Das Portrait: Am „großen Tag“ nur nicht anecken
■ Jens L.
Jens L. sagt „Guten Morgen“, als er den vollbesetzten Lübecker Gerichtssaal betritt. Ein junger Mann, dessen Sinn für korrekte Formen auch in jeder seiner Aussagen durchscheint. In der zweistündigen Befragung durch Safwan Eids Anwältin beginnt er seine Antworten mit den Worten „Bedenken Sie...“. Die meisten anderen Zeugen, deren Glaubwürdigkeit dermaßen durch die Medien und – naturgemäß – die Anwaltschaft in Zweifel gezogen wurde, hätten zu diesem Zeitpunkt längst – nur zu menschlich – mit aggressiver Abwehr reagiert.
Nicht so der momentan als Controller in einem Großhandelssupermarkt angestellte Freizeitsanitäter, der den Dienst an der Katastrophe (“Als Kind bin ich immer ans Fenster gelaufen, wenn ein Krankenwagen vorbeifuhr“) liebt. Selbst als er seinen Aussagen aus früheren Vernehmungen widerspricht, bleibt er ruhig. Stets wendet er sein Gesicht dem Frager zu. Jens L. tut alles, um nicht aufzufallen: Allen wohl und niemandem weh. Die Situation vor Gericht ist ihm nach eigenem Bekunden so unheimlich, daß er vom „großen Tag“ spricht, an dem er doch „normal“ bleiben wolle. So steht er da, als sollte es gleich auf einen Ausflug gehen, mit seinen geputzten schwarzen Schuhen und der grünen Jeanshose sowie dem blauen Jeanshemd von Yves Saint-Laurent, alles gebügelt.
Anfang der neunziger Jahre kam er aus der DDR nach Lübeck; dort fand er als Ungelernter eine Anstellung in jenem Supermarkt, in dem er noch heute arbeitet. Bei Kollegen gilt er als nett, freundlich und konfliktunfreudig. Jens L. ist einer, der Hierarchien gerne hat. Er spricht von „Vorgesetzten“ in einem Tonfall, der Respekt verrät. Zwar verneint er, daß es zwischen ihm und Matthias H., seinem engsten Freund und Kollegen beim Rettungsdienst, ein Befehlsverhältnis gibt. Dennoch sagt er, H. habe ihm Anweisungen geben können. Jens L. zählt als Hobbies Tätigkeiten auf, die eine gewisse Konturlosigkeit verraten: Eis essen gehen, spazieren, fernsehen, klönen. Nur eine exotische Sache mag er: Paintball, ein militärisch angehauchtes Spiel, bei dem Leute mit gelatinegehärteten Farbkugeln aufeinander schießen. „Nennen Sie es Völkerball“, sagt L. und lacht. Das Auditorium schweigt. Jan Feddersen
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