Das Lied der Deutschen: Wem die Hymne gebührt
Alle reden über die deutsche Nationalhymne, doch es gibt eine Institution in Deutschland, die wirklich eine Hymne verdient hätte: die Frauenbeauftragte.
Allein das Hymnische an sich hat etwas, das mich anspricht. Als Halbbrasilianer – wir tänzeln ja gern! – finde ich Hymnen gut. Wenn ihr diese Hymne kennt, wisst ihr, wovon ich rede.
Um es vorweg zu sagen: Wir diskutieren hier nicht, ob in der deutschen Nationalhymne das Wort Vater (männlich) durch das Wort Heimat (weiblich) ersetzt werden soll, wie es eine Frauenbeauftragte namens Kristin Rose-Möhring jüngst vorschlug. Wir diskutieren hier auch nicht, ob das Wort brüderlich (deutsch) durch das Wort couragiert (französisch) ersetzt werden soll. Das ist mir alles egal.
Meinetwegen könnt ihr die deutsche Nationalhymne abschaffen. Es ist ja sowieso eher eine Penishymne (Fallersleben: Vaterland, brüderlich, Vaterland, Vaterland).
Es ist, übrigens, aber das nur am Rande, überdies eine Hymne, deren Melodie (Strophe eins) von jüdischen Häftlingsorchestern in deutschen Konzentrationslagern gespielt wurde und deren Melodie (Strophe drei) heute erklingt, wenn bei deutschen Staatsakten der Schoa gedacht wird. Das ist ergreifend, und bösartig. Es ist vergifteter Pathos. Da tänzelt gar nix. Das kann alles weg.
An dieser Stelle diskutieren wir also nur, wem, außer Brasilien, auch noch eine Hymne gebührt.
Der deutschen Frauenbeauftragten gebührt eine Hymne. Sie ist eine Institution. Nicht nur Kristin Rose-Möhring, sondern auch all ihre Kolleginnen. Es ist gut, dass es sie gibt.
Warum?
Die meisten Verlierer, wo man sie auch trifft, sind männlich.
Bemitleidenswerte Bettler, morgens in der U-Bahn: männlich.
Banker, die unsere Welt ausnehmen: männlich.
Leute, die in unseren Knästen sitzen: männlich.
Trump, Putin, Erdoğan: alle männlich.
BILD-Chefredakteur: auch männlich, Betonung auf -ich.
Wer hat die Arbeiterwohlfahrt erfunden?
Marie Juchacz, SPD, Frau.
Wer heult nun in Kommentaren rum, weil eine Frau, die auch Frauenbeauftragte ist, vorschlägt, die Nationalhymne zu ändern, wie etwa Kanada und Österreich dies schon getan haben?
Klar: Männer.
Zum Beispiel Rainer Haubrich in der Welt („Sprach-Taliban“, „Kabarett“) oder das Herrenmagazin Focus, das gewohnt recherchefrei gleich von der „Frauenbeauftragten der Bundesregierung“ berichtet, so als hätte die Bundesregierung eine zentrale Frauenbeauftragte, was allein deshalb grober Unfug ist, weil die Bundesregierung nicht eine, sondern gleich dutzende Frauenbeauftragte hat, nämlich in jeder ordentlichen Bundesbehörde eine und in jedem Bundesministerium eine und eine auch im Bundesfamilienministerium und das ist Kristin Rose-Möhring, die im Jahr 1955 geboren wurde und ein Studium der Angewandten Sprachwissenschaften hinter sich hat.
Die hat zwar keine Zuständigkeit für die Nationalhymne, sondern für Personalpolitik in ihrem eigenen Hause und dies aufgrund von Artikel 19 des Bundesgleichstellungsgesetzes und das wiederum aus dem einzigen Grund, dass die Männer in deutschen Behörden früher viel zu viel rumgezickt haben; und deshalb kann sich zum Beispiel Kristin Rose-Möhring zwar viel wünschen oder auch mal in einen Rundbrief zum Weltfrauentag ganz am Ende ein paar Dinge reinschreiben, aber mehr kann sie nun in puncto Hymne wahrlich nicht.
Doch immerhin dies hat sie getan und es war gut, denn jetzt sind viele Männer, wie einst die Affen, wieder auf den Bäumen und Angela Merkel lässt ausrichten, die Nationalhymne könne bleiben wie sie ist und wir alle dürfen wahlweise glücklich sein darüber oder uns empören, dass die Nationalhymne also bleibt wie sie ist.
Dem gebührt an sich keine Achtung und auch keine Aufmerksamkeit, es sei denn man will über die Nationalhymne debattieren (allein schon die Melodie!), aber Achtung gebührt dem Umstand, dass hunderte Frauenbeauftragte in Deutschland jeden Tag darauf achten, dass böse Lümmels nicht wieder nur ihre Kumpels bevorzugen, sondern dass diese Lümmels auch ab und zu einmal überlegen müssen, wessen Lieder sie singen.
Und deshalb sollte man diesen Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten mal eine Hymne schreiben und diese Hymne laut singen, zum Beispiel am Internationalen Frauentag, der ist jetzt am Donnerstag. Und wenn es schon keine Frauenbeauftragtenhymne gibt, dann ersetzt doch meinetwegen, auch wenn es weh tut, mal einen Tag lang das Wort Vater durch das Wort Heimat und das Wort brüderlich durch das Wort couragiert und singt die deutsche Penishymne in einer anderen Melodie und ich jedenfalls mache meinetwegen ausnahmsweise auch mit und dann denken wir an die Sprachwissenschaftlerin Kristin Rose-Möhring und stellen uns vor, dass sie tänzelt, denn das täte diesem Land ganz generell gut: etwas mehr tänzeln.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?