Das war die Woche in Berlin II: Ganz doofes Kino
Der Betreiber des Kinos Babylon Mitte versucht, mit NS-Vergleichen auf sich aufmerksam zu machen. Ob er den Skandal übersteht?
Es ist die perfekte Kulisse für eine „Inglourious Basterds“-Fortsetzung von Quentin Tarantino: „Deutsche! Wehrt Euch! Kauft nicht im Babylon“ steht seit Dienstagabend in Frakturschrift auf einem Plakat über dem Eingang des Kinos in Mitte. Auf den Türen prangen frisch gesprühte Davidsterne. Und biegt da nicht gerade Bratt Pitt in einem alten Wehrmachtsgeländewagen um die Ecke …?
Natürlich handelt es sich nicht um ein Filmkulisse, zum Glück auch nicht um einen Anschlag von Neonazis. Es ist komplizierter: Das Plakat und die Sterne sollen eine Kunstaktion sein, sind aber vor allem der Protestversuch des Kino-Geschäftsführers Timothy Grossman. Er will sich damit gegen den jüngsten von vielen Arbeitskämpfen im Babylon wehren, seit Juli streiken schon die meisten Mitarbeiter. Fünf Jahre lang seien ihre Löhne nicht erhöht worden, erklärt die Gewerkschaft Verdi. Grossman hingegen sagt, mehr Geld sei nicht zu verteilen und spricht von Boykottaufrufen – und weiß sich nicht mehr anders zu wehren, als die Nazi-Keule zu schwingen. Die streikenden Mitarbeiter als SS-Schergen: Darf Grossman das?
Der Babylon-Geschäftsführer, 1962 in Berlin geboren, ist jüdischer Abstammung: Sein Vater emigrierte in den 50er Jahren aus den USA in die DDR. Grossman glaubt deswegen offenbar, den mit dem NS-Vergleich verbundenen Tabubruch in solchen Grenzen halten zu können, dass er damit lediglich Aufmerksamkeit für seine Position erzeugt – darum geht es ihm ja. Die erwartbare scharfe Kritik an seiner Methode soll hingegen dank seiner Biografie abprallen: Mit jüdischen Wurzeln, so könnte man argumentieren, kann man sogar die Reichspogromnacht auf sich selbst anwenden. Schließlich dürfen sich Rollstuhlfahrer ja auch Krüppel nennen, wenn sie das wollen.
Tatsächlich wird Grossman vielleicht noch verziehen werden können, dass ein Nazi-Vergleich fast immer unfassbar dumm, weil unglaublich schief ist. Aber auch für ihn gilt die inzwischen allgemein bekannte politische Regel, dass jeder Vergleich dieser Art einen Kopf kostet – fast immer den eigenen. Und in diesem Fall ist der Griff in die NS-Kiste noch dazu eine Beleidigung, die jeder weiteren Zusammenarbeit die Grundlage entzieht.
Nun ist das Babylon in Mitte eine Art kommunales Kino: Es wird vom Land mit rund 350.000 Euro pro Jahr finanziert. Kann man es dem Senat verübeln, wenn er bei künftigen Verhandlungen tatsächlich über einen Boykott des Kinos nachdenkt? Das wäre das Ende des Kinos in seiner jetzigen Form. Was, ganz nebenbei, sehr schade wäre.
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