Das Portrait: Schneller als die "Wochenpost"
■ Borgia
Ein früherer Schah von Persien hatte einmal beim Staatsbesuch in England eine Einladung zum Galopprennen mit der Begründung abgelehnt, er wisse schon, daß ein Pferd schneller laufen kann als das andere. Welches, sei ihm egal. Mit dieser flapsigen Bemerkung hätte er beinahe eine diplomatische Krise ausgelöst.
Der Mann kannte das erst 1994 auf dem Gestüt Ammerland am Starnberger See geborene Pferdekind Borgia nicht, das derzeit sogar ausgesprochene Sporthasser zu Regungen des Entzückens hinzureißen vermag. Dabei hat sie nicht einmal das getan, was man gemeinhin von einem Rennpferd erwartet: gewinnen nämlich. Aber Zweite ist sie geworden im Hollywood Park bei Los Angeles. Nur die engen Bögen der Bahn verhinderten, daß Borgia auch Chief Bearhart, einem männlichen Altersgenossen, im Breeder's Cup, einem der bestdotierten Rennen der Welt, das Nachsehen gab. So schnell wie Borgia war dort noch kein deutsches Pferd. Schade. Zum Trost gab's ein Zückerchen extra und für Borgias Besitzer, den Wirtschaftsanwalt und Verleger Dietrich von Boetticher, einen handlichen Scheck über 692.000 Mark.
Wenn Borgia rennt, dann kommt Dietrich von Boetticher mit dem Einsammeln der Schecks gar nicht nach. 1,92 Millionen hat das Pferdefräulein in diesem Jahr bereits durch Kinderwettrennen gewonnen, unter anderem im „Prix de l'Arc de Triomphe“ und im „Deutschen Derby“. So etwas spricht sich natürlich herum. Für eine kleine Schwester von Borgia, deren Eltern der berühmte Hengst Acatenango und die Stute Britannia sind, mußte der neue Besitzer aus Frankreich kürzlich 600.000 Mark auf den Tisch legen. Dabei kann ja noch niemand wissen, ob das Schwesterchen genauso schnell rennen kann wie die treue Borgia.
Wir Zeitungsschreiber sehen deren Sinn für schnelles Geld allerdings auch mit einem weinenden Auge. Ach, wäre sie doch nur ein, zwei Jahre früher zur Welt gekommen! Die brave Wochenpost, deren Verleger Borgias Besitzer und Züchter Dietrich dereinst war, könnte mit Hilfe ihrer flinken Schritte vielleicht noch leben. Der Ahnherr von Ammerland konnte ja nicht ahnen, daß Borgia mehr einläuft, als man mit einer kleinen Zeitung Woche für Woche verlieren kann. Seither bittet die Zunft armer Journalisten: Renn, Borgia, renn! Harry Nutt
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