Das Portrait: Der Lebed von der Enz
■ Joachim Becker
Vielleicht muß man wissen, wo Pforzheim liegt, um zu verstehen, warum Joachim Becker, der Oberbürgermeister dieser Stadt, so furchtbar leidet. Er hält sich für einen ganz großen Kopf und doch hat es in seinem auch schon 54 Jahre dauernden Leben nur zum Rathauschef dieser zwischen Nordschwarzwald und schwäbischem Unterland abgelegenen Provinzstadt gereicht. Das schmerzt. Und obwohl die Goldstadt Pforzheim an der Enz zwei Autobahnausfahrten hat, kam nie jemand bei Becker vorbei, um ihm ein wichtigeres Amt anzutragen.
Darum hat Becker nun beschlossen, selbst zu holen, was ihm zusteht. Er hat sich im letzten Moment auf die Liste der Bewerber um das Amt des Stuttgarter Oberbürgermeisters setzen lassen. Und freut sich im Moment vor allem darüber, welchen Wirbel er damit in „seiner“ SPD auslöste, die mit dem braven Parteisoldaten Rainer Brechtken ins Rennen gegangen war. Daß der Sozialdemokrat im ersten Wahlgang nur 22 Prozent der Stimmen bekam, ließ Becker nun den Hut in den Ring werfen.
Becker weiß, daß er nicht Oberbürgermeister von Stuttgart wird. Darum geht es ihm aber auch gar nicht. Sein Ziel, die Aufmerksamkeit der Medien wieder auf sich zu lenken, genügt ihm schon. Denn um den bereits früher durch Querschüsse auf die eigene Partei aufgefallenen Selbstdarsteller ist es in den vergangenen Jahren immer stiller geworden. Früher hatte der Spiegel Becker gerne benutzt, um in der SPD das oppositionelle Feuer zu schüren. Dabei sprach er gern von „Elite“ und „Führung“ und meinte sich selbst. Als unterbeschäftigter Oberbürgermeister schrieb Becker Aufsätze und Bücher, in denen er die Sozialdemokraten als Anhängsel der Gewerkschaften und der Sozialhilfeempfänger beschimpfte – allein, die Reaktionen blieben aus.
Nun hat die SPD ein Parteiausschlußverfahren gegen ihn eingeleitet und nur vordergründig bedauert Becker, ein Rauswurf täte ihm leid. Tatsächlich freut er sich riesig über den Wirbel. Der wird nun noch bis zur Wahl am 10. November anhalten. Spötter nannten Becker bisweilen den Kennedy des Nordschwarzwalds, was wahrscheinlich mehr mit seinem tadellosen Äußeren und weniger mit seinen politischen Fähigkeiten zu tun hatte. Nun wird man einen neuen Namen finden müssen. Wie wär's mit Lebed von der Enz. Philipp Maußhardt
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