Das Wegsperren beenden: Kinder raus aus der Haasenburg
Grüne fordern nach taz-Bericht, Hamburger Kinder aus dem Brandenburger Heim zurückzuholen. Der Senat soll Alternativen zu geschlossenen Heimen schaffen.
HAMBURG taz | Nach den jüngsten taz-Berichten zu den Jugendheimen der Haasenburg GmbH fordern die Grünen den Hamburger Senat auf, keine Kinder mehr in die brandenburgischen Heime zu schicken. „Was in der Haasenburg unter dem Namen Jugendhilfe läuft, hat mit Hilfen nichts mehr zu tun“, sagt Jugendpolitikerin Christiane Blömeke. Hamburg müsse seine Kinder schnellstmöglich aus dem Heim holen. „Es ist erschütternd, welche brachialen Maßnahmen offenbar in der Haasenburg zum Einsatz kommen, um den Willen der Kinder zu brechen und sie zur Anpassung zu zwingen“, so die Grüne. „Isolationsmaßnahmen und repressive Erziehungsmethoden sind völlig unangemessen. Wir haben die Feuerbergstraße nicht geschlossen, um sie an anderer Stelle wieder und noch schlimmer aufleben zu lassen.“ Das Heim in der Feuerbergstraße hatte Hamburg 2008 geschlossen und faktisch durch die Nutzung der Haasenburg ersetzt.
Hamburger Aufsicht
Wie berichtet, plant der Senat eine eigene Aufsichtskommission nach Brandenburg zu entsenden, weil Hamburg sehr viele Kinder dort hinschickt. Aktuell sind es zwölf. Doch deren designierter Vorsitzender Michael Lindenberg hat in Folge der taz-Berichterstattung entschieden, diese Aufgabe nicht anzunehmen. Nachdem er Einsicht in Unterlagen aus der Haasenburg genommen hatte, schrieb er an die Sozialbehörde: „Für mich steht fest, dass die dortige Praxis wohl kaum durch Besuche der Aufsichtskommission soweit geändert werden kann, dass sie den Ansprüchen für wohlverstandene Kinder- und Jugendhilfe zu entsprechen vermag.“ Eine solche Kommission sei „bestenfalls von Alibi- Nutzen für die Einrichtung selbst“, schreibt der Professor der Evangelischen Hochschule für Soziale Arbeit.
Die Hamburger Sozialbehörde erklärte auf Nachfrage, man sei „nach wie vor dabei“, eine Aufsichtskommission einzusetzen. „An diesem Vorhaben hat sich nichts geändert“, sagt Sprecherin Nicole Serocka. „Da dieses Verfahren noch nicht abgeschlossen ist, werden wir uns darüber hinaus zu dem Thema momentan nicht äußern.“ Auch nicht zur Forderung der Grünen.
Wie berichtet liegen der taz zahlreiche Protokolle vor, die den Alltag in der Brandenburger Heimfirma bis Ende 2010 beschreiben. Die Jugendlichen im Alter von zwölf bis 17 Jahren wurden rigide diszipliniert, unter anderem auf Fixierliegen festgeschnallt. Sogar bei Schwangeren kam es demnach zu körperlichen „Begrenzungen“ durch Erzieher auf dem Boden.
Die Aufsichtskommission wird auf Druck von Grünen und Linken wieder eingerichtet. Doch die Grünen fordern nun mehr: „Aufgrund der aktuellen Vorwürfe ist es nicht zu verantworten, dass Minderjährige aus Hamburg weiterhin dort betreut werden“, heißt es in dem Antrag, der diese Woche in die Bürgerschaft eingebracht wird. „Der Senat ist aufgefordert, unverzüglich alternative Betreuungsmaßnahmen für die verbliebenen Minderjährigen zu finden.“
Grüne wollen keine Heime
Als Alternative zur geschlossenen Heimunterbringung kämen zum Beispiel „intensiv-betreute Wohngruppen“ in Frage, in denen Kinder und Jugendliche rund um die Uhr, nach verbindlichen Regeln, in einem klar strukturierten Tagesablauf und von multiprofessionellen Teams betreut werden. Gar nichts halten die Grünen dagegen von einem erneuten geschlossenen Heim in Hamburg. Denn dort gehe es in erster Linie um Freiheitsentzug, der Probleme „nicht löst, sondern sie konserviert und verschärft“, so der Antrag.
Auch Die Linke fordert, die Jugendlichen sofort aus dem Heim abzuziehen. Landes-Chef Bela Rogalla sagt, seit 2008 seien über 50 Kinder und Jugendliche aus Hamburg in Heimen der Haasenburg GmbH „offensichtlich rechtswidrigem Zwang und Gewalt ausgesetzt“ worden. „Diese Missachtung von Kinderrechten muss sofort beendet werden!“
„Aus den Augen, aus dem Sinn“: Diskussion zur geschlossenen Unterbringung mit Michael Lindenberg, Kaija Kutter und anderen, heute, 20 Uhr, Curio-Haus, Rothenbaumschaussee 15, Hamburg
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