Das Montags-Interview: "Der unterschätzte Glamour des Feminismus"
Die Hamburgerin Chris Köver hat das feministische Missy Magazine mitbegründet. Ein Gespräch über die Ängste von Werbekunden, das Interesse an Sextoys und die Suche nach dem gemeinsamen Nenner.
taz: Frau Köver, klingt Missy nicht viel zu harmlos als Titel für ein feministisches Magazin?
Chris Köver: Die Kritik kam am Anfang oft, aber wir wollten genau damit spielen. Wenn man die erste Ausgabe in der Hand hielt, war ja sofort klar, dass nicht niedliche Mädchenmagazine assoziiert werden sollten. Wir wollten uns ein bisschen augenzwinkernd in die Tradition der Frauenmagazine mit Frauennamen stellen, Maxi, Brigitte, Petra und so weiter und Missy bot sich an, weil es da auch die Assoziation zu Missy Elliott gibt.
Die war wichtig, weil Missy keine neue Maxi, Petra & Co sein wollte.
Genau. Ein Frauenmagazin, in dem man als Frau auch angesprochen wird, das aber gleichzeitig berücksichtigt, dass wir uns als Frauen nicht nur für Mode und Stylingtipps interessieren. Sondern viel eher dafür, was andere interessante Frauen machen, was die für kreative Projekte am Start haben und wo sie politisch aktiv sind.
Sie haben in einem Interview gesagt, Sie seien selbst überrascht gewesen, wie politisch interessiert Ihre Leserinnen sind.
Als wir starteten, haben wir uns stark als Popkulturmagazin verortet. Das hat etwas mit unserem eigenen Hintergrund zu tun, dass wir selber sehr viel Popkulturmagazine gelesen und zum Teil auch für die gearbeitet haben. Missy war der Versuch, ein alternatives Frauenmagazin zu machen und ein Popkulturmagazin mit weiblichem Fokus.
Was bedeutet das praktisch?
Dass mehr Frauen dargestellt werden und dass die Perspektive anders ist: Bei vielen der anderen Popokulturmagazine, die wir gerne gelesen haben, hat man oft den Eindruck, dass sie, so gut sie auch gemacht sind, zugespitzt gesagt Hefte von Jungs für Jungs über Jungs sind. Nach und nach haben wir gemerkt, dass da immer mehr Themen sind, seien es Familienbilder oder Finanzkrise, die in keinster Weise mehr popkulturell angebunden sind, die wir aber gern im Heft haben möchten. Und den LeserInnen ging es offensichtlich genau so.
Das Missy Magazine, gegründet 2008, will die Berichterstattung über Popkultur, Politik und Style mit einer feministischen Haltung verbinden.
Es wird von Sonja Eismann, Chris Köver, Stefanie Lohaus und Margarita Tsomou herausgegeben.
Die Auflage liegt bei 18.000 Exemplaren, Ausgabe Nr. 8 ist heute erschienen.
Neben der Popkultur haben Sie aber auch das "für Frauen" aus der Unterzeile fallen lassen.
Klar sind wir ein Frauenmagazin, aber wir haben auch Leser und warum sollten sich Typen nicht genauso für M.I.A. oder Peaches interessieren, wie das umgekehrt Frauen für den kulturellen Output von Männern tun?
Aber der feministische Anspruch ist geblieben?
Wir sagen schon, dass wir ein feministisches Magazin sind. Aber für mich ist Feminismus heute nicht mehr der Kampfbegriff, der er in den 70ern noch war. Weil sich ganz viel verändert hat, dass merken wir auch bei unseren LeserInnen: Selbst diejenigen, die sich gar nicht als Feministin bezeichnen, sind es faktisch fast alle, weil es ein Mainstream-Ding geworden ist.
Im Porträt der Sängerin Kate Nash stieß ich auf eine Formulierung: "Sie ist sehr erfolgreich, aber sie hat kein Problem, sich als Feministin zu bezeichnen". Das hat mich in diesem defensiven Ton sehr überrascht.
Das Spektrum der Leute, die uns lesen, ist riesig groß. Was uns einerseits freut und uns andererseits vor gewisse Herausforderungen stellt, was das Magazin-Machen angeht. Es gibt eine relativ große Szene von Leuten, die sich für Queer Theory und Feminismus interessieren und die wir nicht unterfordern wollen. Und gleichzeitig war es uns extrem wichtig, mit Missy etwas zu machen, dass Hochglanz ist, in einem Kiosk liegt und auch für LeserInnen interessant ist, die sich bisher noch nicht so aktiv mit dem Thema befasst haben. Und durchaus auch mit dem Anspruch, dass sich die Leute gut unterhalten fühlen.
