: Das zu Beweisende vorausgesetzt
betr.: „Die sprachliche Vernichtung“, taz vom 6. 11. 02
Für die Autorin ist es schon Antisemitismus, Juden zu fragen, was Antisemitismus ist, weil die Frage „zu unterstellen scheint, dass Antisemiten [...] nicht wüssten, was antisemitisch ist“. Diese Schlussfolgerung hat zwei Mängel: Sie setzt das zu Beweisende, dass die Fragesteller Antisemiten sind, voraus. Sie setzt weiter voraus, dass es nur eine Antisemitismus-Definition gibt, sodass jemand, der danach fragt, keine eigene haben kann.
Dass in deutschen Kalendern keine jüdischen Feiertage eingetragen sind, kann auch den banalen Grund haben, dass dann nicht frei ist. Dass jüdische Friedhöfe nicht mit Davidstern gekennzeichnet sind, kann durchaus daran liegen, dass der Falk-Verlag kein dem Judenstern ähnliches Symbol verwenden wollte. Dass im Radiosender das Wort „jewish“ nicht übersetzt wurde, kann durchaus daran liegen, dass die Sprecherin den Antisemitismusverdacht fürchtete.
Frau Roggenkamp deutet das als Zeichen sprachlicher Vernichtung. Ich deute es als Zeichen der Verunsicherung von Nichtjuden, ihrer Befürchtung, bei der Behandlung jüdischer Themen einen Fehler zu machen und sich dem Vorwurf des Antisemitismus auszusetzen. Frau Roggenkamp hat Recht, wenn sie die Formulierung „ein Herr Friedman“ als beleidigend deutet. Ihre Vermutung, dass Scharon vom unbestimmten Artikel verschont wurde, weil er in Israel lebt, ist dagegen abwegig. Seit wann ist Antisemitismus wohnsitzabhängig? Möllemann war schlicht sauer auf Friedman und wurde beleidigend. Ein Nichtjude – Möllemann – hat einen Juden – Friedman – beleidigt. Das scheint der Kern von Frau Roggenkamps Antisemitismusdefinition zu sein: Ein Nichtjude, der einen Juden anfeindet, ist Antisemit.
Den eigentlichen Antisemitismus im Sinne meiner Definition gibt es durchaus. Ihn gilt es zu bekämpfen. Frau Roggenkamps gefühlter Antisemitismus lenkt da nur ab. PETER MAAS, Aachen
Der Text zeigt überdeutlich, mit welchen Bedrohungsgefühlen Juden in Deutschland leben. Da man sich von unterschwelligem Antisemitismus umgeben fühlt, wird er auch überall entdeckt, egal, was eigentlich gesagt wurde. „My Jewish mother was always fucking“ ist Antisemitismus. „My mother was always fucking“ ist sprachliche Vernichtung. Wenn selbst bei der Frage, wie man Antisemitismus erkenne, beim Fragenden Antisemitismus befürchtet wird, um wie viel mehr muss dann bei offener Kritik an der israelischen Regierung Antisemitismus vermutet werden.
Kein Wunder, dass die meisten Bürger und Politiker um dieses heikle Thema einen großen Bogen machen. Auf der Strecke bleiben dabei die Rechte der Palästinenser, die gegenwärtig unsere Schulden bezahlen. PAUL TIEFENBACH, Bremen
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