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Das YAAM will sich neu aufstellen„Wir wollen in Zukunft den Marktcharakter stärker betonen“

Das YAAM ist einer der letzten Freiräume – und soll es bleiben. Ein langfristiger Mietvertrag macht es möglich. Ein Gespräch über die Neuausrichtung.

Ein bunter Ort zwischen Glas und Kommerz: Das YAAM am Friedrichs­hainer Spreeufer Foto: imago
Andreas Hergeth
Interview von Andreas Hergeth

taz: Eka Neumann, das YAAM ist derzeit geschlossen. Die große Konzerthalle, die Platz für bis zu 500 Menschen bietet, ist nach wie vor gesperrt, weil die Ufermauer zur Spree unterspült ist und der Sanierung harrt. Zuletzt hatte es mit dem Mietvertrag für 20 Jahre mit der Option auf Verlängerung gute Nachrichten gegeben. Wie ist der Stand der Dinge?

Eka Neumann: Der Mietvertrag wurde schon im Frühjahr letzten Jahres unterschrieben. Derzeit befindet sich das YAAM in einem Prozess der Neuausrichtung. Gleichzeitig sind finanzielle Herausforderungen aufgetreten. Weil die Halle nicht mehr betrieben werden konnte, und auch durch die Coronasituation, die für viele Veranstaltungsorte einen Einschnitt bedeutete. Die große Halle brachte die Haupteinnahmen, dort fanden Konzerte und andere Events statt, und sie ermöglichte ein ganzjähriges subkulturelles Angebot. Ohne die Halle wurde es zu einem Saisongeschäft, besser gesagt zu einem Sommergeschäft. Der Sommer musste die Kosten für das ganze Jahr einspielen, auch für die sozialen Aktivitäten wie Sport- und Jungendangebote. Eine Herausforderung.

Bild: privat
Im Interview: Eka Neumann

55, lebt in Berlin, hat Soziologie studiert, arbeitet als Coach, Supervisorin und Prozessbegleiterin. Sie ist spezialisiert auf die Themen Diskriminierung, Diversität und Teilhabe und begleitet den Prozess der Neuausrichtung des YAAM, das sie seit Langem kennt.

taz: Sie begleiten den Prozess der Neuausrichtung des YAAM, wie soll die aussehen?

Neumann: Das SO36 war ja als Retter in der Not eingesprungen und hatte die Bewirtschaftung im YAAM übernommen. Nun kann der Verein das wieder alleine organisieren, und das ist Teil des neu zu organisierenden Prozesses. Und dann will sich das YAAM programmatisch neu ausrichten.

taz: Was bedeutet das genau?

Neumann: Das YAAM will auch wieder jüngere Generationen ansprechen. Will sich sozusagen neu erfinden.

taz: Ist das nötig? Oder anders gefragt: Wo kommt der Wunsch her für so eine Neuausrichtung?

Neumann: Das geht ja auch anderen Initiativen so: Wenn sich ehrenamtliches Engagement über Jahrzehnte zieht, waren da mal junge Leute am Start. Und 20 Jahre später sind die Akteure dann nicht mehr so jung, haben Familie oder können auch nicht mehr so aktiv wie damals sein.

Das YAAM – Young African Art Market

Der Ort

Das YAAM ist ein unabhängiges soziokulturelles Projekt und existiert in Berlin seit 1994 – seit 2014 mit dem rund 8.000 Quadratmeter großen Standort an der Schillingbrücke. Es bietet eine Plattform für Underground-Musik, Street Art, soziale und alternative Kunstformen. Trägerverein ist der gemeinnützige KULT Verein für Jugendkultur e. V. Das Vereinsheim „Cool Runnings“, 2021/22 neu gebaut und vergrößert, bietet Platz für bis zu 80 Gäste.

Die Ufermauer

Bis zum Sommer 2020 hatte das YAAM einen Indoor-Clubbetrieb. Zwischen 2014–20 haben in der Halle, die bis zu 500 Menschen fasst, über tausend Konzerte und Partys stattgefunden. Im Juni 2020 wurde der Uferbereich, der an das Gelände führt und schon länger sanierungsbedürftig ist, gesperrt. Weil Uferwand und Gebäude statisch miteinander verbunden sind, wurde die Nutzung der Konzerthalle von der Bauaufsicht Friedrichshain-Kreuzberg untersagt. Die Zuständigkeit für den Uferabschnitt liegt beim Land Berlin. Die Senatsverwaltung für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt erklärte auf taz-Anfrage: „Vorlaufende Arbeiten zur Sondierung der Einbringtrasse für die Stahlspundwand wurden begonnen, konnten jedoch aufgrund des großen Umfangs an angetroffenen Störkörpern (Unrat) in der Gewässersohle nicht durchgehend abgeschlossen werden. Die Ausschreibung der Bauleistung ist für das I. Quartal 2025 vorgesehen. Mit einem Beginn der baupraktischen Tätigkeiten rechnen wir nicht vor dem IV. Quartal 2025.“ (heg)

taz: Es gibt aber immer noch den Verein?

