Das Wetter: H:
Die Liste aller Menschen, die ich gekannt hatte und die schon gestorben waren, lag angefangen in einer der beiden unteren Schubladen meiner Kommode. Das letzte Mal, als ich einen ernsthaften Versuch unternommen hatte mit der Liste, war ich unterbrochen worden, weil H hereinkam und mich wissen ließ – ihre Mimik hatte sie achtsam ins angemessen Schmerzliche gezwungen –, dass P gestorben war, und statt seinen Namen einfach auf die Liste zu setzen, war ich kurz und hochschnellend aufgestanden wie ein Schulkind, das, in Gedanken vertieft, vom Lehrer aufgerufen wird und sich ertappt fühlt. Ich räumte den Tisch dann ab und verstaute die Liste, wie gesagt, in der Kommode, dachte zwar bei jedem neuen Toten an mein Vorhaben, aber nicht mehr daran, es auch umzusetzen. Irgendwann fing ich dann eine neue Liste an, die Liste aller Menschen, von denen ich wünschte, sie wären tot. Die hängt am Kühlschrank. Auch H steht seit letztem Sommer darauf, und die Hoffnung, die beiden Listen eines Tages in einer einzigen zusammenfassen zu können, habe ich wenigstens noch.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen