: Das Volk will direkt abstimmen dürfen
■ Hamburgs Volksentscheid über den Volksentscheid scheiterte zwar knapp. Trotzdem versprechen die Parteien: Plebiszite werden einfacher
Hamburg (taz) – Kurz vor Toresschluß erhob sogar der Hamburger Filmemacher Hark Bohm seine Stimme. Was die Initiative „Mehr Demokratie“ wolle, so sprang der Alt-68er dem rot-grünen Senat bei, sei undemokratisch und werde dem Minderheitenschutz nicht gerecht. Seine Bedenken gegen den Versuch der Initiative „Mehr Demokratie“, die Hürden für direkte Entscheidungen durch das Wahlvolk zu beseitigen, blieben weitestgehend ungehört. Am Sonntag votierten bei einem Volksentscheid zur Zukunft des Volksentscheids 545.000 HanseatInnen für den Gesetzentwurf von „Mehr Demokratie“.
Diese enorme Beteiligung reichte zwar nicht, weil für eine Verfassungsänderung 605.000 Stimmen erforderlich gewesen wären. Doch der Erfolg der Bürgerbewegung „Mehr Demokratie“ ist so überwältigend, daß die Parteien der Bürgerschaft daran nun wohl nicht vorbei können und die Regeln für die direkte Demokratie in Hamburg neu fassen müssen. Einen Sieg konnte „Mehr Demokratie“ außerdem auf kommunaler Ebene erringen. Über eine halbe Million HamburgerInnen, rund 200.000 mehr als nötig, sprachen sich dafür aus, „Bürgerentscheide“ – das sind Volksentscheide in den Bezirken – durchzuführen.
Erst 1996 war in Hamburg den BürgerInnen überhaupt die Möglichkeit geschaffen worden, direkt mitzubestimmen. Der allererste Volksentscheid in der Hansestadt beschäftigte sich nun mit dem Volksentscheid selbst. Die Initiative „Mehr Demokratie“ klagte, daß die Hürden der Volksgesetzgebung viel zu hoch seien, und brachte die Abstimmung auf den Weg. Sie will „bayrische Verhältnisse“ einführen: Es soll keine Mindestbeteiligung für Abstimmungen der WahlbürgerInnen geben. Vielmehr soll die einfache Mehrheit der abgegebenen Stimmen zählen. Bisher gilt in Hamburg, daß die BürgerInnen bei einem Plebiszit zu 25 Prozent zustimmen müssen – wenn über ein Gesetz entschieden wird. Für eine Verfassungsänderung sind sogar 50 Prozent Zustimmung nötig.
Die Parteien gaben sich angesichts des Erfolges von „Mehr Demokratie“ auffallend kleinlaut. „Es wird sicher eine erhebliche Vereinfachung gegen“, sagte CDU-Oppositionsführer Ole von Beust. „Wir müssen uns beraten“, sagte SPD-Fraktionschef Holger Christier. Auch die GAL mahnte, daß das Ergebnis „uns zu denken geben sollte“.
Die Initiative will nun auch in anderen Bundesländern für hürdenlose Volksgesetzgebung kämpfen. Außerdem, so fragte Tim Weber vom Bundesvorstand „Mehr Demokratie“, „warum dürfen die Bürger auf Bundesebene nicht abstimmen?“ Silke Mertins
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