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Das neue Geld überrollt die Händler

Der Einzelhandel sieht sich als „Wechselstube der Nation“. Die Euro-Bargeldeinführung verursacht Mehrkosten in Millionenhöhe. Manch einen Händler der Stadt könnte es im Januar kalt erwischen: Wer die neuen Euro-Preise noch nicht gründlich durchkalkuliert hat, für den dürfte es zu spät sein

von RICHARD ROTHER

Sie sehen sich als „Wechselstube der Nation“, und sie sind gut vorbereitet. Zum überwiegenden Teil zumindest. Die Berliner Einzelhändler schauen der Euro-Bargeldeinführung gelassen entgegen, obwohl ihnen die größte Währungsumstellung, die es jemals in Europa gab, Mehrkosten in Millionenhöhe beschert. „Wir haben uns dazu freiwillig verpflichtet, wir schaffen es“, betont Jan Holzweißich vom Berliner Einzelhandelsverband. Seine Hoffnung: „Nach zwei Wochen haben wir das Gröbste hinter uns.“ Zuvor wird in den Geschäften der Teufel los sein. Vom 1. Januar bis zum 28. Februar müssen die Berliner Händler sowohl D-Mark als auch Euro als Zahlungsmittel akzeptieren, sie sollen nach Möglichkeit aber nur Euro als Wechselgeld herausgeben.

Das bedeutet: doppelte Buchführung, mehr Personal, verschärfte Sicherheitsvorkehrungen. Ein immenser logistischer Aufwand, der manch kleinen Händler in Schwierigkeiten bringen könnte. „Vier Fünftel“, so Holzweißich, „sind sehr gut gerüstet, beim Rest könnte es kritisch werden.“ Allein die Kosten für das Personal könnten vorübergehend um 30 Prozent steigen.

Besonders problematisch wird der Umgang mit dem Wechselgeld. Weil die Verkäufer nur in Euro herausgeben sollen und die D-Mark-Einnahmen sofort in den Safe wandern, klimpert 20 bis 25 Mal mehr Wechselgeld in den Kassen. Das bedeutet nicht nur mehr Stress für Verkäufer und Verkäuferinnen, es kostet auch einige Euro: Die Sicherheitsvorkehrungen werden verstärkt, die Versicherungsgebühren steigen, das im Laden vorrätige Bargeld muss bei Banken beschafft werden.

Ein Beispiel: Hat ein Einzelhändler üblicherweise 1.000 Mark Wechselgeld im Geschäft, so könnten es Anfang Januar rund 10.000 Euro sein. Im besten Fall hebt er das Geld einfach vom Konto ab, um flüssig zu bleiben – dann entgehen ihm allerdings die Zinsen für sein Guthaben. Oder er muss gar einen Liquiditätskredit aufnehmen – und kräftig Zinsen zahlen. Selbst nach Ladenschluss wartet Mehrarbeit. Die Einnahmen fein nach Cent und Pfennig sortiert, verpackt und zur Banken geschafft – jede Einzahlung aber kostet Gebühren. Manche Händler müssen daher mit 200 Prozent Mehrkosten allein durch den Bargeldverkehr rechnen.

Die großen Kaufhäuser treten deshalb die Flucht nach vorn an. Sie richten in jedem Haus eine Umtauschkasse ein. Bevor die Kunden bezahlen, können sie hier ihre D-Mark-Bestände in Euro umtauschen. Die Geschäfte werden so zur „Wechselstube der Nation“. Schließlich kann niemand überprüfen, ob die Kunden ihre Euro tatsächlich im Haus lassen. Für die Kaufhäuser ist dieses Vorgehen insgesamt dennoch weniger aufwändig, weil an ihren Verkaufskassen nun alles in Euro laufen kann.

Die Kaufhäuser wollen damit auch lange Szenen vermeiden, die sich an den Kassen beim Umrechnen abspielen könnten. Viele Kunden zählen schließlich ihr Wechselgeld äußerst misstrauisch nach, bevor sie die Kasse verlassen. Die Euro-Zählerei dürfte diese Prozedur verlängern. Viele Geschäfte der Stadt haben deshalb ihre Verkäufer und Verkäuferinnen extra für die Euro-Umstellung psychologisch geschult. Allererste Regel: Ruhe bewahren und zur Not die ungewohnten Euro-Scheine und -Münzen noch einmal vorzählen!

Um ein Problem kommen aber alle Einzelhändler nicht herum: die Preise sämtlicher Waren und Warengruppen neu zu kalkulieren. Zwar sollen alle Preise dem seit drei Jahren feststehenden Umrechnungskurs gemäß umgewandelt werden, in der Praxis verzichten die Geschäfte aber nur ungern auf die so genannten Schwellenpreise wie 1,99 Euro oder 49,99 Euro, denn diese gelten als Kaufanreize. Zwar vermuten die allermeisten Verbraucher, auf Grund dieser Umrechnungen am Ende tiefer in die Tasche greifen zu müssen, existenziell ist dies allerdings wohl kaum. Im Unterschied zu kleinen Einzelhändlern: Machen diese Fehler in ihrer Kalkulation, könnte schnell ein hübsches Sümmchen zusammenkommen.

Die Branchenverbände haben deshalb ihren Mitgliedsfirmen Seminare angeboten, um existenzbedrohenden Pi-mal-Daumen-Berechnungen vorzubeugen. Die Händler sollten mit ihren neuen Kalkulationen aber längst fertig sein. Branchenkenner Holzweißich: „Wer jetzt erst damit anfängt, für den dürfte es zu spät sein.“

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