: „Das ist ein ideologischer Angriff auf unsere Freiheiten“
Universitäten dürfen unter dem politischen Druck nicht einknicken, sagt der Vize-Dekan der Madrider Uni Complutense. Sie müssten weiter friedliche Demos von Studierenden zulassen
Interview Reiner Wandler
taz: Herr Rocafort, die Regionalregierung von Madrid will mit massiven Bußgeldern Proteste an Hochschulen einschränken.Wie sehen Sie das?
Víctor Rocafort:Der Gesetzentwurf ist völlig absurd. Schließlich kommt ein Großteil des Geldes, über das die öffentlichen Unis verfügen, aus dem Haushalt des Staates und der Region. Hauptkritikpunkt ist aber: Es handelt sich dabei um einen Eingriff in unsere Kompetenzen und in unsere in der spanischen Verfassung festgeschrieben Unabhängigkeit.
taz: Inwiefern?
Rocafort:Die Strafen von bis zu einer Million Euro richtet sich ganz gezielt gegen ein vielfältiges, pluralistisches und freies Universitätsleben, wie wir es gewohnt sind. Die Universitäten in Spanien waren immer ein Vorreiter, wenn es um ethische Positionen in der Gesellschaft geht. Ein Beispiel waren die Protestcamps gegen den Krieg und den Völkermord in Gaza seitens Israel vor einem Jahr. Diese Proteste würden durch das neue Gesetz mit hohen Geldstrafen für Teilnehmer, aber auch die Universitätsverwaltung enden, weil sie die Camps nicht verhindert hat.
taz: Die Regionalregierung Madrid will damit die Wissenschaft an den Universitäten über die Ideologie stellen und die Meinungsfreiheit verteidigen.
Rocafort:Sie verteidigt aber nicht die Meinungsfreiheit, im Gegenteil. Es ist das gleiche Projekt, wie das von US-Präsident Donald Trump und Argentiniens Staatschef Javier Milei. Die Regierungschefin in Madrid Isabel Díaz Ayuso tut so, als ob ihre Position nicht ideologisch sei. In Wirklichkeit ist es aber ein ideologischer Angriff auf die Universität und auf ihre Freiheiten. So sollen ausgerechnet in einer Zeit, in der die Wirtschaft wächst, die Gelder für die öffentlichen Universitäten zusammengestrichen werden. Wir müssen mit 35 Prozent weniger auskommen.
taz: Der Bußgeldkatalog soll die freie Meinungsäußerung sichern. An Ihrer Fakultät kommt es immer wieder zu Protesten gegen rechte Politiker und Redner.
Rocafort:Ja, wir treten für eine Universität ein, an der Hassreden keinen Platz haben. Nicht nur, weil wir das so wollen, sondern auch weil das spanische Gesetz Hassreden und Aufrufe zur Gewalt gegen Minderheiten unter Strafe stellt. So wollte an unserer Uni ein rechtsextremer Blogger auftreten, der unter anderem die EU-Präsidentin als „Dreckshure“ beschimpft hatte, der sich in den Netzwerken für die Anti-LGTBI-Gesetzgebung in Ungarn ausspricht und gegen Immigranten und andere Minderheiten hetzt. So jemand will eine akademische Veranstaltung abhalten? Soll das neue Gesetz solche Leute schützen?
taz: Wo ziehen Sie die Grenze?
Rocafort:An den öffentlichen Hochschulen sind die akademischen Veranstaltungen dazu da, die Debatten zu bereichern, die freie, ruhige und öffentliche Diskussion zwischen unterschiedlichen Ideen zu fördern. Wir wollen ein sicherer und freier Raum sein. Da haben verbale Angriffe auf Minderheiten wie etwa LGTBI oder auf muslimische Studierende keinen Platz.
taz: Was können die Universitäten tun, um ihre Unabhängigkeit zu bewahren? Die Rektoren verlieren mit dem neuen Gesetz ihr Hausrecht, die Polizei kann ohne Genehmigung der Universität auf den Campus.
Rocafort:Der Gesetzesentwurf verstößt ganz klar gegen die Verfassung. Ich glaube nicht, dass er vor dem Verfassungsgericht Bestand haben wird. Aber wir müssen auch sehen, dass die Universitätsleitungen in den letzten Jahren ihre Unabhängigkeit, zum Beispiel gegenüber den Ordnungskräften, nicht genug verteidigt haben. Sie haben all zu oft weggeschaut, wenn die Polizei ohne Genehmigung gegen Proteste auf dem Campus vorging.
taz: Angenommen, das Gesetz kommt wie geplant. Sehen Sie die Gefahr, dass die Unileitungen noch weiter einknicken und Proteste von vornherein untersagen?
Rocafort: Die Universitäten müssen sich klar auf die Seite der Demokratie und der Meinungsfreiheit stellen und deshalb friedliche Demonstrationen der Studierenden zulassen. Hier dürfen sie nicht einknicken. Wenn wir irgendwann eine autoritäre Regierung haben sollten so wie in den USA, die alle roten Linien überschreitet, müssen wir Stärke beweisen. Dazu müssen wir dann alle Mittel des zivilen Ungehorsams einsetzen. Wir können da auf wertvolle historische Erfahrungen zurückblicken.
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