Das war: Alle haben im Mai die Wahl
Menschen mit Behinderung, die einen Betreuer haben, sollen in Niedersachsen künftig wählen dürfen. Das Land will dafür schnellstmöglich das Wahlrecht ändern, damit die mehr als 8.000 Menschen, denen es bei der vergangenen Landtagswahl verboten war, ihr Kreuz zu machen, schon bei den anstehenden Bürgermeister*innenwahlen im Mai mitwählen dürfen. Dies soll im März-Plenum des Landtags beschlossen werden.
„Mit der Wahlrechtsreform wird die verfassungswidrige Diskriminierung beendet“, sagt der SPD-Abgeordnete Ulrich Watermann. „Die Teilnahme am demokratischen Willensbildungsprozess darf nicht von den vermeintlichen Fähigkeiten eines Menschen abhängig gemacht werden.“
Zu diesem Schritt der rot-schwarzen Landesregierung, die „verfassungswidrige Diskriminierung“ zu beenden, brauchte es allerdings erst ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Das entschied im Februar, dass der Ausschluss von Menschen, die aufgrund einer Behinderung einen Betreuer oder eine Betreuerin haben, oder von Straftäter*innen, die in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebrachte sind, verfassungswidrig ist.
In Niedersachsen sollen Menschen künftig nur noch von der Wahl ausgeschlossen werden, wenn Richter*innen dies im Einzelfall entschieden.
Die Grünen hatten bereits im Dezember 2017 gefordert, dass alle Menschen mit Behinderung wählen dürfen. „Sie können nun selbst entscheiden, wer ihre Interessen in den Parlamenten und Rathäusern vertreten soll“, freute sich Anja Piel, die Fraktionsvorsitzende der Grünen. In Schleswig-Holstein durften betreute Menschen mit Behinderung schon bei der vergangenen Landtagswahl mitentscheiden. Und auch auf Bundesebene wird an einer Reform gearbeitet.
Anne Hagedorn ist die Sprecherin der Harz-Weser-Werke. An 30 Standorten in Südniedersachsen bietet das Unternehmen Wohnplätze, Tagestreffs, Bildungsangebote und Werkstätten für Erwachsene mit Behinderung an. „Das Wahlrecht trägt dazu bei, dass sich Menschen mit Beeinträchtigungen als wichtiger Teil der Gesellschaft wahrnehmen“, sagt Hagedorn. Auch Politiker*innen nähmen sie als Wähler*innengruppe anders wahr. „Es ist ein entscheidendes Signal, damit sich die Politik stärker für diese Gruppe einsetzt.“ Dass Menschen mit Behinderung die Fähigkeit besitzen, Wahlentscheidungen zu treffen, bezweifelt Hagedorn nicht. „Der Mensch, der sich frei dafür entscheidet, zur Wahl zu gehen, der kann auch wählen.“ Andrea Maestro
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