen, darunter der grüne Landtagsabgeordnete Johannes Remmel. Dessen Gespräche wurden erst am 12. Dezember 2008 vollständig vernichtet. Dabei hatte Landesjustizministerin Roswitha Müller-Piepenkötter (CDU) bereits im Oktober 2008 versichert, alle Gespräche des besonders geschützten Parlamentariers seien gelöscht.
Grund für die Verzögerung sei Personalmangel, heißt es vom Landeskriminalamt: "Mit der Auswertung der Telekommunikation (ca. 2.500 Gespräche und ca. 2.300 Mails) war ein Sachbearbeiter alleine beauftragt." Das NRW-Innenministerium vertröstet jetzt auf neue Software, die "in Kürze" installiert werde. Eine Sprecherin der Landesdatenschutzbeauftragten wird deutlicher: Das Vorgehen der Polizei sei schlicht "nicht verfassungskonform".
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