: Das ungenutzte Potenzial der Bäume
Baumkulturen wie Kirschen, Kaffee und Kakao bieten großes Potenzial für den ganzheitlichen Schutz von Biodiversität weltweit. Ein internationales Forschungsteam mit Beteiligung der Universität Göttingen ruft dazu auf, ihr ökologisches Potenzial noch gezielter zu erschließen und zeigt Wege dazu auf

Von Belinda Grace Gardner
Frieden, Wohlstand, Umwelt- und Klimaschutz gehören zu den Zielen der seit 2016 bestehenden UN-Agenda 2030: eine globale Vision für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs), die auf vielen Ebenen vorangetrieben wird. Der dadurch angestrebten Behebung von Ungleichheit, Armut und Klimawandel steht allerdings derzeit oft die Praxis monokultureller Landwirtschaft entgegen.
Dabei hat sich längst gezeigt, dass der einseitige Anbau einer einzigen Art von Nutzpflanzen neben anderen widrigen Folgen deren Widerstandsfähigkeit schwächt. Die damit einhergehende Auslaugung und Erosion des Bodens begünstigt die Entstehung von Pathogenen. Ein weiterer negativer Effekt ist der Rückgang biologischer Vielfalt.
Sehr viel nachhaltiger für Erhalt und Ausbau von Biodiversität, so stellte ein internationales Team von Forscher*innen unter Beteiligung der Universität Göttingen fest, ist die gezielte Bewirtschaftung vorhandener Baumkulturen. Die Ergebnisse einer aktuellen Studie dazu wurden in der Fachzeitschrift Nature Sustainability veröffentlicht.
Elena Velado-Alonso, Post-Doc-Wissenschaftlerin in der Abteilung Funktionelle Agrobiodiversität und Agrarökologie der Universität Göttingen, hat daran mitgewirkt. Aus ihrer Sicht gilt es, „die Rolle der Landwirtschaft für eine gerechtere und nachhaltigere Zukunft neu zu denken“ und auf dieser Basis langfristige Perspektiven zu entwickeln.
Baumkulturen wie Äpfel, Kirschen, Oliven, Nüsse, Kaffee und Kakao nehmen weltweit mehr als 183 Millionen Hektar ein. Doch gemessen an ihrem großen ökologischen Potenzial, gerade mit Blick auf die UN-Nachhaltigkeitsziele, finden sie in der Agrarpolitik bisher viel zu wenig Beachtung. „Baumkulturen haben bestimmte Eigenschaften, die sie bei richtiger Bewirtschaftung mit der Erhaltung biologischer Vielfalt kompatibel machen“, erläutert Velado-Alonso. „Sie weisen beispielsweise komplexe Strukturen auf, die mehrere Vegetationsschichten – Stauden, Sträucher, Bäume – umfassen und dadurch ein breites Spektrum an Lebensräumen für Wirbeltiere und wirbellose Tierarten schaffen.“
Baumkulturen wachsen langfristig, wirken durch ihre Wurzeln bodenstabilisierend und dienen über und unter der Erde als Kohlenstoffspeicher. So bieten sie „im Vergleich zu einjährigen Kulturen relativ stabile Lebensräume – auch über mehrere Jahre hinweg“, sagt die Wissenschaftlerin. Da sich die Anbauflächen für Baumkulturen mit vielen artenreichen Gebieten überschnitten, mache sie dies „zu einem Schlüssel für die Erhaltung von Biodiversität“. Um diesen „Schlüssel“ jedoch effektiv nutzen zu können, erfordere die zukunftsträchtige Bewirtschaftung von Dauerkulturen im globalen Gefüge den Einsatz von Verfahren, die für spezifische Klimazonen, Bodenbeschaffenheiten und andere Gegebenheiten maßgeschneidert seien, sagt die Forscherin.
Die Kultivierung mehrjähriger tropischer Nutzgewächse wie Kakao oder Kaffee ist oft mit Abholzung, hoher Abhängigkeit von Agrochemikalien und der Umwandlung in monokulturellen Anbau verknüpft. „Die Intensivierung der Unterholzvegetation, landschaftsplanerische Maßnahmen zur Vermeidung von Abholzung oder die Förderung von Agroforstwirtschaft können die Nachhaltigkeit dieser Systeme verbessern“, so Velado-Alonso.
Andere regionale Agrarsysteme könnten wiederum von Anreizen zur Wiederherstellung verödeter Landflächen und bewirtschafteter Habitats – etwa Olivenfarmen, Weinberge oder Apfelplantagen – profitieren. Im Fokus stünden dabei „lokale Maßnahmen, die an die unterschiedlichen Gegebenheiten angepasst sind“ und die weltweit reichlich vorhandenen Baumkulturen im Sinne der Nachhaltigkeit auf differenzierte Weise optimieren.
Erstautor der Studie zum Thema in der Zeitschrift Nature Sustainability, Carlos Martínez-Núñez, untersucht als Post-Doc-Forscher an der Biologischen Station Doñana in Spanien die Auswirkungen von veränderten Landnutzungsformen auf den Erhalt von biologischer Vielfalt und Ökosystemen. Wie seine Kollegin sieht er politischen Handlungsbedarf: „Wir verpassen sonst die Chance, Baumkulturen zu nutzen, um einige der größten ökologischen und sozialen Herausforderungen unserer Zeit anzugehen.
Richtig bewirtschaftet können diese Systeme die Biodiversität schützen, den Klimawandel bremsen, Armut lindern und jährlich etwa 1.000 Millionen Tonnen Lebensmittel liefern.“ Man wolle, sagt Velado-Alonso, das Bewusstsein dafür schärfen, „dass mehrjährige Holzpflanzen bei richtiger Bewirtschaftung und mit entsprechenden Fördermaßnahmen eine ganzheitliche nachhaltige Entwicklung unterstützen können“. WissenschaftlerInnen und politische EntscheidungsträgerInnen seien deshalb gefordert, „eine wirksame Agenda zu entwickeln, um die Vorteile von Baumkulturen besser zu nutzen“.
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