Das Klo im Kino: Die sich nicht wegspülen lassen
Verändert sich der Blick auf einen Schauspielstar, wenn er im Film auf der Toilette sitzt? Wir machen uns dazu Gedanken – aus aktuellem Anlass.
In diesen Tagen habe ich eine alte Angewohnheit wieder aufgenommen, das Zappen. Fernbedienung in der Hand und Daumen auf dem Programmschalter. Es ist wie früher, nur selten bleibt man länger als eine Minute hängen.
Und dann kam neulich nachts diese Szene aus „Lethal Weapon 2 – Brennpunkt L.A.“, einem Actionfilm vom Ende der achtziger Jahre: Seit Stunden hat sich der Polizist Murtaugh (Danny Glover) nicht mehr bei seinem Kollegen Riggs (Mel Gibson) gemeldet. Besorgt fährt Riggs zu dessen Haus und findet ihn in Panik auf der Toilette vor, Schweißperlen auf der Stirn. Glover entrollt das Klopapier und zeigt eine handschriftliche Warnung: „Boom you’re dead“. Beim Blick hinter die Schüssel entdeckt Gibson die mit der Toilettenbrille verdrahtete Bombe.
Mit diesen Bildern im Kopf überfliege ich den Bücherstapel im Bad. Und siehe da, sie liegt immer noch dort: die Abhandlung mit dem Titel „Das Klo im Kino“, verfasst von dem Theater- und Filmwissenschaftler Philipp Alexander Tschirbs, gespickt mit Zitaten quer durch die Kultur- und Literaturgeschichte, zahlreichen Bildsequenzen und versehen mit einer sorgfältig nach Jahren sortierten Liste der einschlägigen Titel. Eine perfekte Klolektüre, zeigt sie doch das Örtchen in einem anderen Licht, Kontext oder eben völlig zweckentfremdet.
Killer mit Buch auf der Toilette
Handelt es sich um die bildgetreue Wiedergabe einer Analfixierung, wenn Julia Roberts in „Pretty Woman“ ihre Spardose im Spülkasten versteckt? Ist der langhaarige Kater Mr. Jinx, der in „Meet the Parents“ sein Geschäft auf der Toilette verrichtet, das Paradebeispiel für ein wohlerzogenes Haustier oder einfach überdomestiziert? Warum eigentlich legt John Travolta als Killer in „Pulp Fiction“ seine Riesenpistole auf dem Küchentisch ab, bevor er sich mit Buch auf die Toilette verzieht? Das stille Örtchen und die Stille vor dem Schuss.
Es gibt Kloszenen, die sich ins populärkulturelle Gedächtnis eingeschrieben haben. Die beiden eindrücklichsten: Ewan McGregor, von Magenkrämpfen geschüttelt, der sich auf der buchstäblich beschissenen Toilette eines schottischen Wettbüros („Trainspotting“) wiederfindet. Um an seine Drogentütchen zu gelangen, verschwindet er im Abflussrohr und nimmt ein psychedelisches Bad.
Und Jeff Bridges, der als Dude in „The Big Lebowski“ Besuch von zwei Schlägern bekommt: Der eine uriniert auf seinen Lieblingsteppich, während der andere den coolsten Bademantelträger der Kinogeschichte immer wieder kopfüber in die Toilette taucht. Zwei Kinohelden, zwei Drogentypen, die sich nicht wegspülen lassen. Der eine taucht aus der eigenen Halluzination wieder auf, der andere hält sich mit coolen Sprüchen über Wasser.
Wegweiser zu sozialen Schichten
Begibt sich das Kino auf den Pott, möchte es nur selten die Privatheit des Augenblicks ausstellen, noch seltener schockieren oder gar fäkalien- und uringeschwängerte Skandale provozieren. Eher suchen die Filme ein zusätzliches Narrativ: die Toilette als Wegweiser zu sozialen Schichten und Welten.
Etwa in King Vidors stilprägendem sozialrealistischem Stummfilm „Ein Mensch der Masse“ aus dem Jahr 1928. Die Toilette veranschaulicht die ärmlichen und beengten Lebensverhältnisse in einem Arbeiterhaushalt. Obwohl nur der obere Teil des Spülkastens im Bild auftaucht, war der Studioboss Louis B. Mayer von MGM über den schmuddeligen Anblick so erbost, dass er ein generelles Leinwandverbot für Toiletten aussprach.
In Luis Buñuels „Gespenst der Freiheit“ (1974) wiederum wird die sogenannte feine Gesellschaft vorgeführt, wenn sie zu Tisch bittet. In aller Selbstverständlichkeit nehmen die geladenen Gäste rund um eine Tafel auf Toilettenschüsseln Platz. Sie klappen die Brillen hoch, knöpfen ihre Anzughosen auf, raffen ihre Röcke, zelebrieren und entblößen Konventionen und Etikette.
