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Das rackert und ackert

Tanz im August Die Gruppe Voetvolk erzählt vom Zwang zur Lustigkeit

Im Winter 2014/15 lief „Höhere Gewalt“ im Kino, ein Film des schwedischen Regisseurs Rubin Östlund. In einem luxuriösen Resort in den französischen Alpen macht eine Familie Urlaub und versucht in diesen wenigen und teuer erkauften Tage eine Vertrauenskrise des jungen Elternpaars zu überwinden. Die verschneiten Berge wirken erhaben, doch jede Nacht wird die Schneelandschaft künstlich hergerichtet. Das Hotel ist ein ausgedehnter Gebäudekomplex, wirkliche Ruhe aber nirgendwo zu haben, ein unterirdisches Beben von den Bässen der Hoteldisko lässt Wände und Böden vibrieren und klopft die Nerven des streitenden Paars weich. Und als er einmal in der Sternennacht den Rückzug in die Einsamkeit sucht, überrollt ihn eine grölende Männerhorde, im Alkoholrausch ins Freie stürmend.

An Östlunds Film erinnerte mich „Ah/Ha“ der belgischen Gruppe Voetvolk beim Tanz im August. Nicht nur weil Maarten Van Cauwenberghe, Komponist und Sounddesigner von Voetvolk, das Grollen und Donnern der Musik in einer Szene so in die Tiefe verlegt hat, als käme das Wummern aus einem fernen Keller des Hebbeltheaters, sondern weil auch hier der Versuch des Vergnügens und Abschüttelns des Alltags als etwas sehr Zwanghaftes geschildert wird und gesteuert von einer anonymen, nicht benennbaren Gewalt. Man schaut einem Exzess zu, einer Verausgabung und Verschleuderung; aber alles, was da durch die Körper aufsteigt und über die Gesichter gleitet, wirkt wie eine Grimasse und Karikatur von etwas, das verloren gegangen ist. Als ob die Suche nach den eigenen Instinkten, dem Begehren, dem Loslassen, dem Ursprünglichen gerade dies nicht finden könnte, sondern immer nur einen verzerrten Abklatsch, eine grelle Kopie.

Dass es den fünf Figuren da oben auf der Bühne nicht gut geht, ahnt man ziemlich bald. Verstreut über einen grasgrünen Teppich wirken sie in ihrer Bewegungslosigkeit und den leicht ungemütlichen Posen anfangs wie Spielfiguren auf einem Brett. Das Punkmädchen in Kniestrümpfen und kariertem Rock, der leicht ölige Jeans-Typ, der blondierte Mann im Retro-Hawaiihemd, die Schüchterne in der gut geschnittenen Hose und die Älteste im kürzesten Rock – sie alle sind aufgebrezelt, ein wenig prollig meist, und in Feierlaune. Aber vor jeder Anmut, vor jeder Lässigkeit, teilt ihnen die Choreografie von Lisbeth Gruwez, die selbst eine der fünf Figuren tanzt, ein Wippen und Vibrieren in den Gelenken zu, minimal erst, sich bald vergrößernd. Kleinteilig und schnell zerhackt es jede Bewegung, gibt allem den Anstrich einer Mechanik.

Zugleich werden Bewegungsabläufe, Drehungen, Schritte, Armbewegungen, extrem in die Länge gezogen. Ein Hinterteil schiebt sich ganz langsam und doch ständig zuckend, nach hinten, der Tänzer steht mit gebeugten, vibrierenden Knien; das sieht artistisch, anstrengend, natürlich auch obszön, fast schon witzig, dann aber auch grausam aus, wie ein isoliert gesteuerter Paarungstrieb. Näher und näher kommen sich Mann und Frau, dabei aber lange doch ihre Körper aneinander vorbeischiebend, als trügen sie Luftpolster um ihre Kostüme.

In knapp einer Stunde durchläuft ihr Tanz verschiedene Phasen. Quietschende Geräusche vergrößern sich in laute Musik, und körperliche Eruptionen durchbrechen die Bewegungsabläufe. Krampfanfälle, Fehlzündungen, Stottern im Motor. Plötzlich grinsen sie sich an, die fünf da oben, und blecken die Zähne auch ins Publikum. Schenkelklopfend wirft das Punkmädchen den Schopf seiner langen Haaren hin und her, der Blondierte reißt den Mund auf, dem Jeans-Typ wird bange ob seiner eigenen Lustigkeit. Etwas von einer Geisterbahn steckt in diesen Typen. Das rackert und ackert so vor sich hin, bringt auch das Publikum zum Lachen, obwohl man doch sieht, dass alles nur eine Maskerade der Verzweiflung ist.

Katrin Bettina Müller

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