Neumann: Ja, und der ist sehr lebendig, da sind viele Leute aktiv. Aber das YAAM ist ein Ort mit einem Tagesgeschäft, was professionelle Strukturen braucht. Da ist eine Neuausrichtung gut. Es sollen neue Leute eingebunden und auch ein breiteres Publikum erreicht werden. Die Zeiten ändern sich.

taz: Dieser Wunsch nach einer Neuausrichtung kommt also aus dem Verein selbst? Es war keine Bedingung des Bezirks bei der Verlängerung des Mietvertrages?

Neumann: Nein, gar nicht. Das ist der Wunsch aus dem Verein, sich wieder jünger aufzustellen und auch wieder mehr Angebote für Familien unterbreiten zu können und neue Communitys ins YAAM auf dieses wunderschöne Gelände an der Spree zu holen.

taz: Das so zentral gelegen ist.

Neumann: Ja, es bietet urbanen, zugänglichen Raum, direkt am Ostbahnhof, zwischen dem ganzen Stahl- und Glasfassaden, der genutzt und gestaltet werden darf.

taz: Dass es das YAAM an diesem Ort – sagen wir mal: einem Filetstück –, weiter gibt, ist an sich schon eine Erfolgsgeschichte! Das YAAM kennt sich ja aus mit Umzügen. Doch nun gibt es einen Mietvertrag für 20 Jahre mit der Option auf Verlängerungen.

Neumann: Ja, das ist ein totaler Erfolg. Und gleichzeitig eine Chance für den Fortbestand urbaner Subkultur und die Möglichkeit, dort längerfristig zu gestalten. Die Unsicherheit zuvor hatte das YAAM sicher auch ein bisschen gehemmt, wenn man nicht weiß, wie lange man den Ort noch bespielen kann. Längerfristiges Planen und Investieren fiel da schwer. Die Sperrung der Halle kam erschwerend hinzu. Das alles bremste. Und mit der neuen Sicherheit kann es nun innovativ vorangehen.

taz: Wenn Sie von neuen Communitys sprechen, wen meinen Sie da?

Neumann: Es geht darum, weitere afrikanische und afro-diasporische und BiPoC-Communitys zu erreichen wie bislang, aber auch darum, ein vielfältigerer Ort zu werden. Queerer könnte das YAAM auch werden. Und auch andere Communitys, die marginalisiert sind, die das YAAM vielleicht noch nicht so auf dem Schirm haben, sind eingeladen, den Ort mitzugestalten und anzunehmen. Wir gehen aktiv auf verschiedene Vereine und Initiativen zu

taz: Die vietnamesische zum Beispiel auch?

Neumann: Ja, auch da sind wir offen. Das YAAM hat immer wieder Anfragen von verschiedenen Communitiys, man würde im YAAM gern dies und das machen. Damit ist es ein Ort, der offen ist, Brücken baut und vernetzt.

taz: Wie weit ist dieser Prozess? Wann gab es dazu den Startschuss?

Neumann: Im Herbst letzten Jahres ging es los. Die Saison fängt üblicherweise im April oder Mai an, je nachdem wie das Wetter ist. Das ist ja bald, daher sind wir gerade stark am Machen. Aller spätestens am 1. Mai geht’s richtig los.

taz: Wie konkret sind die Ideen schon? Gibt es bereits neue Veranstaltungsformate?

Neumann: Jetzt gerade beginnt die Veranstaltungsplanung, die Jahresplanung. Es gibt dann neue Sportangebote und ein breites Musikangebot von Reggae über Dancehall bis zu Amapiano, um nur ein paar zu nennen, viel Live-Musik, daneben Kunst, Urban Gardening und Workshops. Wir gucken uns auch die Initiativen an, die sich auf unserem Aufruf zur Mitarbeit hin gemeldet haben, lernen sie kennen, loten gemeinsam aus, was es für Formate möglich sind, was sie einbringen können, wo wir sie unterstützen können …

taz: Das klingt nach einem zeitraubenden Unterfangen.