Soll Missy die Redaktion ernähren?
Der utopische Entwurf war, ein Projekt zu schaffen, das ein bisschen Social Entrepreneurship ist. Das einerseits einen idealistischen Anspruch verfolgt, uns andererseits aber ein Auskommen sichert. Wir fordern hier nicht per se die Abschaffung des Kapitalismus, sondern versuchen eher innerhalb des Kapitalismus etwas, was sich den Regeln des Marktes nicht ganz so stark beugt wie andere Mainstream-Titel.
32, hat in Lüneburg und Toronto Angewandte Kulturwissenschaften studiert und volontierte von 2006 bis 2008 bei Zeit Online. Heute lebt sie in Hamburg und ist neben ihrer Arbeit als Redakteurin und Herausgeberin von Missy freie Autorin unter anderem für Die Zeit.
Aber noch haben Sie Nebenjobs?
Im Moment ist es so, dass eine Handvoll Leute, die als Kernteam an dem Projekt arbeitet, mehr oder minder Vollzeit daran arbeitet. Nebenher machen alle aber noch andere Dinge, wir haben Lehrtätigkeiten oder arbeiten frei für andere Medien.
Wie frei sind Sie, Werbekunden abzulehnen?
Es gibt bestimmte Produkte, die wir nicht im Heft bewerben möchten. Was den weiblichen Körper als defizitär erklärt und dann Dinge zum Kauf anbietet, die dem entgegenwirken sollen - das widerspricht dem Anspruch, den wir mit dem Heft haben. Also das, was in Richtung Anti-Cellulite-Cremes geht, abgesehen davon, dass die Werbekunden sie wahrscheinlich gar nicht in einem Umfeld haben wollten, wie wir es anbieten.
Beate Uhse wirbt in Missy - war das in der Redaktion umstritten?
Ja. Es gab unterschiedliche Ansichten darüber, ob das Anzeigenmotiv, das wir dann im Heft hatten …
… eine volllbusige Frau im schwarzen Dessous mit Strapsen …
… sexistisch ist. Ich würde auf jeden Fall sagen, dass es heteronormative Ideale von Sexiness transportiert hat, die wir ja sonst im Heft oft in Frage stellen. Und gleichzeitig haben wir im Gegensatz zu vielen anderen Frauenmagazinen ja überhaupt Sextoy-Anzeigen. In dem Moment, wo man solche Anzeigen im Heft hat, schalten Firmen wie Beiersdorf nicht mehr so gerne, weil die ein sehr familienorientiertes Image haben. Umgekehrt haben wir ja auch redaktionelle Sextoy-Tests, weil wir sagen, ein spielerischer, freier Umgang mit eigener Sexualität ist erst einmal eine gute Sache, warum sollten wir das nicht mit reinnehmen.
Den Kamasutra-Test in Ihrer ersten Ausgabe hat ein heterosexuelles Paar gemacht. Wie gut fühlen sich lesbische oder queere Frauen mit ihrer Sexualität vertreten?
Queer ist für uns ist ein Querschnittsthema. Wir schreiben nicht ständig über Queerness, sondern achten darauf, dass es überall selbstverständlich mitgedacht wird. Dass die Sexbeiträge zum Beispiel nicht automatisch davon ausgehen, alle Frauen seien heterosexuell oder dass in unserem Dossier zu Familienbildern natürlich auch ein lesbisches Paar mit dabei ist.
Bei der aktuellen Mode-Fotostrecke fällt auf, dass die Frauen der Hamburger Band "Die Heiterkeit" auch nach konventionellen Kriterien sehr schön sind. Ist bei den Fotostrecken der Main-Stream-Druck dann wieder größer?
Die sehen wirklich super aus. Da haben wir zum ersten Mal versucht, mit Frauen, die wir als Band vielversprechend finden, eine Modestrecke zu machen. Das ist etwas, was inzwischen sogar die Brigitte aufgreift: Wir wollen nicht nur mit Models arbeiten, sondern mit Frauen, die für einen bestimmten Stil stehen. Die ganz reale Beschränkung ist, dass man keine Modestrecke mit Frauen produzieren kann, die eine größere Größe als 36 tragen, es sei denn, man macht etwas wie "One size fits all"-Regenmäntel.
