■ Das Wirtschaftsprogramm der SPD preist Innovation und Wachtstum als Allheilmittel. „Jobless growth“? Nie gehört: Mehr Nachhaltigkeit wagen
Die SPD will endlich modern werden. Mit aller Macht und mit Gerhard Schröders Ansichten. Seit Mitte September hat die Öffentlichkeit das nun auch schwarz auf weiß: „Innovationen für Deutschland!“ heißt das Werk, das Wachstum, Technologie und Beschleunigung preist. Es ist davon auszugehen, daß der leicht gekünstelte Techno-Sound des Papiers die Grundmelodie des sozialdemokratischen Wahlkampfes im kommenden Jahr bilden wird, weshalb eine Auseinandersetzung mit ihm lohnend erscheint. Das läßt sich auf verschiedenerlei Weise tun. Man kann es als Dokument lesen, das auf die Mitte zielt, um Unterschiede zur Union einzuebnen. Man kann es als Dokument der Ausgrenzung lesen, das die Parteilinke ins Abseits drängen soll. Man kann es als modernen Exorzismus begreifen, der die Epplerschen Geister von Wachstumskritik und Technikskepsis auf immer vertreiben soll. Und man kann es als Prüfraster hernehmen, um die Aussagen des Papiers mit der sozialdemokratischen oder niedersächsischen Realpolitik zu vergleichen, was – welch Wunder – schwerste Abweichungen zutage fördert.
Hier aber soll anders gefragt werden: Ist die feilgebotene Rezeptur wirklich modern? Und was ist überhaupt modern?
Beginnen wir mit letzterem: Modern ist eine Politik, die sich am Leitbild der Nachhaltigkeit orientiert, die versucht, soziale, ökologische und wirtschaftliche Ziele gemeinsam zu erreichen, und zwar national wie international. Es wäre ein großer Irrtum, würde diese Trias mit der Gleichung übersetzt „Pralle Sozialkassen plus hohe Umweltschutzinvestitionen plus Wirtschaftswachstum gleich Nachhaltigkeit“. Vielmehr heißt der neue Dreiklang „Schaffung von Zugängen zur eigenständigen Existenzsicherung für möglichst viele, Armutsbekämpfung und Stärkung des sozialen Zusammenhalts plus Ressourceneffizienz, Solar- und Kreislaufwirtschaft plus Strukturwandel, Innovationen und Dienstleistungen gleich Nachhaltigkeit“.
Will man vom Nebeneinander zum Miteinander der Ziele kommen, so bedarf es einer echten Integrationsleistung. Die stellt sich nicht von selbst ein, sondern muß politisch gewollt und – wo immer möglich in Kooperation mit den Beteiligten – umgesetzt werden. Wichtig ist, daß nach Win-Win- Optionen Ausschau gehalten wird, nach für alle Seiten vorteilhaften Lösungen. Es kommt sehr darauf an, ob die Politik Nachhaltigkeit als Gestaltungsaufgabe und Innovationschance begreift oder als Investitionshemmnis und Wettbewerbsnachteil. „Mehr Nachhaltigkeit wagen“, das wäre das angemessene Motto einer Reformpolitik für das 21. Jahrhundert.
Schaut man sich vor diesem Hintergrund das „Innovationspapier“ an, dann gibt es neben manchem Licht reichlich Schatten. Positiv ist sicher, daß die Flexibilisierung der Arbeitswelt als unabdingbare Voraussetzung für eine moderne Wirtschaft erkannt und propagiert wird. Gleiches gilt für die Einsichten, daß der Staat nicht nur Obrigkeit, sondern auch Dienstleister und Moderator sein soll, daß Eigenverantwortung und Sozialstaat in eine neue Balance zu bringen sind und Bildung die Schüsselressource der Zukunft ist.
Natürlich taucht auch die ökologische Modernisierung im Katalog auf, allerdings erkennbar eingeschränkt. Wo sich Umweltschutz arbeitsplatz- und technologieförmig sowie wachstumskonform erreichen läßt, ist er der SPD willkommen. Wo er dem Ökonomischen Grenzen setzt, ist er es nicht.
Das führt zu den Schwächen des „Innovationspapiers“, von denen vier besonders gravierend sind:
Erstens: Der globale Wettbewerb wird ausschließlich reaktiv betrachtet. An seine Erfordernisse sollen sich Staat und Gesellschaft anpassen. Die Gestaltung dieses Wettbewerbs durch soziale und ökologische Regelsetzungen, etwa im Rahmen der Welthandelsorganisation und des Umwelt-Völkerrechts, durch Begrenzung von Spekulationsgeschäften, etwa mittels der sogenannten Tobin-Steuer, oder durch abgestimmte europäische Konzepte, etwa eine EU-Strategie zur Nachhaltigkeit, kommt als Aufgabe praktisch nicht vor. Es mangelt an internationalem Gestaltungsdenken.
Zweitens: Die Metamorphose der SPD-68er von Staatsgläubigen zu Staatsskeptikern kommt im „Innovationspapier“ voll zum Tragen. Glaubten sie in den 70er Jahren noch, der Staat könne alles bis hin zur Investitionskontrolle, trauen sie ihm heute praktisch nichts mehr zu (obwohl oder vielleicht gerade weil sie ihre Karriere meist komplett im Politikbetrieb gemacht haben). Das eine ist ebenso falsch wie das andere. Der Staat als Rahmensetzer, Garant des Interessenausgleichs und Subjekt des Völkerrechts ist unverzichtbar. Ein Nachtwächterstaat, der sich etwa in der Umweltpolitik darauf beschränkte, freiwillige Selbstverpflichtungen der Industrie entgegenzunehmen, kann wohl kaum das Leitbild sein.
Drittens: Die Lobpreisung des Wirtschaftswachstums mag polit- rhetorisch gut klingen, von der Sache her ist sie fragwürdig. Haben die Verfasser nie vom „jobless growth“, vom Wachstum ohne Arbeitsplätze, gehört oder vom „taxless growth“, vom Wachstum ohne Steuereinnahmen? Haben sie nie davon gehört, daß vieles von dem, was wir heute als Wachstum feiern, längst ein negatives Vorzeichen haben müßte, weil es das Naturkapital aufzehrt und nachfolgenden Generationen Kosten aufbürdet? Sicher, von einem politischen Papier, das auf die Mehrheit im Lande und auf den Beifall der Medien zielt, sollte man vernünftigerweise keine Wachstumskritik erwarten. Aber hier werden falsche Hoffnungen geweckt und Probleme durch besonders lautes Pfeifen im Walde übertönt.
Viertens: Ökologie wird in dem „Innovationspapier“ nicht wirklich als integrale Aufgabe verstanden. Zwar kommen von der Öko- Effizienz bis zum produktionsintegrierten Umweltschutz alle Schlagwörter der fortschrittlichen Umweltdiskussion vor, aber die Wege zur Umsetzung bleiben eigentümlich vage. Das Instrument, das auf breiter Front Nachhaltigkeitsimpulse gäbe, nämlich eine aufkommensneutrale ökologische Steuerreform, kommt auf Samtpfoten daher und soll „maßvoll“ eingesetzt werden.
Fazit: Mit dem „Innovationspapier“ ist der Wettbewerb um das beste Modernisierungskonzept eröffnet. Jene, die sich dem Konzept der Nachhaltigkeit verpflichtet fühlen, sollten sich jetzt nicht auf Kritik beschränken, sondern Alternativen präsentieren. Denn in einem Jahr wird nicht der Kritikerpreis vergeben, sondern der Auftrag zur Regierungsbildung. Reinhard Loske
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen