: Das war Bremen 93...
■ Wie das Jahr gerettet wurde - Versuch eines Rückblicks auf das vergehende Jahr
oder: Was beim Durchblättern der Bremer Lokal-taz so alles auffällt / Teil I
Fortsetzung morgen
Ein Jahr ist eine willkürlich Zäsur. Gerade deshalb lohnt es sich, diese Zäsur zum Anlaß für ein Zeit- Messen zu nehmen: Was ist wann wirklich passiert in diesen 356 Tagen? Zum Glück steht in der Zeitung, anders als bei den privaten Erinnerungen, immer das Datum rechts oben.
„Klöckner: Hütte am Meer gerettet“ war die Schlagzeile in der taz am 30.1.1993. Das könnte im Jahre 1994 an demselben Tag wieder die Schlagzeile sein, falls bis dahin die „Interessenten“ unterschrieben haben und Sidmar eingestiegen ist. Damals hatte Bremen mit dem Klöckner-Konzern verhandelt, und Bürgermeister Wedemeier wollte mit der Erfolgsmeldung eine 20- Millionen-Finanzspritze für das Stahlwerk in den Medien positiv plazieren. Was ihm gelang.
Frappierend ist beim Zurückblättern, wie sehr die Themen und die Schlagzeilen identisch geblieben sind, nicht nur die Betrachtungen über das Frauenbild in der Opernmusik (taz 11.1.93), auch tagesaktuelle Fragen, die heute gebracht werden müssen, weil sie keinen Aufschub dulden.
Etwa so: „Humanitäre Intervention in Bosnien! Es gibt einen Punkt, wo das Zusehen bei Grausamkeiten und Leiden die Zuschauer zu Komplizen macht“, formulierte Ralf Fücks am 5. Januar einen der vielen Anstöße zu der Bosnien- Debatte. Die Formulierungen wurden immer provozierender, Thema und Leiden blieben. Wann hat das christliche Abendland einmal so interessiert und so gut informiert zugeschaut, wir eine andersgläubige Minderheit dahingemordet wurde? Die Uno sitzt dabei in der ersten Reihe, registriert als Augenzeuge jedes erschossene Schulkind und jeden Granaten-Einschlag in ein Altersheim und hat es inzwischen als ihre Aufgabe übernommen, den Hilfspaketen den Stempel ihrer Gerechtigkeit aufzudrücken.
Was hat unsere Bosnien-Debatte gebracht? Immerhin: Am „Antikriegstag“, dem 1. September 1993, vermied der DGB das Thema vorsichtshalber in seinem aktuellen Aufruf.
„Die Sparvorschläge der Bundesregierung im sozialen Bereich sind Marksteine auf dem Rückweg in eine Klassengesellschaft“, so markig stand es – am 19.12.in der Bremer taz, 1992. Ralf Fücks hatte das gesagt, sozialdemokratische Senatsmitglieder hätten es genauso sagen können, mit der Metapher „Klassengesellschaft“ wären sie vielleicht etwas sparsamer umgegangen. Auch die Überschrift ist aktuell geblieben.
Gleich daneben standen damals die prophetischen Worte des früheren Finanzsenators Claus Grobecker, der vom Tresen aus die Bremer Politik mitgestalten wollte, nachdem es mit dem gutdotierten Posten in der Landeszentralbank nicht geklappt hatte: Im Sommer sei es aus mit der Ampel. An der Haushaltsaufstellung würde die Ampel-Koalition scheitern, kalkulierte Grobecker – und irrte gewaltig. Denn Ende Februar gab es einen kurzzeitigen großen Schulterschluß der 16 Bundesländer gegen die Bonner Finanzpolitik, und im Windschatten dieser Einigkeit brachten Bremen und das Saarland ihre Sanierungsforderungen ins Trockene. Der Streit, ob dies ein ein Erfolg der Ministerpräsidentenkonferenz und also des Bremer „Ministerpräsidenten“-Ersatzes, oder ob dies ein Erfolg zäher und geschickter Verhandlungen des Finanzressorts war, schwelt bis heute. Darüber geriet zeitweise auch die Chance, die sozialdemokratische Rolle bei diesem Erfolg herauszustreichen, ein wenig ins Hintertreffen. Die PR- Lawine rollte verspätet, dafür um so gewaltiger an. Und je mehr der Bürgermeister das auf sein Konto buchen konnte, um so deutlicher sagte der Finanzsenator, daß dies für die bremischen Spar-Zwänge wenig bedeute: Wenn Bremen sich zu Lasten der anderen Länder und des Bundes „entschulden“ kann, führt das vor allem dazu, daß Bremen in der alljährlichen Bund-Länder-Finanzausgleich weniger bekommen muß. Vielleicht war auch deshalb der Erfolg möglich. Im Herbst dieses Jahres ergab sich dann aus den nüchternen Zahlen des Etats 1994, daß von den 1,8 Milliarden für die Entschuldung jetzt schon 1,5 Milliarden für den laufenden Haushalt 1994 verplant werden müssen – da hatte Grobecker schon an der bremischen Landespolitik resigniert und sich (als Arbeitsdirektor der Seereederei) nach Rostock zurückgezogen, um „mit seinen Schiffen zu spielen“, wie Senatskollege Thomas Franke in seiner taz-Kolumne spottete.
Daß Kröning diese Wahrheit nicht in Erfolgs- Propaganda eingewickelt hatte, sondern – ein wenig enttäuscht über ausbleibende „Eigenanstrengungen“ beim Sparen – ungeschminkt sagte, provozierte den bisher letzten Krach mit dem Bürgermeister. Ernst Waltemathe will beweisen – wie er selbst sagt – daß ein Bundestagsabgeordneter auch richtig arbeiten kann und dies ausgerechnet als Vertreter bei der Baufirma Interhomes, die auch den Innensenator Peter Sakuth schon versorgte.So wird ein warmer Platz im fernen Bonn frei. Daß Kröning den kriegt, wollen nicht nur seine Freunde, sondern auch die, die ihn weit weg haben wollen . Bekanntlich gehört der Wedemeier- treue Bremer Süden zu dem Unterbezirk, in dem Kröning die Stichwahl gegen Isola gewinnen muß. K.W.
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