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Datenschützer über Neonazi-Datei"Eine Gesinnungsdatei lehne ich ab"

Eine gemeinsame Nutzung sensibler Daten durch Polizei und Verfassungsschutz ist rechtswidrig, sagt Thilo Weichert. Die Beobachtung von rechter Gewalt rechtfertige keine Überwachung.

Das Bundeskabinett will eine "Datei zur Bekämpfung des gewaltbereiten Rechtsextremismus" anlegen. Bild: dpa
Christian Rath
Interview von Christian Rath

Herr Weichert, am Dienstag soll im Bundeskabinett die sogenannte Neonazi-Datei auf den Weg gebracht werden. Wer soll darin erfasst werden?

Thilo Weichert: In der geplanten "Datei zur Bekämpfung des gewaltbereiten Rechtsextremismus" sollen rechte Gewalttäter, gewaltbereite Rechtsextremisten und ihre Kontaktpersonen gespeichert werden.

Finden Sie als Datenschützer diese Auswahl richtig?

Natürlich müssen sich die Sicherheitsbehörden überlegen, wie sie rechten Terror künftig schneller erkennen. Aber sie dürfen dabei auch nicht übers Ziel hinausschießen. So genügt nach dem Gesetzentwurf bereits ein vager Anfangsverdacht einer rechten Gewalttat, um in der Datei gespeichert zu werden. Es sollte aber schon ein handfester, auf Tatsachen gestützter Verdacht vorliegen. Zweitens genügt nach dem Entwurf bereits, dass rechte Gewalt "bejaht" wird, das erfasst bereits dumpfe Wirtshaussprüche, auch das geht zu weit. Zu umfangreich ist aber vor allem die Erfassung sogenannter Kontaktpersonen.

Der Entwurf verlangt immerhin, dass die Kontaktpersonen eine rechtsextremistische Einstellung haben und mit den gefährlichen Personen in nicht nur flüchtigem Kontakt stehen …

Ja, völlig uferlos ist der Entwurf nicht, aber er erlaubt dennoch, dass fast die ganze rechtsradikale Szene in die Datei gewaltbereiter Rechtsextremisten aufgenommen wird. Wer von denen kennt nicht irgendeinen, der Gewalt bejaht oder schon ausgeübt hat? Das geht in Richtung einer Gesinnungsdatei, das lehne ich ab.

Bild: UDL
Im Interview: THILO WEICHERT

Der promovierte Juist ist seit 2004 Datenschutzbeauftragter des Landes Schleswig-Holstein. Er ist einer der profiliertesten Datenschützer Deutschlands. Zuvor war er unter anderem Berater der Bürgerkomitees zur Auflösung der Staatssicherheit sowie des Sächsischen Landtages tätig.

Sie wollen also keine gläsernen Rechtsradikalen?

Kein Mensch soll gläsern sein, schon gar nicht für die Sicherheitsbehörden. Auch Rechtsextremisten haben einen Anspruch auf Datenschutz. Es geht bei dieser Datei ja auch gar nicht um die Erfassung neuer Daten, sondern um den Datenfluss bereits erhobener Daten zwischen den Sicherheitsbehörden, vor allem zwischen Verfassungsschutz und Polizei. Dort liegt für mich auch das eigentliche Problem des Gesetzentwurfs.

Lehnen Sie die Zusammenarbeit von Geheimdienst und Polizei generell ab?

Nein, dies ist heute ja schon möglich und im Einzelfall auch sinnvoll. Eine Datenübermittlung sollte dann aber auch in jedem Einzelfall vorher geprüft werden. Wenn bestimmte Daten in einer Verbunddatei für alle Sicherheitsbehörden zugänglich sind, findet aber gerade keine Einzelfallprüfung mehr statt.

Um welche Art von Daten geht es dabei?

Zu den Grunddaten, die grundsätzlich ohne Prüfung für alle Sicherheitsbehörden sichtbar sind, zählen zum Beispiel Informationen über die Mitgliedschaft in extremistischen Organisationen. Und zu den erweiterten Grunddaten, die nur im Eilfall ohne Prüfung sichtbar sind, gehören "Angaben zur Gefährlichkeit" einer Person. Das sind wirklich keine harmlosen Daten.

Ist die gemeinsame Nutzung solcher Daten nur eine politische oder auch eine rechtliche Frage?

