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Das Land vor dem Regenbogen

■ Sie wohnen in Tipis und laufen nackt herum – die neuen, spirituellen Hippies beim Stammestreffen in Ungarn

Ich war auf dem Rainbow, und es ging mir gut. Jetzt bin ich wieder in Berlin, und es geht mir nicht mehr so gut. War mir nie so deutlich wie jetzt, dass es an meinem Leben hier liegen muß. Niemand läuft nackt herum. Alles asphaltiert. Man grüßt sich nicht. Man lädt sich nicht gegenseitig zum Tee ein. Man kommt gar nicht dazu, miteinander zu sprechen. Stattdessen hängt überall Werbung. Und in meiner Wohnung im dritten Stock weiß ich nie so genau, wie das Wetter unten ist, ich zieh' mir eine kurze Hose an, und unten stell' ich dann fest, dass das zu wenig ist, weil da weht ein kalter Wind.

Alle sind richtig nett und so friedfertig

Auf dem Rainbow wär' das nicht passiert. Da habe ich unter einer blauen Plastikplane in einer duftenden Wiese gewohnt. Als „die größte Nicht-Organisation von Nicht-Mitgliedern der Welt“ bezeichnet sich mitunter der „Stamm“ der Rainbow-people: Viele tragen Bart und lange Haare, viele andere tun das nicht, gemeinsam ist ein Herz voller Liebe oder zumindest das Streben danach. Kommerz und respektloser Umgang mit „Mutter Erde“ sind tabu. In loser Folge werden kleine und große Treffen angesetzt, auf jeden Fall gibt es jährlich ein großes „Gathering“ in den USA und eins in Europa, vorzugsweise Ost, weil sonst viele Brüder und Schwestern mangels Visum draußen bleiben müßten.

Auf dem Rainbow – das europäische hat dieses Jahr in Ungarn stattgefunden – machen alle, was sie wollen. Sie sind meistens sehr shanti zueinander (friedlich), helfen sich gegenseitig, kochen in der Waldküche für die zwei täglichen food-circles, unterhalten sich, versuchen auf den Händen zu laufen. Sie graben shitholes im Wald, geben Workshops oder machen Workshops mit. Da gab es Yoga, Reiki, Massage, Shin Tai, Tai Chi, Capuera, Digeridoo, Sternekucken und vieles andere. Es gab eine Badestelle (eiskalt), „Kreise“ zu verschiedenen Themen, in denen jeweils die/der reden durfte, die/der den Redestab in der Hand hielt. Abends gab es Trommelklänge, viele Dutzend kleiner Feuerstellen und ein paar große, um die getanzt und mit Feuerkeulen jongliert wurde.

Von zwei- bis dreitausend Leuten wurde gesprochen, am Tag der Sonnenfinsternis waren die Reisportionen im Essenskreis jedenfalls kläglich. Da müssen richtig viele dagewesen sein. Sie hielten sich an den Händen und summten ein mächtiges „Ommm“ vor dem Essen. Werd' ein spiritueller Hippie! Willkommen zu Hause!

Ein paar sind ausgeflippt – „Drogen-Harald“ beispielsweise war plötzlich nur noch am Herumschreien und Um-sich-Schlagen und wurde seitdem ständig begleitet. Ein Kommentar: „Er konfrontiert die anderen mit ihren eigenen unterdrückten Schattenseiten.“

Eine riesige Lichtung, drumherum Wald und blühende Wiesen, ertrug geduldig diesen Haufen aus Haut und Haaren. Auch die Bewohner. Bis auf einen Busfahrer, der keine Hippies mehr mitnehmen wollte, hat sich die Bevölkerung an das ständige Lächeln und Grüßen gewöhnt. Zum Nationalfeiertag am 20. August hat der Bürgermeister die Artisten aus dem Camp eingeladen, an der Parade durch das Dorf teilzunehmen. Letztes Jahr wurde das Gathering, das in Rußland nahe St. Petersburg stattfand, brutal von der Polizei geräumt. Zelte und Trommeln wurden zerstochen und eine Zugladung russischer Rainbowleute erstmals eingekerkert. In Ungarn war das Land gepachtet, und der Ärger blieb aus.

Warum bin ich schon zurückgefahren? Wegen ein paar Terminen und einem Heißhunger auf Kekse? Jetzt weiß ich: Das ist nichts gegen die Trauer, wieder in der Isolation des modernen Lebens zu versinken. Dabei gibt es so viele nette Menschen! Auf dem Rainbow trifft man sich beim Wasserholen, beim Essen, beim Kochen, beim Kacken. Hier kann man ins Café gehen, und? Zeitung lesen.

Es gab auch welche, denen ging der ganze Frieden auf die Nerven. Die fanden das aufgesetzt. Die lamentierten über den stetigen Verfall der Rainbow-Kultur. In einem Talking-circle erzählte jemand vom allerersten Rainbow-Gathering, damals, 74 in Strawberry Lakes, USA. 30.000 Leute! 18 Küchen, die rund um die Uhr im Einsatz waren! Ein 24-Stunden-Talking-circle im Zentrum des Geschehens. Jetzt kämen sie mit Konsumhaltung zum Rainbow, erklärte ein alter Hase. Haben irgendwo davon gehört und denken, das wäre ein Festival. Dabei sind Elektronik, Alkohol und Drogen tabu. Autos unerwünscht. Man erreicht den Platz nur über einen zweistündigen Fußmarsch dorthin. Die, die trotzdem mit dem Auto heranfuhren, ernteten Aggressionen. Vorbei mit shanti. Aber auf lange Sicht ist Friedfertigkeit angenehmer. Gerade im Urlaub.

Auch im Rundbrief stand, daß das Gathering eine Zeit der Heilung sein soll. Diese Definition gefällt mir. Auf den Boden kommen. Luft holen. Den „Regenbogen“ nicht aufgeben: Zu Hause angekommen, lächle ich immer noch jedem zu. Michael Würfel

Wo das europäische Gathering im nächsten Jahr stattfindet, wird im Vollmond-Council am 27. August entschieden, nach dem das Treffen dann auch zu Ende ist. Fest steht schon, daß im nächsten Jahr im März/April ein Riesentreffen in Australien stattfinden wird.

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