piwik no script img

Das war auchEine Stadt weiß Bescheid

Rechtlich haben die meisten Vorwürfe keine Konsequenzen

Was ist normal? Diese Frage zieht sich durch den Prozess gegen den ehemaligen Leiter des Weißen Rings in Lübeck.Dem ehemaligen Polizisten, der das Ehrenamt bei der Opferschutz-Organisation während seines Ruhestandes zwölf Jahre lang ausübte, werfen insgesamt 29 Frauen vor, sie sexuell belästigt zu haben.

Die meisten von ihnen waren als Opfer in seine Beratung gekommen, so wie die Besitzerin einer Boutique, die am Donnerstag als Zeugin aussagte. Eines Morgens war sie in ihren Laden gekommen und fand ihn leer – Einbrecher hatten ihn ausgeräumt. „Die Polizisten rieten mir, zum Weißen Ring zu gehen.“ Deren Leiter half ihr mit Geld, unterstützte sie emotional. Dabei war er ungewöhnlich engagiert: Vier Mal in der Woche sei er in ihren Laden gekommen, habe Wein mitgebracht. „Er wurde ein guter Bekannter.“

Ein paar Tage später sei er mit ihr Auto gefahren und auf dem Rückweg auf einen einsamen Parkplatz abgebogen, habe sie gegen ihren Willen berührt und bedrängt. Als sie sich wehrte, habe er sie nach Hause gefahren. „Er hat mich oft gefragt, ob er meine Brüste anfassen darf.“ Sie habe sich gestalkt gefühlt, sagte sie. Als sie ihn habe anzeigen wollen, habe er geantwortet: „Wer soll Ihnen denn glauben? Sie sehen doch, was ich für Kontakte ins Rathaus habe.“

Schon 2012 soll die Leitung des Weißen Rings eine Nachricht vom damaligen Polizeichef der Stadt bekommen haben, dass Detlef H. nicht mehr allein Frauen beraten solle. „Die Spatzen haben es von den Dächern gepfiffen“, diese Formulierung wiederholt sich. Trotzdem blieb er weitere fünf Jahre im Amt. Warum?

Wenn die Frauen Recht haben, ist das Verhalten des ehemaligen Opferhelfers moralisch nicht zu akzeptieren – rechtlich haben die meisten Vorwürfe aber keine Konsequenzen. Keine der Frauen wirft ihm Vergewaltigung vor. Sexuelle Belästigung ist seit 2016 illegal, Stalking seit 2017; viele mutmaßliche Übergriffe haben aber vorher stattgefunden. Das Gericht hat vor allem deshalb 28 der 29 Klagen abgewiesen.

Tatsächlich geht es nun nur noch um den Fall von Dora M., die ihrem ehemaligen Berater Exhibitionismus vorwirft. Sie ist Nebenklägerin in dem Verfahren. Einige Frauen wurden nun als Zeuginnen zugelassen, um Detlef H. ein Verhaltensmuster nachzuweisen.

Friederike Grabitz

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen