: Das Schweigen
■ Popmusik ohne Geplapper: die verstörend stillen Songs von Portishead in der Großen Freiheit
Lustig ist das nicht. Eher störend. Komisch. Unangenehm. Zu ernsthaft. Und irgendwie das Gegenteil von Pop. So oder ähnlich artikulierte sich für viele Menschen die Enttäuschung über die zweite Platte von Portishead. Schwarzweiß, selbstbetitelt und alle bereits getroffenen Aussagen vertiefend, macht dieses Werk klar, daß die kuschelige Geborgenheit, die das Debüt-Album Dummy trotz aller lyrischen Verzweiflung gab, keinesfalls den verläßlichen Pol dieser Band darstellt. Das ist vielmehr ihre dunkle Intensität, das Ausleuchten klingender und textlicher Tiefen.
Ebenfalls ernüchternd ist die Tatsache, daß Portishead ein weiteres Beispiel jener „Kulturschaffenden“sind, deren Popularität im krassen Mißverhältnis steht zu ihrer Fähigkeit, damit umzugehen. Doch anders als etwa die in dieser Hinsicht genauso ungeschickten TicTacToe versuchen die Engländer gar nicht erst zu kommunizieren, und Sängerin Beth Gibbons entzieht sich soweit wie möglich der Öffentlichkeit. Ihr ständiges Rauchen, die statische Haltung am Mikro und die totale Medien-Verweigerung ist keine funky Attitüde. Das Schweigen ist Zeugnis ihrer Verletzlichkeit.
Auch Geoff Barrow ist bei Auftritten nicht der große Kommunikator und im Interview stets bemüht, die unspektakuläre Mucker-Normalität der Band offenzulegen. Was sie jedoch neben dem Songwriting von Millionen anderen Übungsraumtüftlern unterscheidet, ist ihr Perfektionismus, der gleichsam in der Musik festgeschrieben ist. „Im Studio spielen wir durchaus mal Disco oder schlechten Heavy Metal“, sagt Barrow. „Doch niemals wird etwas davon nach außen dringen.“
Nein, niemals wird etwas Leichtes, Ironisches, Spielerisches das Konzept verwässern. Mit feierlichem Ernst schichten Portishead ihre Soundscapes, bis sie reif sind, zu Beth geschickt zu werden, die ihr Einsiedlertum der Arbeit mit der Band vorzieht. Diesen Prozeß des Erzeugens einer unverwechselbaren Atmosphäre, dieses vielfache Überarbeiten von Orchester-Aufnahmen und anderer Tonquellen kritisieren einige Konservative. Statt anzuerkennen, daß das Ergebnis eigenständiger klingt als die x-te Reproduktion bekannter Klischees mit echten und ach so unkorrumpierbaren Instrumenten, ereifern sie sich darüber, daß Barrow Streichorchester und Plattenknistern sampelt. Doch wie zahlreiche mißglückte Versuche, Orchester und Beats zusammenzufügen, gezeigt haben, dürfte Portisheads Variante der gelungenste Crossover sein. Was natürlich auch an den Beats liegt, ihrem weichen Druck, ihrem organischen Klang, ihrer unendlichen Langsamkeit.
Diese HipHop-Reminiszenzen sind letzte Querverweise in die Jugendkultur und ändern nichts daran, daß es an der Zeit ist, den Blickwinkel auf die Band zu ändern. Spätestens jetzt machen Portishead klar, daß sie in bezug auf Komposition, Ästhetik und Selbstverständnis der klassischen Musik näher stehen als den Charts. Ihre Verwandten heißen eher Grieg oder Pärt als Moloko oder Sneaker Pimps.
Holger in't Veld
Mi, 28. Januar, 20 Uhr, Große Freiheit.
Das Konzert ist restlos ausverkauft.
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