piwik no script img

Das neue „Literarische Quartett“Vor lauter Ehrfurcht eingefroren

Live im Studio war das Quartett unterhaltsam, auf dem Bildschirm hingegen schwer erträglich. Denn Literaturkritik im TV gibt es nicht.

Einfach mal locker rnachen: das neue „Literarische Quartett“. Foto: Jürgen Detmers/ZDF

Unser Autor unterhielt sich gut, als das „Literarische Quartett“ aufgezeichnet wurde. Seine Eindrücke können Sie hier lesen. Dann aber sah er die Sendung im Fernsehen. Die Diskrepanz zwischen beiden Erfahrungen schildert er in dieser erweiterten Fassung.

„Guten Abend“, sagt die junge Frau am Einlass im ersten Stock des Berliner Ensembles. „Guten Abend“, sagt die gut gelaunte Garderobiere. Das ist komisch, weil draußen die Sonne am blauen Oktoberhimmel steht. Es ist Mittwoch, und das ZDF zeichnet die erste Folge des neuen „Literarischen Quartetts“ auf.

Na ja, könnte man kulturkritisch sagen, beim Fernsehen bestimmt halt der Schein das Bewusstsein: Die Sendung wird am späten Freitagabend ausgestrahlt. Die Wahrheit ist vermutlich banaler. Die Damen arbeiten sonst wohl abends hier. Bevor es losgeht, ist Warten angesagt: Die vielleicht hundert Gäste der Sendung müssen eine gute Stunde vor dem Spiegelfoyer des BE ausharren, bevor sie eingelassen werden.

Man nimmt im Spiegelfoyer Platz und blickt auf eine leere kleine Bühne. Vier eher unspektakuläre, nicht besonders bequem aussehende Stühle warten auf die vier Diskutanten. Als das alte Quartett 2001 endete, saßen die Kritiker noch auf schweren schwarzen Ledersesseln.

Man kann das symbolisch nehmen – muss es aber nicht. Neben jedem Stuhl steht ein Beistelltisch. Auf dem mir nächsten liegen die vier Bücher, die besprochen werden sollen: Romane von Ilija Trojanow, Chigozie Obioma, Péter Gárdos und Karl Ove Knausgård.

Dabei wissen alle, dass der Kaiser nackt ist: Literaturkritik im Fernsehen gibt es nicht. Fernsehen ist Performance, Mimik, Gestik, ein paar Punchlines, ein Witz

Zielgruppe: Eine vierzig Jahre alte Frau aus Oldenburg

Die Bücher sehen abgegriffen aus, hier hat jemand mit vollem Einsatz gelesen. Es zeigt sich später, dass das der Platz von Juli Zeh ist. Dass der erste Gast von Gastgeber Volker Weidermann und seinen Beisitzern Christine Westermann und Maxim Biller eine junge Schriftstellerin ist, sorgt nicht nur für eine korrekte Quote. Bekanntlich ist auch der deutsche Durchschnittsleser eine vierzig Jahre alte Frau aus Oldenburg.

Bevor das Quartett einzieht, kommt der Warm-Upper auf die Bühne. So heißen die Leute, die den Zuschauern erklären, was gleich passieren wird, was sie nicht tun dürfen – und was sie unbedingt tun sollen: Am Anfang und am Ende klatschen, zum Beispiel. Das gehöre beim TV zum guten Ton, sagt er – als müsse man sich bei einem strengen Literaturpublikum für diese Zumutung entschuldigen.

Der Warm-Upper wirbt um Verständnis für die Nervosität Volker Weidermanns, den man als Feuilletonisten, aber nicht als Fernsehmann kenne. Das wäre nicht nötig gewesen, weil Weidermann seine Rolle als Gastgeber insofern locker ausfüllt, als er Meinungsstärke zeigt – die bekanntlich nicht mit altmodischer Überzeugungskraft zu verwechseln ist. Als Birgit von der Maske noch einmal herbeibeordert wird, um Weidermanns Stirn abzutupfen, sagt er: „Schon so schlimm?“

Dann aber muss er durch die Hölle zweier verpatzter Anfänge gehen. Die Sendung hat keine Einspieler und wird in einem Stück gedreht. Beim ersten Mal hat das Publikum seine Aufgabe zu ernst genommen und zu lange geklatscht. Weidermanns Anfangssätze wurden vom Lärm verschluckt. Beim zweiten Anlauf kommt irgendwo von oben ein dröhnendes Feedback. Es ist der Mikrotransmitter Maxim Billers, der ausgetauscht werden muss.