Begrenztheit des Raums
Das Klo ist kein Mythos, es entwickelt keine Metaphysik und auch kaum je Symbolik. Es ist, was es ist. Ein umgangssprachliches Synonym für Toilette ist Klosett, abgeleitet von dem englischen Wort closet, das sich als „kleine Kammer“ übersetzen lässt. Vielleicht ist es gerade die Begrenztheit des Raums, die eine Fokussierung und damit auch überraschende Spannungsmomente mit sich bringt.
In vielerlei Hinsicht kann das Klosett zur Druckkammer werden, in der sich Aggressionen oder sexuelles Begehren entladen. Allein auf dem Pott, wird man noch einmal in einem existenziellen Sinn auf seine Kreatürlichkeit zurückgeworfen. Gefühle können sich in der abgeschlossenen Situation ihrer selbst vergewissern.
Damit zurück zu „Lethal Weapon 2“: Die Toilettenszene des Buddy-Movies vereint Spannung, Scham und Intimität. Danny Glovers Cop ist es zunächst peinlich, dass der Kollege ihn mit heruntergelassener Hose auf der Toilette sieht. Aufgefangen wird die Situation durch ein banales Gespräch über Klolektüren. Glover erzählt von einem Artikel über Hochseefischen, den er gerade gelesen habe. Männerthemen. Einverständnis zwischen Kumpeln.
Die Toilettenschüssel ist durchs Fenster geflogen
Das Bombenentschärfungskommando rückt an und nahezu unverrichteter Dinge wieder ab. Als die beiden Polizisten – nun mit Schutzwesten – wieder allein im Bad sitzen, scheint Clover zu wissen, dass er sein Leben in die Hände des anderen geben kann. Nach der Explosion (die Toilettenschüssel ist durchs Fenster geflogen), finden sich die beiden aufeinanderliegend in der Badewanne wieder.
Die Vertrautheit eines Paares lässt sich auf der Toilette in aller Beiläufigkeit in Szene setzen. Ohne zu klopfen, rauscht Tom Cruise am Anfang von Stanley Kubricks „Eyes Wide Shut“ zu Schostakowitschs Walzer Nr. 2 ins Bad. Schon im Abendkleid und auf der Toilette sitzend, will Nicole Kidman wissen, ob sie schön aussieht. Sein „Ja“ klingt automatisiert. Auch der auftrumpfende Dreivierteltakt vermag nicht gegen die Routine dieser Intimität anzuspielen.
Verändert sich der Blick des Publikums auf einen Star, wenn es diesen auf der Toilette sitzen sieht? Natürlich lacht man über die pupsende Julianne Moore in „Maps to the Stars“ von David Cronenberg. Zugleich aber entspricht dieser lautstarke Ausdruck der Natur ihrer Figur. Moore spielt eine exaltierte Schauspielerin, die keinerlei Grenzen kennt und in allen Lebenslagen das Private hemmungslos nach außen kehrt.
Diva auf zugeklappter Klobrille in Pose
Jean-Luc Godard hingen betreibt in seinem Film „Die Verachtung“ die Rekonstruktion der Diva durch Dekonstruktion. Brigitte Bardot setzt sich zum Missfallen ihres Filmehemanns (Michel Piccoli) eine schwarze Perücke auf. Dann geht sie auf die Toilette, wirft sich im roten Badetuch auf der zugeklappten Klobrille in Pose und zündet sich eine Zigarette an. Auf klischeehafte Weise scheint sie zu schmollen und ist doch ganz bei sich, wenn sie Piccoli erklärt, dass sie sich etwas überlegt habe. Auch wenn er es nicht für möglich halte.
Natürlich dürfen auch die schmutzigen Geschäfte nicht unerwähnt bleiben, die man auf der Toilette wegspült. In Alfred Hitchcocks „Psycho“ (1960) rechnet Marion (Janet Leigh) auf einem Zettel aus, wie sie die von ihr geklauten 40.000 Dollar ausgeben möchte. Sie zerreißt die Notizen und wirft sie in die Toilette. Der Spülvorgang als Hinwegfluten der Schuldgefühle. Es war nicht nur die nun folgende legendäre Duschszene, an der die Zensoren Anstoß nahmen. „Psycho“ schrieb auch deshalb Kinogeschichte, weil zum ersten Mal in einer größeren US-amerikanischen Produktion eine Klospülung aus nächster Nähe zu sehen und zu hören war. Flush!
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