Ich sehe darin einen unverhältnismäßigen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Der Verfassungsschutz sammelt Daten laut Gesetz schließlich schon im Vorfeld einer konkreten Gefahr. Es geht zu weit, wenn seine Daten ohne nähere Prüfung der Polizei zur Verfügung gestellt werden, die dann hoheitliche Befugnisse hat, zum Beispiel Menschen festnehmen und Wohnungen durchsuchen kann.

Die prüfungslose gemeinsame Nutzung von Daten gibt es ja auch bei der 2007 eingeführten Anti-Terror-Datei, in der gewaltbereite Islamisten gespeichert sind …

Die Neonazi-Datei ist der Anti-Terror-Datei weitgehend nachgebildet, und das Grundproblem, die gemeinsame Datennutzung von Polizei und Verfassungsschutz ohne Einzelfallprüfung, ist das gleiche. Deshalb wurde gegen die Anti-Terror-Datei bereits Verfassungsbeschwerde eingereicht, über die das Bundesverfassungsgericht nächstes Jahr entscheiden will. Ich würde es begrüßen, wenn der Bundestag mit der Neonazi-Datei wartet, bis Karlsruhe über die Anti-Terror-Datei geurteilt hat.

Halten Sie die Klage für aussichtsreich?

Bis vor wenigen Wochen war ich ziemlich sicher, dass die Anti-Terror-Datei für verfassungswidrig erklärt wird. Seit der NSU-Terror bekannt wurde, hat sich allerdings die Stimmung gewandelt. Selbst Linke und Liberale sind jetzt für vereinfachten Datenfluss vom Verfassungsschutz zur Polizei. Ich befürchte, dass sich auch das Bundesverfassungsgericht davon beeindrucken lässt.

Und Sie? Glauben Sie jetzt auch, dass so eine Datei sinnvoll und notwendig ist?

Nein, ich habe noch keine überzeugende Begründung gehört. Im Falle der Neonazi-Terrorgruppe NSU hat ja wohl auch der Verfassungsschutz keine Informationen über den Verbleib des untergetauchten Trios und dessen Verwicklung in die Mordserie gehabt. Was soll dann die Einrichtung eines gemeinsamen Datenpools bringen? Mir scheint, hier werden Pläne aus den Schubladen geholt, nur weil man sie angesichts der gegenwärtigen Stimmung für leicht durchsetzbar hält.

Die Neonazi-Datei soll auch zu "Recherche- und Analysezwecken" mit "systematischen Abfragen" genutzt werden. Ist ein derartiges Data-Mining zur Verdachtsschöpfung zulässig?

Wenn sich die Auswertung der Daten auf die Mitglieder einer ohnehin gewaltbereiten Szene beschränkt, habe ich mit solchen Analysen keine Probleme. Abzulehnen ist aber die Einbeziehung völlig Unbeteiligter, wie etwa bei der Auswertung von Fluggastdaten.

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8 Kommentare

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  • G
    Gast

    Keien Sorge, das ist nur der Einstieg. Anderer wird man demnächst bestimmt auch "erfassen".

    z.B. auch Leserbriefschreiber.

  • F
    Fritz

    DDR 2.0. Das sollte man nicht als Polemik abtun. Strassenblockierer berufen sich, wie ein kurzes Gespraech schnell offenbart, auf das Grundgesetz mit der gleichen Selbstverstaendlichkeit und Logik, mit der sie frueher den antifaschistischen Schutzwall verteidigt haben, und Wulff und Merkel geben ihnen noch Recht, indem sie behaupten, in unserer Gesellschaft sei kein Platz fuer radikale Ideen. In der Tat ist der Schoss noch fruchtbar, mal so, mal so, es ist immer das gleiche Muster.

  • TS
    Thomas Sch.

