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Ausstellung über Salman SchockenDas Vermächtnis des Warenhauskönigs

Das Jüdische Museum Berlin widmet sich in einer Sonderausstellung dem Werk von Salman Schocken. Er betrieb Kaufhäuser und verlegte Bücher.

Salman Schocken ließ seine Kaufhäuser im modernen Stil der neuen Sachlichkeit bauen. Hier in Stuttgart, um 1930 Foto: Hans Boettcher

Die Vitrine hütet einen früher alltäglichen Gegenstand. Es handelt sich um einen schneeweißen Stehkragen aus Leinen, hergestellt von der Firma Grünfeld. Da findet sich auch eine grün-schwarze Hutschachtel aus dem Warenangebot von N. Israel, weiterhin liegen da zwei Teelöffel, eine Blechdose für Bonbons und seidene Taschentücher. Es sind zweifellos Waren hoher Qualität, wenn auch etwas aus der Zeit gefallen. Das passt für diese Schau im Jüdischen Museum Berlin, denn es geht um den jüdischen Kaufhausmagnaten Salman Schocken, um seine Warenhäuser – und um Literatur.

Schocken (1877–1959) gelang in den ersten 30 Jahren des 20. Jahrhunderts der Aufbau eines der größten Warenhauskonzerne im Deutschen Reich. Ein langes Blechschild gibt davon in der Schau einen Eindruck. Da sind sämtliche sächsischen Filialen des Konzerns aufgezählt: „Zwickau, Chemnitz, Freiberg, Aue, Meissen, Crimmitschau, Auerbach, Frankenberg, Oelsnitz, Lugau, Planitz.“

Wobei Warenhäuser damals eine andere Bedeutung hatten als heute, da die letzten dieser Konsumtempel vor sich hin siechen. Damals galt ein Kaufhaus als ungeheurer Fortschritt, denn dort gab es fast alle Waren unter einem Dach. Und weil diese zentral eingekauft wurden, konnten Kaufhäuser ihre Produkte günstiger als viele Einzelhändler und Markthändler anbieten. Auch galten Festpreise, Handeln entfiel. In der Schau kann man auf einem großen Foto sehen, wie Schocken über seiner Warenausgabe das revolutionäre Prinzip in großen Lettern festhielt, gesetzt wie ein Gedicht:

„Gleiche, gute Leistungen

bei allen Waren, zu jeder Zeit.

Für jeden Käufer.

Daher keine Rabatte,

keine Sonderveranstaltungen,

kein Kredit.“

Das gefiel der Kundschaft, weniger aber der Konkurrenz. Völkische Gruppierungen, allen voran die NSDAP, identifizierten die Warenhäuser als angeblich jüdische Erfindung. Als die Nazis 1933 die Macht erklommen hatten, wurden die Kaufhäuser nicht abgeschafft – aber, soweit sie jüdische Eigner hatten, „arisiert“. Das geschah auch Salman Schocken. Aber wir greifen der Geschichte voraus.

Denn diese Ausstellung im Jüdischen Museum Berlin heißt „Inventuren. Salman Schockens Vermächtnis“. Das können schlecht nur Teelöffel und Hutschachteln sein. Obwohl: Fast könnte man meinen, all diese Gegenstände könnten sprechen. Der amerikanische Schriftsteller und Pulitzer-Preisträger ­Joshua Cohen hat den Waren ein zweites Leben eingehaucht. Er hat zu jedem Objekt einen assozia­tiven Text verfasst. „Der Stehkragen seines Hemdes drückte in seinen Hals, als würde die Hand der Geschichte ihn an der Kehle packen und ihm die Stimme verweigern“, schreibt er etwa. Oder wie wäre es hiermit über die Blechdose? „Jeden Abend begann er, die Nachrichten zu lesen, und hörte erst auf, wenn er das letzte Bonbon aus der Dose gegessen hatte. Aber er schummelte: Er lutschte nicht, er kaute.“

92 Nummern umfasste die „Bücherei des Schocken-Verlags“

Die Ausstellung

„Inventuren. Salman Schockens Vermächtnis“. Bis zum 12. Oktober. Jüdisches Museum Berlin. Täglich geöffnet

Eines der Vermächtnisse Schockens ist die Architektur im Stil der neuen Sachlichkeit, errichtet von fortschrittlichen Architekten wie Erich Mendelsohn. Gleich zu Beginn betritt man die Schau zwischen zwei Bürogebäuden, das eine mit einem gläsernen Turm, das andere mit aufstrebenden Linien ausgestattet. Es handelt sich um Schockens Häuser in Stuttgart und Pforzheim. Viele, nicht alle Gebäude sind heute zerstört, sei es durch den Krieg oder den Nachkrieg.

Schocken war aber nicht nur Warenhauskönig, sondern auch Verleger, womit wir beim zweiten Vermächtnis sind. Es zeigt sich in vielen kleinen Büchern mit Pappeinbänden und Etikett auf dem Titel. Da liegt sie, die 92 Nummern umfassende „Bücherei des Schocken-Verlags“, begründet 1933 in der Not als intellektuelles Stärkungsmittel für die verfolgten Jüdinnen und Juden.

„Der Schocken-Verlag hat sich zum Ziel gesetzt, der deutschlesenden Judenheit Bücher von wirklichem Gehalt und dauerndem Bestand zu schaffen, die ihr zu geistiger Behauptung und sittlicher Erneuerung Richtung weisen können“, kann man in einer Werbeschrift lesen. Die Schocken-Bücherei, Kern des Verlags bis zum von den Nazis erzwungenen Ende im Jahr 1938, umfasste schöngeistige Werke zur Unterhaltung wie Bücher, die Leserin und Leser zu den Traditionen und Regeln des Judentums führten, das bei vielen der Angehörigen der Minderheit in Vergessenheit geraten war, nun aber als einigendes Band wichtig wurde. Hier konnten sie sich über die Gedanken des Kulturzionisten Martin Buber informieren, wie über jüdische Altertümer in Palästina oder Kafkas Welt.

Bibliophil war die Reihe nicht ausgestattet, stattdessen eher schlicht und an die Reihe des Insel-Verlags erinnernd. Es ging für die verarmenden Leser nicht um Kopfgoldschnitt und Lesebändchen. Das Schocken-Buch kostete nur 1,25 Mark, das war entscheidend. Viele Auswanderer nahmen die Büchlein mit, nach Palästina, in die USA, Neuseeland. Schocken selbst ging 1934 nach Palästina, wo er die Zeitung Haaretz kaufte – bis heute das Aushängeschild für eine linksliberale und demokratische Politik. Später zog es ihn in die USA. Auch dort entstanden keine Kaufhäuser mehr, wohl aber 1945 der Verlag Schocken Books. Seine Enkel haben ihn später an die Verlagsgruppe Random House verkauft.

Joshua Cohen hat versucht, den Verlag zu kaufen, derselbe Cohen, der für die Ausstellung die Texte zu den Objekten verfasst hat. Er spricht zur Eröffnung ein Loblied auf Salman Schocken, dessen Kaufhäuser nicht für eine Elite gedacht gewesen seien. „Schocken war ein liberaler Demokrat“, sagt er. Doch heute sei „die liberale Demokratie, für die Schocken stand, bedroht – in Israel und in den USA“. Schockens Warenwelt mag aus der Zeit gefallen sein. Seine Ideen sind es nicht.

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