Datenschützer über EU-Überwachung: "EU-Bürger sind de facto rechtlos"
Die geplanten Neuerungen, die die EU einführen will, bringen nichts, meint Berlins Datenschutzbeauftragter Dix. Er macht sich Sorgen, was mit den gespeicherten Daten passiert.
taz: Herr Dix, die Europäische Union will mit ein paar technischen Neuerungen die illegale Einwanderung in den Griff bekommen und Datenschützer wie Sie kritisieren das. Warum?
Alexander Dix: Es geht hier nicht um ein paar technische Spielereien, sondern um ein sehr teueres und umfangreiches Überwachungssystem, welches immense Möglichkeiten zur Datenspeicherung aufweisen muss. Und für die Bekämpfung illegaler Einwanderung sind bisher die Mitgliedsstaaten zuständig. Dort vergeben die Ausländerbehörden Aufenthaltsgenehmigungen, und wenn die ablaufen und der Betroffene sich nicht meldet, dann wird er in der Regel zur Fahndung ausgeschrieben. Was soll also dieses Überwachungssystem von Herrn Frattini? Es bringt keinerlei zusätzlichen Nutzen.
Aber warum soll uns das interessieren? Die Fingerabdrücke von EU-Bürgern sind ohnehin schon in neuen Reisepässen gespeichert.
Aber bisher werden diese Daten nicht zentral erfasst und gespeichert - und das könnte in der EU vielleicht bald passieren. Außerdem geht es prinzipiell um den Umgang eines Rechtsraums mit der Privatssphäre von Menschen. Und da entfernt sich das einst vorbildliche Europa immer weiter von seinen ursprünglichen Standards. Man darf diesen Vorschlag von Frattini auch nicht auf sich allein gestellt betrachten. Der EU-Sicherheitskommissar möchte auch gern die Daten von Fluggästen 13 Jahre lang speichern. Das heißt, wir bekommen immer größere Datenbanken mit immer mehr Informationen - das sind doch Honigtöpfe, die immer neue Interessierte anlocken.
Jetzt kommt die Verschwörungstheorie...
Nein, dafür gibt es doch Beispiele. Denken Sie an die Daten, welche vom deutschen Mautsystem auf den Autobahnen erfasst werden. Sie sollten zuerst nur dafür da sein, die Bezahlung der Straßengebühr zu gewährleisten. Inzwischen diskutieren Innenpolitiker, dass man mit ihnen auch Strafverfolgung effizienter machen könnte.
Aber solange die Speicherung nach rechtsstaatlichen Regeln abläuft, ist doch nicht viel dagegen zu sagen, oder?
Sie kann gar nicht nach rechtstaatlichen Regeln ablaufen, weil es kein einheitliches europäisches Datenschutzrecht gibt. Es gibt nur harmonisierte Regeln für Datenbanken im privaten Sektor - also für Versicherungen beispielsweise. In allen datenschutzrechtlichen Belangen gegenüber Sicherheitsbehörden sind EU-Bürger de facto rechtlos. Zwar verweist Frattini in seinem Vorschlag zur Fluggastdatenspeicherung auf den EU-Rahmenbeschluss zum Datenschutz, aber den hat das Europäische Parlament noch gar nicht verabschiedet. Und selbst wenn er verabschiedet würde, könnte dies eine derart unverhältnismäßige Datenspeicherung auf Vorrat nicht rechtfertigen.
INTERVIEW: DANIEL SCHULZ
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!