Szenenapplaus für die Sowjethymne

Biller überbrückt die Pause professionell, indem er erst die sowjetische, dann die slowakische Hymne zu singen beginnt. Er kommt zwar jeweils nicht über die ersten drei Zeilen hinaus, wird aber mit Szenenapplaus belohnt. Davon ist nachher im Fernsehen leider nichts zu sehen; es wäre ein authentischer TV-Moment gewesen.

Weidermann beginnt die Sendung mit einer kurzen Abschiedsrede auf Hellmuth Karasek, dessen Tod am Mittwochmorgen bekannt gegeben wurde. Er war am Abend zuvor in Hamburg gestorben. Sein Platz in der ersten Reihe bleibt leer. Wieder zeigt sich Maxim Biller als Profi. Das sei wohl Karaseks letzter Gag gewesen, sagt er: „Er wollte diese Sendung nicht mehr sehen.“

Karasek, der gute Witze liebte, hätte das wohl gefallen. Aber weder die Runde noch das Publikum reagieren darauf angemessen; es sind bloß Geräusche zu hören, die man im vergangenen Jahrhundert mit „hört, hört!“ übersetzt hätte – ist es ihnen zu pietätlos oder zu drastisch? Es ist deutsches Fernsehen.

Biller gibt damit jedenfalls den Ton vor und fortan wird ganz im Geist des alten Quartetts Tacheles geredet. Biller findet Trojanows Stasi-Schinken temperamentlos, Weidermann findet ihn grauenvoll. Westermann regt sich über die schlechte Sprache der Übersetzung von Obioma auf, wofür sie schon jetzt einen Orden verdient, auch wenn Biller tadelt: „Frau Westermann, Sie schauen zu sehr aufs Detail und nicht aufs große Ganze.“

Das ist offensichtlich Unsinn, denn wenn Westermann sich weiterhin im Fernsehen mit dem Sprachniveau von Gegenwartsliteratur auseinandersetzen würde, wäre ja schon was gewonnen. Und worüber sollte man in einer Literatursendung sonst reden als über Details? Großmeisterposen braucht niemand, nicht mal mehr im Fernsehen.

Biller rügt Holocaustkitsch

Billers Performance ist trotzdem super, er bedient das Format mit pointierten Kurzkritiken. Gárdos’ Liebesgeschichte der Eltern watscht er als Holocaustkitsch ab, „Schindlers Liste“ sei dagegen Dostojewski. Weidermann grätscht zwar gerne apodiktisch dazwischen, liefert jedoch meist nur ein autoritativ vorgetragenes „Ja, aber“.

Den ersten echten Lacher provoziert Westermann mit ihrer Bemerkung, die Hektoliter von Tee, die in Knausgårds quasiautobiografischem Roman aufgetischt und getrunken werden, seien typisch für die ermüdenden Längen dieses Buchs.

Das Publikum sieht den Kameras dabei zu, wie sie die Gesichter der Runde nach Regungen scannen, während sie sprechen oder die Bosheiten der Kollegen entgegennehmen. Von der zweiten Reihe aus fühlt sich die Show eher wie ein Hörspiel an. Langweilig wird es selten, schnell sind 45 Minuten um. An der Garderobe heißt es ein letztes Mal „Guten Abend!“, und man denkt bei sich: Danke, den hab ich gehabt.

Dann aber kommt der Freitagabend wirklich. Da erscheint alles, was im Spiegelfoyer des Berliner Ensembles nach dem langen Warten und der guten Show vorab ganz amüsant und kurzweilig war, plötzlich dröge, fast ein bisschen schockierend. Die Gesichter, die man sich beim Zuhören als noch etwas gestresst, aber halbwegs munter vorgestellt hat, blicken einen in Nahaufnahme starr und maskenhaft an.

Alle wissen, dass der Kaiser nackt ist

Wenn Biller, der wenigstens seine Genervtheit über die Fehlurteile der anderen zeigt, hin und wieder versuchen würde, charmant zu sein, wäre er der König dieser Show. Die anderen machen den Eindruck, als seien sie vor lauter Ehrfurcht ob ihrer titanischen Aufgabe eingefroren – als ginge es um grundstürzende Erkenntnisse. Dabei wissen alle, dass der Kaiser nackt ist: Literaturkritik im Fernsehen gibt es nicht.

