Das Portrait: Graue Fassade – linkes Nordlicht
■ Thorbjörn Jagland
Auf den ersten Blick ist Norwegens neuer Ministerpräsident Thorbjörn Jagland eine trübe Tasse. Ein langweiliger Parteifunktionär der Arbeiterpartei, der allenfalls durch arrogante Ausfälle auffällt. War seine Vorgängerin, „Landesmutter“ Gro Harlem Brundtland, für die NorwegerInnen schon nach kurzer Zeit einfach „die Gro“, wird Jagland einen weiten Weg vor sich haben, bis er „Thorbjörn“ genannt wird.
Die Parteileiter erklomm er steil: Mit 27 Jahren wurde er Vorsitzender der norwegischen JungsozialistInnen. Vier Jahre später wurde er als Sekretär in die für gesellschaftspolitische Forschung zuständige Gedankenschmiede der Parteizentrale berufen. Als erster Parteisekretär war er ab 1987 für die alltägliche Parteiarbeit verantwortlich. Hier machte sich Jagland so unersetzlich, daß Gro Harlem Brundtland nach ihrer Aufgabe des Parteivorsitzes 1992 an ihm als Nachfolger nicht vorbeikam, obwohl er ihr eigentlich zu „links“ war. 1993 erstmals ins Parlament gewählt, wurde er sofort Fraktionsvorsitzender.
Hinter der grauen Fassade des 46jährigen, dessen Vorbild Willy Brandt ist, steckt durchaus politisches Feuer: Norwegens sozialdemokratische Regierung will ein „Modell“ schaffen, wie es einst die schwedischen GenossInnen der internationalen Sozialdemokratie mit ihrem „dritten Weg“ vorgeführt hatten. Der Arbeitersohn Jagland, der schon als Zwölfjähriger zur Partei stieß und Anfang der 70er Jahre als Linksradikaler im Trend der Zeit lag, hat sich einige Visionen bewahrt: „Jede Zeit hat ihre Herausforderungen. Und die wirtschaftliche Situation in Norwegen gibt uns die Möglichkeit, sie zu verwirklichen.“
Mit vollen Staatskassen will Jagland in ein Gesellschaftsmodell investieren, das von lebenslangem Lernen, einem auf erneuerbare Quellen gestützten Energiesystem und von einer aktiven internationalen Schlichterrolle geprägt sein soll. Es werde keinen Linksruck geben, versprach er beim Regierungswechsel, um seine Vorgängerin nicht zu sehr in die rechte Ecke zu drängen. Realisiert er seine Pläne, wird Norwegen aber ein ganzes Stück nach links rücken.
Zunächst muß er im In- und Ausland klarstellen, daß nicht mehr „die Gro“ Norwegen repräsentiert. Und die junge „Gro-Generation“ wird fragen: „Mamma, går det for menner å bli statsminister?“ Können tatsächlich Männer Ministerpräsident werden? Reinhard Wolff
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