Das mühselige Comeback von Altona 93: Der andere andere Verein
Gegen die zweite Mannschaft des FC St. Pauli setzt es die nächste Pleite für Altona 93. Der Klassenerhalt wird harte Arbeit. Und das schöne, alte Stadion ist auch bald weg.
Vor 20 Jahren wäre es noch nicht denkbar gewesen, dass ein US-Diplomat die Verhältnisse in der Fußball-Stadt Hamburg so wahrnimmt. „Traurig: Mit Altona 93 stirbt ein Stück Fußballgeschichte“, schluchzte seinerzeit die Bild-Zeitung. Hintergrund: Aus finanziellen Gründen übersprang der aus der damals drittklassigen Regionalliga abgestiegene AFC eine Liga nach unten und machte in der fünftklassigen Verbandsliga Hamburg weiter.
Altona hat die drittmeisten Zuschauer der Liga
Heute gehört Altona 93 zu den attraktivsten Mannschaften der, mittlerweile viertklassigen, Regionalliga – zumindest, wenn man die Publikumsresonanz als Maßstab nimmt. Die im Sommer aufgestiegene Mannschaft ist zwar Tabellenletzter, liegt mit einem Schnitt von fast 1.300 Fans in den Zuschauercharts aber auf Platz drei.
Am Sonntag gab es einen Rekord, als 2.080 Zuschauer auf der Adolf-Jäger-Kampfbahn das Gastspiel des anderen für Hamburgs linke Szene relevanten Verein sehen wollten. Es war zwar nur die zweite Mannschaft des FC St. Pauli, die beim „Hood Battle“ – wie der AFC das Spiel auf Instagram angekündigt hatte – angetreten war, doch die war stark genug, um den AFC gleich mit 5:1 zu schlagen.
Nach 15 Sekunden landete der erste Torschuss von St. Paulis Philipp Bräuning im Netz, vier Minuten später auch der zweite durch Ersin Zehir, und da war das Spiel so gut wie gelaufen. Kurz vor der Pause musste bei den während der gesamten Saison vom Verletzungspech gebeutelten Altonaern dann auch noch Kapitän Nick Brisevac vom Platz, den der AFC weitaus schwerer ersetzen kann als der FC Bayern Robert Lewandowski.
Der Beziehungsstatus zwischen Altona und St. Pauli ist kompliziert. Zwar sind einst einige Fans vom Millerntor nach Altona gewechselt, aber viele AFC-Fans nervt es, dass ihr Verein in den Medien als eine Art anderes St. Pauli beschrieben wird, zur Beschreibung eigener Besonderheiten also ein anderer Verein als Bezugsgröße herhalten muss. Der Zuruf „Deine Mutter klaut bei kik!“, der am Sonntag St. Paulis Torwart Stefan Rakocevicvom sogenannten Zeckenhügel entgegenschlug, spiegelt das wider.
Das große fankulturelle Kapital des AFC ist sein Stadion, das schönste Hamburgs. Die 1908 eröffnete Spielstätte hat sich den Charme der frühen Jahre bewahrt. Sogar die Umzäunung des Spielfelds, zu der der Verein vor der Saison vom DFB gezwungen wurde, hat sie relativ gut überstanden.
Das schöne Stadion ist längst verscherbelt
Das Ende dieser Geschichte ist aber absehbar. Bereits 2007 hat der Verein das Gelände für 11,25 Millionen Euro an zwei Wohnungsbauunternehmen verkauft, spätestens 2026 kommen die Bagger. Die Mitgliederversammlung hatte es damals in einem Anflug von Umnachtung versäumt, eine Indexklausel in den Vertrag einbauen zu lassen, die gewährleistet hätte, dass die bei Inkrafttreten des Vertrags fällige Summe wertmäßig dem bei Vertragsabschluss festgelegten Betrag entspricht. Die fixe Kaufsumme von 11,25 Millionen verliert somit Jahr für Jahr an Wert.
Die Band Liga der Gewöhnlichen Gentleman hat dem Stadion zwar schon einen Nachruf gewidmet: „Sie wurde abgerissen/ Weil die Menschen wohnen müssen“, heißt es in dem Song „Die Kampfbahn im Sonnenschein“ von 2016. Wo der Verein mittelfristig spielen wird, ist aber, nachdem sich viele Optionen bereits in Luft aufgelöst haben, weiterhin unklar. Derzeit ist ein Standort im Sportpark Diebsteich im Gespräch, der im Gebiet rund um den neuen Fernbahnhof Altona entstehen soll.
Eine Vorentscheidung darüber, ob der Verein im kommenden Jahr sein 125-jähriges Jubiläum in der Regionalliga feiern kann, fällt bereits am kommenden Mittwoch. Dann kreuzt Mitaufsteiger Eutin 08 auf, der nur elf Punkte auf dem Konto hat – aber immerhin zwei mehr als Altona. Die in solchen Fällen übliche Formulierung „Sechs-Punkte-Spiel“ klingt da beinahe untertrieben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu
Wanted wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen
Die Wahrheit
Der erste Schnee
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Jeder fünfte Schüler psychisch belastet
Wo bleibt der Krisengipfel?