Neumann: Das braucht auf jeden Fall viel Zeit und Ressourcen. Es geht eben um Neues. Neu gestaltet wird zum Beispiel auch der Afrikanisch-Karibische Foodmarket. Was eine Besonderheit des Prozesses im YAAM ist: Es handelt sich um einen sehr breit aufgestellten Verein, die rund 60 Menschen, die da miteinander arbeiten sind sehr divers.

taz: Das Problem mit der sanierungsbedürftigen Uferwand und der deshalb gesperrten Konzerthalle aber bleibt vorerst bestehen?

Neumann: Ja, deshalb ist es wichtig, dass die Uferwandsanierung kommt. Die wurde versprochen und war eigentlich schon für den Herbst vergangenen Jahres angedacht. Nun soll diese Uferwandsanierung im Herbst 2025 kommen, das ist unser letzter Stand. Das ist ein komplexeres Unterfangen, weil der Bezirk und das Bundeswasserstraßenamt dafür zuständig sind. Es wäre toll, wenn das endlich passieren würde.

taz: Wie schauen Sie als Soziologin auf das YAAM? Wie beurteilen Sie die Wichtigkeit eines solches Projektes für die Stadt – gerade in diesen Zeiten?

Neumann: Das YAAM ist ein Safer Space! Ein sehr wichtiger Ort. Und ein Ort, der seine eigenen Einnahmen generieren und diese dann in Kunst und Kultur und ins ganze Projekt stecken kann, und damit unabhängig ist – auch abseits von Haushaltsgeschichten und politischen Beweggründen in wechselnden Regierungen. Wir können hier dauerhaft etwas entwickeln, ganz ohne die Zwänge anderer Organisationen, die diese eventuell in den nächsten Haushaltsjahren haben werden.

taz: Das YAAM war ja schon in der Vergangenheit ein sehr wichtiger Ort für viele Menschen.

Neumann: Ja, ein Ort, wo Mensch Luft holen kann, eine Freifläche, ein Ort der ganze Generationen mitgeprägt hat. Ein urbaner, ein politischer Ort, zum gemeinsam feiern. Hier lässt sich die Basis legen, weitere Dinge zu entwickeln, gemeinsam an Projekten zu arbeiten. Und das kann noch viel mehr genutzt werden. Dieses Potenzial sehe ich im YAAM.

taz: Das YAAM bietet Raum dafür – im wahren wie im übertragenen Sinn.

Neumann: Ja, genau so. Ich sehe das YAAM noch stärker als Markt …

taz: YAAM heißt ja auch so und ist eine Abkürzung für Young African Art Market. Bleibt der Name eigentlich so?

Neumann: Ja, der bleibt. Und wir wollen den Marktcharakter stärker betonen. Märkte, wie es sie an vielen Orten gibt – im Sinne von: Du kommst her und gehst eigentlich als andere Person wieder weg, denn du hast etwas erlebt, gehört, gesehen, du hast vielleicht eine neue Info bekommen oder etwas erworben … Markt ist im afrikanischen wie auch im urbanen Berliner Kontext etwas Soziales. Du triffst dort Menschen, die du kennst. Gleichzeitig sind ja Markt­händ­le­r:in­nen Menschen, die sehr innovativ sind. Märkte reagieren ganz schnell auf Dinge, die sich verändern, was geht, was nicht, was ist ein neuer Trend, oder sie versuchen einfach mal was Neues, probieren es aus. Und wenn es nicht läuft, dann eben nicht. Nächster Versuch. Und in diesem Sinne denken wir auch das YAAM.

taz: Ein Markt der Möglichkeiten?

Neumann: Genau. Wir probieren mal was aus, verwerfen es vielleicht wieder, adaptieren es – gleichzeitig ist es ein so energiegeladener Ort, der neue Impulse gibt und aufnimmt. Ein Ort, wo die Menschen aus ihrer Vereinzelung geholt werden können und andere Menschen aus anderen Kontexten sehen. Auch BiPoC-Communitys sind ja sozial ganz unterschiedlich aufgestellt, haben ganz unterschiedliche Ressourcen, unterschiedliche Zugänge und Privilegien – im YAAM trifft das alles aufeinander, man kann sich vernetzen und davon profitieren, weil ein Austausch stattfinden und Ideen und Projekte entwickeln werden können. Selbstbestimmt und selbst organisiert. Ja, das ist politisch.

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