Das Portrait: Eine denkwürdige Tochter
■ Anna Jarvis
Anna Jarvis, ledig und kinderlos, Erfinderin des Muttertags Foto: Ullstein
Wenn morgen Mütter mit Pralinenmischungen bedacht werden, wird sich die Begründerin des Muttertags einmal mehr im Grabe umdrehen. Nein, so hatte sich Anna Jarvis den Muttertag nicht vorgestellt, als sie ihn vor genau 90 Jahren in den USA ins Leben rief.
Anna Jarvis, Jahrgang 1864, kam aus einer Familie mit elf Kindern. Ihre – später geehrte – Mutter war nicht nur sehr gebärfreudig, sondern auch außer Haus sozial aktiv, klärte über Infektionskrankheiten auf und hielt Sonntagskurse ab.
Mit 17 verließ die Tochter Anna ihr Elternhaus in Grafton und besuchte eine Frauenakademie. Später arbeitete sie in der Werbeabteilung einer Lebensversicherung. Sie blieb ledig und kinderlos.
Daß eine solche Frau die zweite Hälfte ihres Lebens ausgerechnet dem Projekt eines Gedenktages zu Ehren der Mütter widmete, erscheint auf den ersten Blick paradox.
Tatsächlich ging es Anna Jarvis nicht um eine Idealisierung des Mutter- und Hausfrauendaseins. Zu deutlich erkannte sie die massive Einschränkung der persönlichen Entfaltungsmöglichkeiten, die die traditionelle Mutterrolle Frauen abverlangt. Was ihr vorschwebte, war ein Akt der Anerkennung für jene Leistungen, die außerhalb der Sphäre der Öffentlichkeit von Frauen erbracht werden – eine Forderung, die sie übrigens mit vielen deutschen Frauenrechtlerinnen ihrer Zeit teilte.
Am zweiten Todestag ihrer Mutter organisierte Anna Jarvis ein großes Sonntagstreffen für die Mütter der Methodistengemeinde des Heimatortes. Kurz darauf initiierte sie eine Kampagne für einen internationalen Feiertag, und gründete das „Mother's Day Committee“. Im Mai 1914 war sie auf dem Gipfel ihres Erfolges: Der Kongreß beschloß, den zweiten Maisonntag offiziell als Muttertag anzuerkennen. Doch im gleichen Maße, wie ihre Idee sich verbreitete, entzog sie sich auch ihrer Kontrolle. Obwohl Anna Jarvis eine Anhängerin des Frauenwahlrechts war, mußte sie erleben, wie Konservative den Muttertag für ihre Attacken gegen die Gleichberechtigung benutzten. Auch ärgerte sie sich über die Kommerzialisierung und rief zum Boykott aller Muttertagsgeschenke auf. Verbittert teilte sie einem Journalisten am Ende ihres Lebens mit, sie bedauere zutiefst, den Muttertag jemals erfunden zu haben. Karin Nungeßer
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