    2011Mit welcher Leichtigkeit sich hier Menschen für die Überwachung aussprechen, macht schon sprachlos. Ebenso die Leichtigkeit, mit der man für sein vorgebrachte Skepsis mit dem Verdacht Rechtsradikaler sein zu können, stigmatisiert wird. Früher jagten die Rechten die Linken, heute jagen die Linken die Rechten. Auf die Frage, warum damals in Nazideutschland sowenig was dagegen gemacht haben, antwortete mir mein Vater, daß die Methode der Nazis war: "Willst du nicht mein Freund mir sein, so schlag ich dir die Fresse ein." Derart verängstigt und eingeschüchtert, hat sich nur ein kleiner Teil getraut. Heute ist es natürlich leicht zu behaupten, daß man damals ganz sicher (!) ein Widerstandskämpfer geworden wäre. Also, was sich gegenüber Nazideutschland nicht verändert hat, ist, denjenigen, der von der Hauptmeinung abweicht, zu verdächtigen, zu stigmatisieren, ab- und auszugrenzen. Und der Typ, der hier immer schreibt, daß (nur) Faschismus ein Verbrechen sei, wird sicherlich seine Formulierung neu fassen, sobald er mal von sog. Linkssozialisten eingeknastet werden wird. Ich gebe ihm ja recht, aber seine Formulierung vergißt die zweite Hälfte der Willkür.

  • I
    IbnRusd

    So, nun marschieren wir stramm in Richtung Gesinnungsüberwachung. Orwell lässt grüßen!

     

    Kann das überhaupt verfassungs-, menschenwürde- und menscherechtskonform sein?

     

    Ich glaube das nicht!

     

    Menschwürde und Menschenrechte sind unteilbar und besonders die Menschenwürde gilt inhärent.

  • P
    pandur

    Irgendwie denke ich da auch sofort an Missbrauch. Ich habe einen Bekannten, dessen Vorfahren aus Indien stammen und der sich gegen Nazis engagiert. Auf einer Veranstaltung wurde er von Nazis beschimpft und mit Hitlergruss angemacht. Als er bei der Polizei Anzeige erstatten wollte und vormachte, was er gesehen hatte, wurde er wegen Volksverhetzung und Verwendung verbotener Symbole festgenommen. Wir haben damals trotz allem ein bißchen darüber grinsen müssen, aber ein Leben lang dann als Nazi zu gelten, nur weil unsere Polizei und Co gerne auch mal mit merkwürdigen Mitteln gegen Linke vorgehen, ist schon was anderes. Ich denke der ganze Neonazi Scheiß wäre schnell erledigt würden die Bullen sich nur halb so engagiert wie gegen Links zeigen. Wenn dann noch die "Normalrassistischen" Aussagen im Wahlkampf wegblieben, wäre das viel effektiver. Aber auch bei der nächsten Wahl wird wohl die islamische Gefahr und hier in Berlin die brutalst gefährlichen Autozündler bemüht werden, um unserer Politiker-Kaste über ihren Mangel an Glaubwürdigkeit zu helfen.

  • U
    @Uwe

    Da Herr Weichert schon mal als Linksextremist beim VS gespeichert war, wäre es für ihn wohl ein interessante Abwechslung als Rechtsextremist gespeichert zu werden.

     

    Auch wenn Linke häufig gespeichert werden, wenn sie einfach nur lose Personen kennen, die schonmal wegen Gewaltätigkeiten straffällig geworden sind, ist das noch nicht legal. Wenn die Datei in der geplanten Form rechtsmäßig ist, wird sie in Kürze auch für Linke kommen. Und da wird dann jeder gespeichert auch taz und ND Redakteure.

    Sinniger ist es einen Test für VS-Mitarbeiter auf Rechtesextreme Gesinnung zu verlangen (Das wird wohl nicht auf Linke übertragbar sein, denn die gibt es dort nicht).

  • W
    Webmarxist

    Man braucht Beweise, um einen als Nazi abzustempeln und nicht nur einen leisen Verdacht gegen irgendeinen. Und was wenn einer aus der Szene aussteigen will und nach dem Austritt immer noch in der Datei steht. Wie kommt er, da wieder raus ?

     

    Faschismus ist keine Meinung sondern ein Verbrechen.

  • U
    Uwe

    Ja, genau Herr Weichert,

     

    Zitat:"Kein Mensch soll gläsern sein, schon gar nicht für die Sicherheitsbehörden. Auch Rechtsextremisten haben einen Anspruch auf Datenschutz."

     

    vor was haben sie eigentlich Angst? Bundesbürger sind schon lange gläserne Menschen, aber wenn Rechtsextremisten beobachtet werden sollen, rufen solche Leute wie sie sofort nach dem Datenschutz. Machen sie endlich ihr rechtes Auge auf, oder haben sie Angst selbst in dieser Datei erfasst zu werden.