Warum?
Die Teile, die du für die Shootings geschickt bekommst, existieren nur in Größe 34 bis 36. Da gibt es höchstens Ausnahmen bei kleinen Labels, die aus Anti-Sizism-Überlegungen heraus Einheitsgrößen machen.
Was ist für Sie der gemeinsame feministische Nenner in der Missy-Redaktion?
Ich denke, der Appell: Lasst euch nicht vereinzeln und lasst euch nicht unterjubeln, dass eure strukturellen Probleme eure privaten Probleme sind.
Und dann sagt die Autorin Katja Kullmann bei Ihnen im Interview: Wir kämpfen jetzt jeder für die eigene Alterskohorte. Und dann gibt es noch die Akademikerinnen und die Nicht-Akademikerinnen. Wo ist da noch das Verbindende?
Das ist für mich eine der wichtigsten Fragen im Moment: Wie kriegt man eine übergreifende Solidarität hin und was ist ein Thema, entlang dessen man das machen kann? Das ist etwas, was wir oft suchen: Wie können wir jungen Frauen mit guten Ausbildungen und Universitätsabschlüssen uns mit Frauen solidarisieren, die ganz andere Probleme haben, also etwa Migrantinnen ohne Aufenthaltserlaubnis?
Gibt es eine Antwort?
Ein Ansatz könnte sein, was Katja Kullmann in ihrem aktuellen Buch ganz gut beschreibt: Dass wir im heutigen Arbeitsmarkt als freie Journalistinnen und Akademikerinnen zum Teil in einem Boot sitzen mit freien Pflegekräften, aber auch mit freien Reinigungskräften. Natürlich ist man als Autorin in einer privilegierten Position, aber es gleicht sich zunehmend an.
Wie weit ist Ihr Feminismusbegriff? Ist er auf ein Geschlecht beschränkt oder geht es ganz grundsätzlich gegen Diskriminierung?
Mir ist wichtig, dass es nicht den Feminismus gibt, sondern dass man den Begriff selbst für sich füllen muss. Natürlich ist Feminismus immer noch der Kampf gegen die Diskriminierung auf der Basis von Geschlecht, aber wenn man dafür ist, leitet sich logisch daraus ab, gegen die Diskriminierung auf der Basis anderer Kategorien zu sein. Eine schwarze lesbische Frau wird auf verschiedene Weisen diskriminiert, weil sie schwarz und lesbisch und eine Frau ist. Man sollte versuchen, diese Dinge zusammenzudenken. Ist das einigermaßen einleuchtend?
Es wirkt fast kompolizierter, dass Missy den Diskurs und den Hochglanz zusammenzubringen versucht.
Das ist tatsächlich eher schwierig. Manchmal funktioniert das total gut, weil so viele Leute im Heft, obwohl wir sie nicht deshalb feiern, extrem glamourös sind und es durchaus genießen, auf eine glamouröse Art inszeniert zu werden. Das Glamourpotenzial des Feminismus wird ja massiv unterschätzt.
Wie hoch ist das in der öffentlichen Wahrnehmung?
Ich glaube, dass da seit zwei, drei Jahren eine Verschiebung stattfindet. Davor waren es die Klischees von den Männerhasserinnen mit den Haaren auf den Zähnen, die vor allem in den 80ern im Backlash gegen die Errungenschaften der Frauenbewegung aufkamen. Jetzt ist da eine neue Generation von jüngeren Frauen, bei denen ein paar dieser Klischees aufgebrochen werden. Dafür kommt jetzt der Versuch, diese vermeintlich glamouröseren Feministinnen gegen eine alte Generation von vermeintlich lustfeindlichen, unglamourösen Feministinnen zu positionieren. Aber auch in der früheren Generation war das ganze Spektrum da, so jemand wie die US-Feministin Gloria Steinem, die als Playboy-Bunny Feldforschung betrieb, hatte ja durchaus großes Glamourpotenzial.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Preiserhöhung bei der Deutschen Bahn
Kein Sparpreis, dafür schlechter Service
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Housing First-Bilanz in Bremen
Auch wer spuckt, darf wohnen
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!