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Das Sendungsbewusstsein mit der Maus

Noch nicht Ibiza, aber bald: Das Sonar-Festival in Barcelona hat sich als internationales Forum für elektronische Musik und Multimedia-Kunst etabliert. Heute ist es das wichtigste Festival seiner Art in Europa. Doch die Intimität der frühen Jahre ist dahin – und die Veranstalter setzen weiter auf Expansion

von OLIVER ILAN SCHULZ

Am Eröffnungsabend bietet sich den Besuchern auf der SonarPark-Bühne ein unerwartetes Bild: Streicher, Flöten, Akkordeon plus das übliche Bandbesteck – das Instrumentarium von Sigur Rós stellt nachdrücklich unter Beweis, dass Sonar, Barcelonas expansionssüchtiges Festival für elektronische Musik, nun auch traditionelle Mittel der Klangerzeugung zulässt. In den letzten Jahren hat das Programm sich Schritt für Schritt auch experimentellen Rock- und Popgruppen geöffnet.

Die atmosphärischen, sensibel orchestrierten Songs der Isländer klingen langsam ein, schwellen an und verebben nahezu unbemerkt. Doch wie zu befürchten, greift die zerbrechliche Musik von Sigur Rós in den enormen Räumen des Hallenensembles nur bedingt. Da hat es der DJ-Entertainer Carl Cox mit seinem souverän gemixten Set viel leichter. Ohne große Überraschungen spiegelt es zeitgemäßen Techno, bisweilen wagt er ein paar House-Anleihen. Doch schnell kehrt der Rave-erfahrene „Three Deck Wizzard“ wieder zu geraden, harten Beats zurück. Seine wilde Gestik feuert die Leute an. „Sonar by night“ ist noch nicht Ibiza. Aber es lässt doch immer weniger Raum für Experimente und künstlerische Feinheiten.

Das liegt auch am Ehrgeiz der Veranstalter, die den letztjährigen Besucherrekord von 50.000 Leuten unbedingt ein weiteres Mal brechen wollen. Beim ersten Sonar-Festival 1994 wurden gerade einmal 6.000 Zuschauer gezählt. Die vergangenen Jahre markieren den Aufstieg zum wichtigsten Festival seiner Art. Die Grundidee blieb zwar dieselbe: Sonar soll einen Überblick über den aktuellen Stand der elektronischen Musik und Multimedia-Kunst geben. Aber die Intimität der frühen Tage ist dahin. Für „Sonar by night“ mieteten die Veranstalter dieses Jahr außerhalb der Stadt einen Hallenkomplex für bis zu 18.000 Personen. Klar, dass bei solchen Massenevents bewährte Namen gebucht werden.

Zu den an Sonar beteiligten Institutionen zählt auch das Zentrum für zeitgenössische Kunst, das CCCB. Tagsüber beherbergt das Haus in der Stadtmitte die Konzerte, Ausstellungen und Präsentationen von „Sonar by Day“. Schon in der Umgebung sind die Besucher unschwer an ihren weiten Carhatt-Hosen, ihren modischen Turnschuhen und den mit Logos bedruckten T- Shirts zu erkennen. In den Höfen des modernen Museumsgebäudes vermischen sich Zuschauer und Fachbesucher aus aller Welt – denn alle, die sonst in dunklen Studios sitzen oder Plattenkisten stapeln, kommen gerne ins warme Barcelona. Auf dem Kunstrasen oder in Liegestühlen gelümmelt, verfolgen sie die insgesamt 140 DJ-Sets oder Konzerte, trinken Bier oder konsumieren andere Drogen. Doch nicht allen gefällt, was sie sehen. „Es gibt nichts Langweiligeres als ein Konzert, bei dem ein Typ mit seiner Maus rumspielt“, ereifert sich der amerikanische E-Musiker Jake Mandell. „Wenn wir nicht aufpassen, werden diese ‚Clicker Concerts‘ der Untergang der Laptop-Musik.“

Tatsächlich boten die Sonar-„Konzerte“ manches Beispiel für hervorragende Musik, bei totaler Abwesenheit jeglicher Performance. Während die Klangkünstler gebannt auf ihre Bildschirme starrten, mussten sich die Besucher optisch mit den Bildern der Video-Jockeys begnügen. Jake Mandell selbst startete am Freitagabend seine Gegenoffensive. Seine Musik ist gerade noch experimenteller Techno, auch wenn sie auf typische Elemente wie die durchgehende Bassdrum verzichtet. In Barcelona kombiniert er Beats und verfremdete Töne zu stets tanzbaren Rhythmen, deren Geflecht er mit quirligen Keyboardsequenzen unterbricht.

Jake Mandell ist Programmentwickler in einer Musiksoftwarefirma und beherrscht die Technik mühelos. Am Laptop fühlt er sich so frei, als würde er „ein Instrument spielen“. Nebenbei schwingt er die Hüften und grinst in die Kameras. Spontan geht er nach dem Konzert im begeisterten Publikum Hände schütteln. Endlich: ein Laptop-Musiker zum Anfassen!

Wie jede Großveranstaltung, hat auch das Sonar-Festival seine Ruhenischen. In Barcelona liegen sie im Ausstellungsteil. In Jeff Mills Installation „Mono“ erhellt nur eine zur Wand gedrehte Schreibtischlampe den Raum im Museum für zeitgenössische Kunst MACBA. Zur atmosphärischen Musik der Detroit-Techno-Ikone Mills sollen die Menschen über ihre heikle Position zwischen „Space and Earth“ nachdenken. Da darf, als letztes Element der Ausstattung, ein Modell des Monolithen aus Kubricks „2001“ nicht fehlen. Im Vorraum der Installation stehen die Computerplätze von Sonar Interaktiv. Die Auswahl zeigt Musikarbeiten. Per Mausklick kann der User auf verschiedene Parameter Einfluss nehmen, wenn der Computer zum Beispiel Bilder in Musik umwandelt. Ähnlich wie bei der letzten Transmediale („Do it yourself“) versuchen die Programmierer eine spielerische Öffnung zum Publikum.

Noch bewahrt die Aufteilung des Festivals in „Day“ und „Night“ die Balance zwischen Massengeschmack und Experimenten. Doch nach dem sprunghaften Besucheranstieg stehen die Zeichen weiter auf Expansion. Die Agentur plant eine Erhöhung des Fachmesseanteils. Deshalb soll das Tagesprogramm nächstes Jahr in einen größeren Bau im Stadtzentrum umziehen. Sonar steht am Scheideweg. Barcelonas Tageszeitung El Periódico zitiert aus guter Quelle: „Sonar muss weiter wachsen, weil die Musikindustrie und das Publikum es verlangen.“

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