Fernsehen ist Performance, Mimik, Gestik, Stimmen. Ein paar Punchlines, ein guter Witz. Das alles verdichtet sich beim Zusehen zu einer Emotion. Ist zwar Quatsch, was da eben gesagt wurde, aber die Haltung stimmt, die Frau ist mir sympathisch. Oder umgekehrt: Kann ich zwar nachvollziehen, ist mir aber egal.

Man kann sich als Fernsehkritiker also nur zurücklehnen, sich in Selbstironie üben und Leute mit ein paar plausiblen Argumenten zu überzeugen versuchen, mal dieses oder jenes Buch in die Hand zu nehmen. Oder, vielleicht noch wichtiger: erklären, warum man sich als Leser ein Buch sparen kann. In den Knausgård werde ich mal reinschauen, den Trojanow brauch ich nicht. Mal sehen, ob sich das Quartett in den kommenden Folgen lockermachen kann.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • Die Kinderseiten von Fernsehzeitschriften bieten ihren jungen KundInnen manchmal Suchbilder an, unter die sie die Aufforderung drucken "Finde zehn Unterschiede". Die taz macht hier was ähnliches. Wieso eigentlich?

     

    Ich habe nicht so ganz kapiert, was sie mir damit sagen möchte. Will sie sagen: "Life is life"? Will sie mir sagen: „Fernsehen ist doof“? Will sie sagen: „Kommt drauf an, wie einer grade drauf ist“ oder "Herzklopfen ist nicht zu ersetzen"?

     

    Ich meine: Dass Literaturkritik im Fernsehen gar nicht geht, ist eine ziemlich angestaubte Behauptung. Dann kam Marcel Reich-Ranicki und sie ging doch. Weil der Mann die Erwartungen bedient hat, die die Macher und das Publikum geteilt haben zum zeitpunkt X. Ob das am Ende noch Literaturkritik war, war völlig wurscht.

     

    Wenn sich alle, die damit befasst sind, einigen können darauf, dass "beim Fernsehen […] der Schein das Bewusstsein [bestimmt]", dann ist das halt so. Ob man dann noch live dabei ist oder nur aus der Konserve konsumiert, ist mindestens genau so wurscht, wie die Frage, ob das, was da gesendet wird, Literaturkritik ist oder was anderes. Der Unterschied ist dann, ob einer morgens mit dem rechten Bein zuerst den Bettvorleger berührt hat, oder mit dem linken.

  • Das ist leider im Fernsehen so. Ich bin einmal dort aufgetreten und war sehr zufrieden, dass die Sendung nur einen stark begrenzten Zuschauerkreis erreichte. Ich sah aus und redete auch so gezwungen, als wollte ich die ganze Zeit einen Riesenpups unterdrücken. Für mich ist das nichts, obwohl ich als Student Bühnenerfahrung sammeln durfte. Nun ist auch das Format "literarisches Quartett" doch sehr verstaubt. Mit dem Romancier und Lyriker Lothar Frohwein und dem Literaturkreis unter der Leitung der Frau von Bredenbeck mit Unterstützung der Direktorsgattin Renate Lohse wäre die Sendung aus der Stadtbücherei ein voller Erfolg geworden.

    • @achterhoeker:

      Sie haben sich also auch gefühlt, als wären Sie "vor lauter Ehrfurcht […] eingefroren", habe ich das richtig interpretiert? Können Sie mir auch sagen, wieso Sie da so etwas wie "Ehrfurcht" zu fühlen meinten und nicht einfach Ekel?

       

      Ich meine: Nach einer "titanischen Aufgabe" klingt es nicht gerade in meinen Ohren, in einer Stadtbücherei über Bücher zu reden. Da hin verirren sich doch höchstens Leute, die guten Willens sind und gern bereit, zu honorieren, dass sich jemand traut. Schwieriger mag es da schon sein, neben dem "Romancier und Lyriker Lothar Frohwein", "Frau von Bredenbeck" und der "Direktorsgattin Renate Lohse" zu sitzen – und zugleich zwar nicht die Leute selbst oder ihr Alias zu kennen, immerhin aber ihren Ruf als herz- und rücksichtslose KritikerInnen mit stilettspitzer Zunge. Man weiß dann nämlich, dass man beim Schlammcatchen für Anspruchsvolle mitzumachen hat. Und dabei eine gute Figur abzugeben, ist fast unmöglich. Schon wegen des ganzen Drecks überall. Eines Drecks, übrigens, der den eigentlichen Sinn der Übung darstellt. Welcher TV-Duell-Zuschauer interessiert sich schon ernsthaft für Bücher, Sinn oder die Feinheiten der Sprache?