Das Portrait: Ausgezeichneter Richter
■ Helmut Simon
Wäre es nach ihm gegangen, hätte die Bundesrepublik schon 1975 den § 218 in seiner christlich-katholischen Fassung gekippt: Helmut Simon, damals Richter am Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, war zusammen mit seiner Kollegin Rupp- von Brünneck der Auffassung, daß der Staat Abtreibung nicht mehr unter Strafandrohung stellen darf. Doch das Mehrheitsvotum am höchsten Gerichtshof des Landes gab der Verfassungsbeschwerde der Christdemokraten nach. Seither genießt Simon den Ruf eines unbequemen, von parteipolitischen Einflüsterungen unabhängigen, im persönlichen Umgang gleichwohl überaus freundlichen Juristen. Gestern feierte er seinen 75. Geburtstag.
1922 wurde Simon als Bauernsohn in Ruh im Bergischen Land geboren. Nach dem Kriegsdienst in der Marine studierte er in Bonn und Basel sowohl Rechtswissenschaften als auch Theologie. Während der NS-Zeit war Simon in der illegalen kirchlichen Jugendarbeit aktiv gewesen. Seine Folgerung aus der Verquickung der Kirche mit dem Naziregime: Eine christliche Kirche muß sich staatsfern halten und darüber hinaus sich nicht nur mit Worten für die Mühseligen und Beladenen einsetzen. Simon ist seit 1971 Präsidiumsmitglied des Deutschen Evangelischen Kirchentages.
Im Justizapparat machte der Richter rasch Karriere; 1965 kam er an den Bundesgerichtshof, 1970 auf Vorschlag seiner Partei, der SPD, ans Bundesverfassungsgericht. Simon gehörte 1973 zu den ersten nichtlinksradikalen Kritikern des Brandtschen Radikalenerlasses. Anfang der achtziger Jahre trug er mit dem sogenannten „Brokdorf-Urteil“ dazu bei, das Demonstrationsrecht vor dessen Aushöhlung durch die CDU zu erhalten. Auch das während der Friedensbewegungsära aktuelle Sitzblockadenurteil – eine solche Blockade muß nicht als nötigende Gewalt bestraft werden – geht auf seine Initiative zurück. Als „politisch gerechtfertigt“ bewertete er bereits 1989 das kommunale Wahlrecht für Ausländer.
Für diese Haltung wurde er immer wieder ausgezeichnet. Neben dem Großen Bundesverdienstkreuz erhielt Helmut Simon die Carl- von-Ossietzky-Medaille sowie den evangelischen Karl- Barth-Preis. „Den Rest meines Lebens gehöre ich an die Seite der Ohnmächtigen und Schwachen“, bekannte er vor neun Jahren beim Abschied vom Richteramt. JaF
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