■ Das muslimische Kopftuch verträgt sich schlecht mit dem Geist der Gleichberechtigung, meinen die Bündnisgrünen in Baden-Württemberg: Die Schule ist kein Bankschalter
Herr Präsident, meine Damen und Herren,
Die Fraktion von Bündnis 90/ Die Grünen vertritt mehrheitlich die Auffassung, daß die Entscheidung von Frau Schavan (Kultusministerin in Baden-Württemberg, d. Red.) im Ergebnis richtig ist. Wir sind jedenfalls der Überzeugung, daß die Begründung äußerste Anerkennung verdient. Denn diese Begründung ist eben gerade nicht von einem Geist der Abgrenzung gegenüber dem Islam getragen, sondern von einem Geist der Toleranz und der Sorge um die staatliche Neutralitätspflicht.
Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen tut sich mit der Entscheidung, ob eine Lehrerin mit dem muslimischen Kopftuch unterrichten darf, nicht leicht. Für uns wiegen Persönlichkeitsrechte auch und gerade von denen, die im öffentlichen Dienst als Beamte und Beamtinnen tätig sind, sehr schwer. Wir wollen keine seelenlosen Apparatschiks im öffentlichen Dienst, und auch das personifizierte Neutrum in weltanschaulicher Hinsicht ist für uns nicht das Ideal einer Lehrkraft.
Ich weiß, wovon ich spreche, weil ich im Gerichtsreferendariat Auseinandersetzungen um die Fragen erlebt habe, ob Referendare im Gerichtssaal Turnschuhe tragen dürfen und ob auf der Richterbank bunte Haarsträhnen zu sehen sein dürfen. Ich sage Ihnen, meine Damen und Herren, die Auseinandersetzungen über solches Verhalten und die Sanktionen hierfür sind nichts anderes als Albernheiten eines Obrigkeitsstaates, und dies wollen wir nicht.
(Beifall bei Bündnis 90/Die Grünen)
Wir wollen auch in der Schule kein Klima der Jagd auf religiöse Symbole. Was nicht passieren darf, das ist etwa eine Halskontrolle, ob jemand ein Kettchen trägt, an dem ein Kreuz oder etwas anderes hängt. Aber bei uns in der Fraktion scheiden sich die Geister in der Frage, ob der demonstrative Akt des religiösen Bekenntnisses in der Kleidung, wie er sich auch und gerade in dem muslimischen Kopftuch manifestiert, die Grenze des Tolerierbaren überschreitet oder nicht.
Eine starke Minderheit in unserer Fraktion ist der Auffassung, daß man wegen der Sorge, Persönlichkeitsrechte könnten allgemein normiert werden, dies noch zulassen sollte.
Die Mehrheit hingegen hat gesagt – und das möchte ich auch vertreten –, daß, wer als Lehrkraft eine religiöse oder politische Überzeugung hat, diese in der Schule durchaus zur Diskussion stellen sollte. Aber genau um die Diskussion, um den Diskurs geht es. Wer durch die Kleidung, in diesem Fall das Kopftuch, die eigene Überzeugung plakatiert, der oder die lädt eben gerade nicht zum Diskurs ein, sondern konfrontiert nur und tut damit der Demokratie und dem Diskurs in der Schule gerade keinen Gefallen.
(Beifall bei Bündnis 90/Die Grünen)
Denn, meine Damen und Herren, es ist doch so: Verfassungsrechtlich gesprochen findet die positive Bekenntnisfreiheit der einen die Grenze dort, wo die negative Bekenntnisfreiheit der anderen tangiert ist. Schule ist eben kein Rathaus und kein Bankschalter, sondern für Schülerinnen und Schüler ist die Schule eine Pflichtveranstaltung. Sie müssen hingehen, und sie können sich ihre Lehrkraft nicht aussuchen.
Das muß im Gegenzug heißen, daß die Lehrkraft dann aber auch zu einer gewissen Zurückhaltung verpflichtet ist. Wenn es richtig ist – und das halten wir für richtig –, daß kein Schüler und keine Schülerin es akzeptieren muß, unter dem Kruzifix unterrichtet zu werden, dann, meine Damen und Herren, ist der ungleich demonstrative Akt der Kleidung, des Kopftuchs, etwas, was man, auch unter dem Gedanken von Kinderrechten, den Schülern und Schülerinnen zu dulden nicht abverlangen darf.
Schließlich: Wenn Sie, Herr Ministerpräsident, einmal gesagt haben, es komme darauf an, was unter dem Kopftuch gedacht wird, so ist dem entgegenzuhalten, daß, wer als muslimische Frau die Haare und den Hals mit einem Kopftuch bedecken zu müssen glaubt, auch etwas darüber sagt, was die Rolle der Frau in dieser Gesellschaft sein soll. Das aber verträgt sich schlecht mit dem Geist der Gleichberechtigung, in dem Schüler und Schülerinnen von dieser Lehrerin erzogen werden sollen.
Aber, meine Damen und Herren, eines ist für unsere Fraktion auch klar: Wir wollen nicht nur über Kopftücher im Unterricht reden, sondern auch über die Frage, welche Integrationsangebote die Politik dem kulturell oder religiös nichtchristlichen Teil der Bevölkerung macht. Da gibt es noch Bringschulden, zum Beispiel die Frage des Staatsbürgerschaftsrechts. Es ist an der Zeit, daß die hier geborenen Kinder von eingewanderten Eltern die deutsche Staatsbürgerschaft mit der Geburt bekommen und daß auch die doppelte Staatsbürgerschaft möglich ist.
(Beifall bei Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)
Ein Zweites, Frau Schavan, ist originäre Aufgabe des Landespolitik. Religion ist an unseren Schulen zu Recht ordentliches Lehrfach. Islamischen Religionsunterricht aber gibt es bisher nicht. Wir sind der Auffassung, daß es dringend überfällig ist, für die Muslime an unseren Schulen ein Angebot von Religionsunterricht zu machen.
(Beifall bei Bündnis 90/Die Grünen und bei den Abgeordneten der SPD)
Wir sind es leid, Frau Schavan, die Ausreden zu hören, das sei so schwierig, weil es im Islam keine Amtskirche gebe. Ich sagen Ihnen: Wo ein politischer Wille ist, muslimischen Religionsunterricht anzubieten, da ist auch ein Weg. Wir verlangen von Ihnen, daß Sie diesen Weg gehen.
Deswegen möchte ich abschließend sagen, meine Damen und Herren, und das als Aufforderung an Sie, Frau Ministerin, richten: Lassen Sie den Kopftuchstreit nicht zum Markenzeichen baden- württembergischer Politik werden, sondern sorgen Sie dafür, daß Integrationsangebote an den muslimischen Bevölkerungsteil zum Markenzeichen baden-württembergischer Politik der Toleranz werden. Birgitt Bender
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