Das nahe Ende des Berlin-Hypes: Honey, wir sind nicht in Kansas
Zu hohe Mieten, zu viele Touristen: Für US-Medien ist Berlin nicht mehr die coolste Stadt der Welt. Doch bis es eine neue gibt, erfreuen wir uns weiter dran.
BERLIN taz | Oje! Berlin is over! Das meldet das Magazin Gawker im Internet, und das halbe Facebook diskutiert auch schon drüber, dann muss ja was dran sein. Grund der Aufregung ist ein aktueller Gipfel in der weltweiten Berlinberichterstattung.
Vor Kurzem hat die New York Times (NYT) ihren Reporter Zeke Turner ins Berghain entsandt. Er kam zurück mit einer Geschichte über Bohemiens aus Brooklyn, die in der Berliner Technoszene einfallen. „Brooklyn on the Spree“ heißt das Stück programmatisch. Gleich am Anfang wird ironisch den Horizont des gemeinen Brooklyner Hipsters aufspannt: „ ’The music reminds me of Brooklyn!‘, said Winston Chmielinski, a 25-year-old painter who moved here from New York last year.“
Am schönsten ist es immer noch zu Hause, und wenn es in Ostberlin so ist wie in Williamsburg, dann kann es in Germany nicht ganz falsch sein. Aber irgendwie ist es in Berlin dann doch ein bisschen anders, wie Zeke Turner an einem anderen Abend in einem anderen Club, dem Chesters in Berlin-Friedrichshain, beobachtet.
Gerade hat sein Brooklyner Bohemien noch gesagt: „Ich hab das Gefühl, das sind alles Leute aus New York hier“, da erscheint ein deutscher Vater mit Schnauzbart und fragt, ob jemand zufällig MDMA dabeihabe? Seine Kinder seien übers Wochenende auf dem Land. „Honey, wir sind nicht mehr in Kansas“, kommentiert die NYT.
Ingredienzen des großen Berlinhypes
Die Partys, die am Freitag anfangen und am Montag aufhören, die allgemeine Libertinage, die billigen Eintrittspreise, Mieten, Drinks, die grandiosen DJs, die schier unbegrenzten Möglichkeiten der Stadt, das sind die Ingredienzen des großen Berlinhypes, der zur Verblüffung seiner Bewohner immer dann noch eine Schraube weitergedreht wird, als man grade dachte, ooch, so schön wie früher ist es ja nun wirklich nicht mehr.
Wie jedes Klischee fußt auch der Berlin-Hype auf einer soliden empirischen Grundlage. Objektiv betrachtet ist es kein Wunder, dass die halbe Welt hierherziehen will, während die andere Hälfte wenigstens ein Wochenende ekstatisch zu „EDM“ abtanzen möchte. „Electronic Dance Music“ nennt man in der kulturellen Hauptstadt der USA lustigerweise House und Techno, die in Chicago und Detroit erfunden worden sind.
So wird Berlin in der NYT routiniert-ironisch als Mekka und Refugium gestresster junger New Yorker gezeichnet, während der amerikanische Rolling Stone ein paar Tage zuvor in einer langen Reportage über das Berghain das Mekka als latent bedroht porträtierte: Das Berghain ist zwar immer noch anerkannterweise der größte Club der Welt. Aber immer mehr der 5,3 Millionen Touristen, die Berlin in der ersten Jahreshälfte des Jahres 2013 besuchten, wollen eben deswegen genau dorthin.
Touristen im Berghain, der Apotheose Berliner Clubkultur, dem Tempel, in dem das ewige Licht der Ekstase nie ausgeht, wo aus den Wasserhähnen im Klo, wo sich die Geschlechter munter mischen, Fontänen schießen, um die vom tanzen und von Pillenwerfen dehydrierten Körper frisch zu halten?
Die Schattenseiten des Hypes
Jede Blume hat ihren Schatten, wie Rio Reiser in Prä-Techno-Zeiten sang, und im Rolling Stone wird über die Schattenseiten des Hypes genau Buch geführt: In Neukölln, erfahren die Leser, sind die Mieten zwischen 2007 und 2010 um 23 Prozent gestiegen, was die Einheimischen nun den Touristen vorwerfen, obwohl diese an den Mietsteigerungen eher geringen Anteil haben.
Rolling-Stone-Reporter Thomas Rogers hat ein akkurates Porträt des Berghain geschrieben, aber eines konnte er nicht wissen: dass fürderhin ein Popmanager als Kulturstaatssekretär für die Berliner Clubs verantwortlich sein würde. Mal sehen, was Tim Renner so machen wird, um Berlin vor den Bedrohungen zu bewahren, die nun quasi zum Weltthema geworden sind.
Auf den Seiten von Gawker werden die User derweil schon mal aufgefordert, die nächste coolste Stadt der Welt zu nominieren. Solange diese Frage nicht abschließend geklärt ist, freuen wir uns an unserer schönen Stadt, hier in Berlin.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
„Männer“-Aussage von Angela Merkel
Endlich eine Erklärung für das Scheitern der Ampel
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“