Das Portrait: Maharadscha der Armen
Lalu Prasad Yadav
Diesmal hatten ihn alle abgeschrieben. Denn wie lange kann einer ein großes Maul haben und dennoch nichts leisten? Zehn Jahre hat Lalu Prasad Yadav den Hundert-Millionen-Bundesstaat Bihar, Indiens Armenhaus, in Grund und Boden regiert. Zehn Jahre lang konnte er sich darüber hinwegsetzen. Mit seiner Schlagfertigkeit, seinem Witz und seinen Bauernsprüchen redete dem Volk nach dem Mund, den Pächtern, Tagelöhnern und Fährleuten, den Kastenlosen und den reichen Yadav-Bauern. Sie erkannten sich in ihm und wählten ihn.
Yadav versprach seinem Volk Schulen, Straßen, Trinkwasser, Jobs. Er löste keines seiner Versprechen ein: Während die meisten anderen Bundesstaaten langsame Fortschritte machten, versank Bihar im Schlamm kaputter Straßen, wurden Schulen als Läden verkauft, führte seiner dominante Yadav-Kaste Krieg gegen kastenlose Landarbeiter.
Der „Maharadscha der Rückständigen“ kümmerte sich nicht darum, sowenig wie über die Korruptionsklagen, die er nonchalant vom Tisch wischte. Und als er dennoch ins Gefängnis musste, ließ er seine Partei die eigene Gattin – eine Analphabetin – zur Chefministerin küren und instruierte sie fortan per Handy vom Gefängnis aus.
Diesmal sollte es ihm an den Kragen gehen. Die in Delhi regierende hindunationalistische BJP schmiedete eine Koalition, die alle Kasten abdecken wollte und sogar Filmschauspieler gegen ihn einsetzte. Yadavs Gegner sprachen von seiner Regierung als einem „Reich des Dschungels“. Dieser reagierte lässig: „Ihr Städter habt Angst vor dem Dschungel, weil ich ein Tiger bin.“
Wieder setzte er seine empörende Persönlichkeit ein, um Identität zu stiften. Statt überquellende Brunnen und samtene Straßenbeläge zu versprechen, appellierte er an die Solidarität all jener, die kein gewähltes Hindi sprechen, die sich daneben benehmen, rülpsen und sich auf die Schenkel klatschen – Leute so wie er. Yadav scheute sich nicht, seinen Zuhörern zu erzählen, dass sein Name Lalu im restlichen Indien zum Schimpfwort verkommen war. Er appellierte er an ihre Ehre, diese Beleidigung nicht anzunehmen. Und wieder hatte er Erfolg: Seine Partei ging aus den jüngsten Provinzwahlen als größte aus dem Rennen. Yadav ließ sich als stolzer Sieger ablichten – auf seinem ungemachten Bett sitzend, im zerknitterten Pyjama, sich die Haare kratzend und mit dem Handy am Ohr.
Bernard Imhasly
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen